Jean-Louis Trintignant

Nachruf auf Jean-Louis Trintignant: Abtritt eines Giganten

Zum Tod des französischen Schauspielers Jean-Louis Trintignant.

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Ein wenig hinfällig sah er bereits aus, als er vor ziemlich genau fünf  Jahren bei den Filmfestspielen in Cannes auftrat, um die Uraufführung seines jüngsten Werks zu begleiten. Gefährlich dünn, an seinen Gehstock gelehnt, ohne zu lächeln stellte er sich den Blitzlichtern: eine Legende des Kinos, die das Spiel, das man ihr abverlangte, eher widerwillig mitmachte; für jene gute Laune, die andere bei den Photo-Calls in Cannes gerne zur Schau stellen, sah er keinen Grund. Dabei hieß der Film, für den er angereist war, „Happy End“, aber auch dies war natürlich bloß sarkastisch gemeint, denn es war eine der abgeklärten Inszenierungen von Michael Haneke, und Jean-Louis Trintignant gab darin einen suizidalen, menschenfeindlichen Zeitgenossen, dem das Wasser am Ende bis zum Hals stand.

Eigentlich hatte Trintignant das Kino bereits 2005 hinter sich gelassen, vermeintlich endgültig, um den Lebensabend in seinem geliebten Südfrankreich zu verbringen. Mit 75 konnte man doch langsam in den Ruhestand übergehen. Aber die Rechnung ging nicht auf: Dreimal noch ließ er sich dazu überreden, in Filmen aufzutreten, für Haneke unterbrach er 2011 erstmals zögernd seinen Alltag als Pensionist, um ein bahnbrechendes Projekt namens „Amour“ zu realisieren, 2016 tat er es für „Happy End“ noch einmal. Und schließlich gab er noch seinem alten Freund Claude Lelouch (mit dem er bereits fünf Filme gedreht hatte, unter anderem den Kinohit „Ein Mann und eine Frau“, 1966) nach, um eine der Hauptrollen in „Die schönsten Jahre eines Lebens“ (2019) zu spielen, einer späten Wiederaufnahme der Zusammenarbeit mit Lelouch und Trintignants Schauspielpartnerin von einst, Anouk Aimée.

Auf sechseinhalb Jahrzehnte Filmarbeit konnte Trintignant zurückblicken, als er diese letzte Arbeit leistete, sogar auf mehr als sieben Dekaden einer Existenz als Schauspieler. Denn mit 20 schon hatte er sich entschlossen, weder sein Jus-Studium aufzunehmen, noch seine Rennfahrerkarriere weiterzuverfolgen, sich stattdessen am Theater zu versuchen; der Erfolg kam schnell, mit 22 spielte er auf Pariser Bühnen bereits Hauptrollen in Shakespeare- und Schiller-Dramen, mit 24 absolvierte der Sohn eines einstigen Résistance-Kämpfers seinen Filmdebüt. In den 1950er-Jahren hießen seine Regisseure Christian-Jaque und Roger Vadim, in den frühen Sixties arbeitete er mit Outsidern wie Georges Franju und Edgar Ulmer. In den 1960er-Jahre stieg Trintignant zum Weltstar auf, er trat in Italo-Western ebenso in Szene wie in zarten Autorenfilmen, etwa in Eric Rohmers „Meine Nacht mit Maud“ (1969). Mit Bernardo Bertolucci wagte er sich 1970 in der Moravia-Adaption „Der Konformist“ an eine seiner unheimlichsten Rollen. Erst in den 1990er-Jahren begann er, er die Schlagzahl seiner Auftritte zu verringern.

Er schrieb auch Drehbücher, führte In den 1970er-Jahren bei zwei eigenwilligen schwarzen Komödien Regie. Doch Trintignants größter Triumph kam spät, 2012, da war er schon über 80. Für seine berührende, extrem leise Darstellung eines dem Verfall seiner Gefährtin (Emmanuelle Riva) ins Auge blickenden alten Mannes in Hanekes „Amour“ erhielt er mehr Preise als für jeden anderen seiner gut 140 Filmauftritte.

Sein Stil war introvertiert, in sich gekehrt, lakonisch; die besten Schauspieler, sagte er einmal, seien jene, die am meisten fühlten und am wenigsten zeigten. Gestern starb Jean-Louis Trintignant 91-jährig in Südfrankreich.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.