"Disenchantment": Die Kunst der Rebellion

Aufstand im Märchenwald: Die neue Matt-Groening-Serie „Disenchantment“.

Drucken

Schriftgröße

Eine Prinzessin, ein Elf und ein Dämon kommen in eine Bar. Was wie der Beginn eines schlechten Witzes klingt, markiert den Auftakt zu „Disenchantment“, der neuen Netflix-Trickfilmserie von Matt Groening. Prinzessin Bean (eigentlich Tiabeanie) soll gleich zu Beginn der ersten Folge gegen ihren Willen mit dem dümmlichen Prinzen von Bentwood vermählt werden. Zum Glück für die junge Prinzessin kommt der Heiratsaspirant aber bereits während der Hochzeitsfeierlichkeiten ums Leben – und das unter reichlich komischen Umständen und in bester „Game of Thrones“-Manier.

Dass die rebellische Prinzessin (Stimme von Abbi Jacobson) mit den schneeweißen Haaren und dem charakteristischen Überbiss lieber nächtelang in der Taverne sitzt, Karten spielt, sich mit Trunkenbolden wilde Raufereien liefert und dem Alkohol alles andere als abgeneigt ist, macht die Heiratspolitik ihres Vaters, König Zøg von Dreamland, nicht einfacher. Das Herrschaftsreich ist politisch und wirtschaftlich angeschlagen. Die Untertanen siechen dahin, die Moral ist schlecht. Dass der stets miesgelaunte König an US-Präsident Donald Trump erinnern soll, darüber kann man streiten.

Zumindest die Ähnlichkeiten mit den „Simpsons“ liegen auf der Hand. Matt Groening hat die gelbe Familie aus Springfield bereits 1989 erfunden; dieser Tage startet die Serie in ihre 30. Staffel – als satirische Gesellschaftsanalyse dient sie auch heute noch. Es gibt noch immer Szenen in den „Simpsons“, die die Lage des Landes, der Konsumgesellschaft und der Medien besser auf den Punkt bringen, als jedes Uni-Seminar.

Wie die „Simpsons“ will es auch Groening nach vielen Hochs und einigen Tiefs, so erzählte er es unlängst in einem Interview, noch einmal wissen. Allerdings geht der 64-jährige Showrunner heute durchaus anachronistisch vor, scheint mit seinem Aufstand im Märchenwald im Gegensatz zu innovativeren Zeichentrickserien wie „Rick and Morty“ regelrecht aus der Zeit gefallen. Das sind die großen Vor- und Nachteil der neuen Trickfilmserie. Man hat diese runden Glupschaugen schon tausendmal gesehen, man kennt die kleinen Nasen, die Detailverliebtheit des Settings. Prinzessin Bean erinnert nicht nur an die neunmalkluge Lisa Simpson, sondern auch an die einäugige Leela aus Groenings' Science-Fiction-Serie „Futurama“. Als geneigter "Simpsons"-Seher kennt man sich in der neuen Mittelalter-Fantasywelt sofort aus. Aber will man das?

Prinzessin Bean ist das egal. Gemeinsam mit ihren zwei Gehilfen, dem Elfen Elfo, der es in seiner stets gutgelaunten Elfenwelt nicht mehr ausgehalten hat und dem Dämon Luci, geriert sie sich als feministische Draufgängerin, die vom Prinzessinenalltag nichts mehr wissen will. Dank der Stimme des „Broad City“-Stars Abbi Jacobson gewinnt ihr Charakter an Tiefe. Weder als Prinzessin noch als Nonne sei sie geeignet, mokiert sich ihr Vater – und das seien die einzigen Berufe, die er sich für eine junge Frau wie sie vorstellen könne. Dass Bean später als Folterknechtin Karriere machen will, passt dabei perfekt in die Welt von Matt Groening, immer am schmalen Grat zwischen Zynismus und Herzensangelegenheiten.

Dass es zur Rebellion aber mehr braucht als den Traum von Aufstand, Freiheit und Märtyrertum, sondern vor allem eine gehörige Portion Schneid, eine Bruchlandung hinlegen zu können, muss nicht nur die aufmüpfige Prinzessin Bean im Laufe der ersten zehn Folgen erkennen, sondern auch das Team um Matt Groening. „Disenchantment“ setzt, zumindest in den zehn Folgen der ersten Staffel, dann doch lieber auf die sichere Bank.

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Von 2009 bis 2024 Redakteur bei profil.