Nachruf auf Manfred Deix: "Wir sind Deix"
Schmeichelhaft war es, von ihm gezeichnet zu werden. Aber oft auch ein wenig verletzend. Als wir in den 1970er-Jahren regelmäßig um die Häuser zogen, Streifzüge durch die damals noch schüttere Beislszene machten, da war Manfred Deix, ein großer Trinker vor dem Herrn, immer dabei. Er unterhielt uns und sich mit seinem tabulos-unkorrekten Brutalo-Humor und mit seinen Spontan-Karikaturen.
In einem wüsten Lokal an der Linken Wienzeile wurde auch ich einst Opfer seiner permanenten Zeichenlust. Mit wenigen Strichen verfertigte er auf einem kleinen zerknitterten Zettel ein Porträt von mir, das unvorteilhafter nicht hätte sein können. So würde ich im Alter aussehen, erklärte Manfred. Und zerkugelte sich. Es war ja lustig, aber doch ein wenig ärgerlich. So "schiach“ sähe meine Zukunft aus? Ich habe das Blatt in einen Rahmen gesteckt und an meine Klowand gehängt. Dort kann ich seit Jahrzehnten beobachten, wie ich dem Bild, das Deix vor nunmehr 40 Jahren von mir machte, von Tag zu Tag ähnlicher werde.
Deix wurde zum allseits bewunderten Star.
Deix hatte einen magischen Blick. Er brauchte nur Sekunden, um das Wesen eines Menschen und dessen besondere Schwächen zu erfassen. Als wären seine Hände direkt mit den Augen verbunden, zog er quasi traumwandlerisch seine Linien. Zwischen dem Blick, seinem unbewussten Verstehen und seinem Zeichnen schien nichts zwischengeschaltet zu sein. Und es ging nicht nur um von ihm zu Papier gebrachte Gesichter, die einen geradezu beklemmenden Wiedererkennungswert hatten. Einmal, erinnere ich mich, zeigte er uns eine schnell hingeworfene Skizze eines gehenden Menschen von hinten - und jeder erkannte sofort, wen Deix da "in der Reiß’n“ hatte. Es war wieder ich.
Zunächst polarisierte er gewaltig. Die feinen Leute rümpften ob seiner Schweinereien die Nase, Kirche und Parteien fühlten sich von seiner scharfen Feder ernsthaft bedroht. Schließlich aber begann damals, in den 1970er-Jahren, auch sein rasanter Aufstieg. Deix wurde zum allseits bewunderten Star.
Offenbar war die österreichische Gesellschaft reif für die Wahrheit. Sie begann sich nach dieser zu sehnen. Und so grauslich, pervers, bös und abgründig das Austro-Panoptikum des Manfred Deix auch erschien, es war um vieles wahrhaftiger als das Bild, das die Öffentlichkeit bisher von Land und Leuten gezeichnet hatte. Es gilt freilich bis heute das Rätsel zu lösen, warum gerade auch die Menschen, die von ihm so erbarmungslos verarscht wurden, ihn anhimmelten, warum die legendären Deix-Figuren letztlich seine größten Fans wurden.
Er scheute sich nicht, auch jene betulichen intellektuellen Moralprediger, die sich mit ihm einer Meinung wähnten, durch den Kakao zu ziehen und als Heuchler zu entlarven.
Er selbst erklärte das einmal damit, dass jene, die seine Bilder ansehen, Erleichterung verspürten, dass sie so arg wie die dargestellten Figuren dann doch nicht seien und deshalb herzhaft lachen könnten. Es kommt wohl noch etwas dazu: Die ländlichen Dumpfbacken, die todfaden Büromenschen, nazoiden Sonderlinge und spießigen Erotomanen spüren insgeheim, dass die Attacke nicht dünkelhaft von oben oder fremd von außen kommt.
Und in der Tat: In diesem Mann aus dem niederösterreichischen Böheimkirchen selbst steckte vieles davon, was er mit seinen Figuren auf die Schaufel nahm - Vorurteile, Ressentiments und Aggression. Er konnte seine eigene österreichische Gemeinheit in der künstlerischen Tätigkeit sublimieren, in seinen Cartoons anarchistisch weglachen. Dass Deix selbst ein Stück Deix-Figur in sich trug, macht die Kraft seines Œuvres aus. Und er scheute sich nicht, auch jene betulichen intellektuellen Moralprediger, die sich mit ihm einer Meinung wähnten, durch den Kakao zu ziehen und als Heuchler zu entlarven.
Wie kein anderer war Deix ein Volkskünstler, wie er sich selbst stolz nannte - "einer wie Hans Moser“. Und die Medien wussten, was sie an ihm hatten; lange dürfte er einer der weltweit bestbezahlten Cartoonisten gewesen sein. Seine Bildbände hatten Megaauflagen, Zeitschriften wie "Stern“, "Spiegel“ und "Playboy“ rissen sich um Arbeiten von ihm.
Echte Genies wie Manfred Deix sind letztlich unsterblich.
Und dass er nicht in Amerika, England oder Frankreich seinen Durchbruch erlebte, war bloß darauf zurückzuführen, dass er in seinem Lebensvollzug so sehr in Österreich verwurzelt war und sich nicht darum kümmerte, eine globale Karriere zu machen. Ausstellungen mit seinen Bildern in deutschen Städten und in New York waren absolute Renner. Deix beweist: Böheimkirchen ist überall, auch im österreichischen Hinterwald kann die "condition humaine“ schlechthin entdeckt werden.
Deix bezeichnete sich selbst kokett als Moralisten. Und das hat, trotz gegenteiligen Anscheins, durchaus seine Richtigkeit. Ich selbst kann dankend bekennen, dass ich durch ihn ein etwas besserer Mensch geworden bin. Als wir wieder einmal zu später Nacht in einem der Wiener Beisln becherten, fragte Manfred beiläufig, warum ich so "herrisch, von oben herab“ mit den Kellnern umgehe: "So benimmt man sich nicht.“
Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Ich schämte mich. Mein erbärmliches Fehlverhalten war mir nicht bewusst gewesen. Seit diesem Tag bemühe ich mich, besonders freundlich und zuvorkommend zu den dienstbaren Lokalgeistern zu sein, die, hart arbeitend und meist schlecht bezahlt, für mein Wohlbefinden sorgen.
Noch viele Generationen werden sich über die wilden Witze dieses großen Künstlers und österreichischen Aufklärers erheitern. Echte Genies wie Manfred Deix sind letztlich unsterblich.