Nabelschnur-Blues: Ian McEwans neuer Roman „Nussschale“
Nach den Affen und Psychopathen im Frühwerk nun also ein Fötus: Der britische Romancier Ian McEwan, 68, schreckte nie davor zurück, die Rollen der Ich-Erzähler in seinen Büchern möglichst abwegigen Protagonisten zu überantworten. Die Geschehnisse in „Nussschale“ werden folgerichtig von einem Ungeborenen erzählt, einem überaus geschwätzigen Embryo, der auf sein Durchstarten in dieser Welt wartet. Fulminant bereits der erste Satz dieses Prosa-Spaßes: „So, hier bin ich, kopfüber in einer Frau.“ Eine klassische Konstellation liegt „Nussschale“ zugrunde: Frau betrügt den Vater ihres Sohns und nimmt sich den herrlich beschränkten Bruder des Kindsvaters zum Liebhaber.
Der kleine Mann im Bauch nimmt Anteil am Drama der Erwachsenen, reimt sich die Ereignisse durch sein Mithören zusammen – und gibt, unaufhörlich plappernd, all jene vermeintlichen Weisheiten preis, die ihm durch die Podcast-Abos seiner Mutter zufallen. In „Nussschale“ versammelt McEwan gleichsam Kafka, Poe und Stephen King zum danse macabre, vom Autor mit aller gebotenen Grellheit inszeniert. Als literarischer Meisterjongleur hält McEwan die Genres Krimi, Klamauk und Komödie in schönem Ungleichgewicht und verleiht seiner Erzählung aus dem trivialen Mittelschichtsalltag bizarre Züge: „Sorgenvoll taste ich die Nabelschnur ab, meinen Ersatz für Betperlen.“