„The Banshees of Inisherin“, „Unruh“, „Vera“: Schön wie nie
Nein, er wolle einfach nicht mehr. Es sei aus zwischen ihnen, Ende der jahrelangen Verbundenheit, zu diesem Entschluss sei er eben gekommen. Das Leben ist zu kurz für sinnlose Solidarität. Es ist nicht schön, wenn einem der beste Kumpel aus heiterem Himmel und ohne Angabe von Gründen die Freundschaft aufkündigt. „The Banshees of Inisherin“, dreifach bei der Golden-Globes-Gala ausgezeichnet, wird wohl auch zu den diesjährigen Oscar-Favoriten gehören. Denn die vierte Kinoarbeit des irischen Dramatikers und Filmemachers Martin McDonagh („Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“) gehört einer seltenen Spezies an: der Gattung der eigenbrötlerischen crowdpleaser.
Tatsächlich ist McDonaghs schwarze Komödie, die auf einer fiktiven irischen Insel namens Inisherin anno 1923 spielt, ebenso heiter wie schrullig, garniert mit fabelhaftem Schauspiel und einem unabsehbaren Plot: Weil der jüngere der beiden Freunde, der etwas einfältige Pádraic (selbstironisch: Colin Farrell), den Bruch nicht akzeptiert, den sein Freund Colm (knorrig: Brendan Gleeson) mutwillig herbeigeführt hat, beschwört er in aller Unschuld eine bizarre Eskalation herauf. Als makabre Dörfler-Comedy, die – vor dem Hintergrund des abebbenden Irischen Bürgerkrieges – vor allem im Dunstkreis des lokalen Pubs spielt, vermittelt der auch sprachlich sehr filigran gearbeitete Film den Eindruck eines Instant-Klassikers.
Die unmittelbare Zugänglichkeit der „Banshees“ mag Cyril Schäublins „Unruh“ fehlen, aber visuell und erzählerisch ist jenes Werk noch deutlich lohnender: ein Film aus der Schweiz, der in unseren Kinos landet wie ein Ufo aus der Vergangenheit. „Unruh“ fächert ein komplexes kleinstädtisches Panorama aus den 1870er-Jahren auf, in dem die Industrialisierung, die Kunst des Uhrenbaus, der Anarchismus und das noch junge Gewerbe der Fotografie entscheidende Rollen spielen. Die Welt vor 150 Jahren sieht hier, dank Schäublins Ideenüberfülle und radikal unkonventioneller Filmsprache, modern (und schön) wie nie aus.
Was das Kino zuwegebringen kann, wenn man die Freiheit besitzt, es ohne Rückgriff auf die faulen Übereinkünfte des Mainstreams zu benutzen, führt auch „Vera“ vor, Tizza Covis und Rainer Frimmels Hybrid-Erzählung vom ruinösen Leben der Tochter des einstigen italienischen Western-Stars Giuliano Gemma. Auch Vera versucht sich als Schauspielerin, aber sie ist, schönheitschirurgisch angeschlagen und verfangen im Nachruhm ihres Vaters, kaum vermittelbar. Als alterndes Partygirl treibt sie durch Roms Nachtleben, bis sie eines Tages in einen Unfall gerät, bei dem ein Kind leicht verletzt wird. In den Tagen danach entwickelt sie eine enge Beziehung zu dessen Familie.
Covi und Frimmel bauen ihr zunächst ganz dokumentarisch wirkendes Filmporträt zu einer fiktionalen Komposition aus, in der sich das „Reale“ unauflöslich mit dem „Artifiziellen“ liiert. Die Perspektiven verschieben sich: Am Ende blickt man die wundersame Vera mit anderen Augen an.