Literatur

Neuer Roman von Stuckrad-Barre: Kerngeschäftsdreck

Benjamin von Stuckrad-Barre prügelt in seinem neuen Roman auf die Boulevard-Gazette „Bild“ ein. The Bad Boy is back. Endlich.

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Lange Zeit war es still um ihn. Nun meldet sich der deutsche Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre, 48, mit einem Buch zurück. Und wie es sich für diesen Erregungssüchtigen gehört, wird das Erscheinen von „Noch wach?“ mit aufgesetzter Hysterie durchgeführt: breit und breitest gestreutes PR-Geschrei, durchgesickerte Infosplitter, ein Verlag, der keine Rezensionsexemplare verschickt. „Noch wach?“, eine Goldaktie im Höhenflug. Dabei ist das Buch viel besser, als die durchschaubaren Werbetricks vermuten ließen.

Es geht um Medien und eine fiktive #MeToo-Geschichte – angetrieben von einem realen und äußerst prominenten Fall. „Noch wach?“ ist ein Buch, das weitgehend ohne Figurennamen auskommt: Der Erzähler, den Stuckrad-Barre verschmitzt als kreuzbrave und im Denken äußerst schwerfällige Ausgabe seiner selbst porträtiert, bleibt ebenso namenlos wie dessen bester Freund, der CEO einer global agierenden Berliner TV-Krawallanstalt und deren Chefredakteur, der Journalismus mit Kanonade und Krieg verwechselt. Man hat beim Lesen überdeutlich Mathias Döpfner vor Augen, seit 2002 Vorstandsvorsitzender der Axel-Springer-Verlagsgruppe, die mit dem Boulevard-Riesen „Bild“ zu Europas größten Zeitungs- und Digitalverlagen zählt, sowie den von Döpfner Ende 2021 geschassten „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt, dem Machtmissbrauch und Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen vorgeworfen werden.

Stuckrad-Barre und Döpfner pflegten eine Best-Buddy-Kumpanei, ehe die Männerfreundschaft zerbrach. Döpfner und Reichelt wiederum waren Gefährten im Bemühen, Deutschland via „Bild“ von der „LINKSWOKEN ZEITGEISTBUBBLE“ zu säubern, wie Stuckrad-Barre schreibt. Es ist nicht die einzige Passage in Versalien: Donaldtrumpianisch streut der Schriftsteller Wörter und ganze Satzteile in Großbuchstabenschrift über die Seiten seines Romans.

Weil Stuckrad-Barre „Noch wach?“ auch sonst im Superangriffsmodus geschrieben hat, als wollte er der Welt beweisen, dass es kein anderes Thema mehr gibt, verfängt die Abrechnung des ehemaligen Springer-Journalisten: Den TV-Sender, hinter dem die „Bild“-Zeitung eher schlampig versteckt ist, beschreibt Stuckrad-Barre als Produktionsmaschine superlativischer Empörungsspiralen, als eine Art schlagzeilenbrüllende Vox populi, die dem Volk allein deshalb nach dem Maul schreibt und redet, um möglichst umweglos an den Inhalt von dessen Geldbörsen zu kommen. Stuckrad-Barres Generalkritik an den selbst ernannten Machern der Medienindustrie, die das Auftreten von Gutsherren pflegen und aller aufgesetzter Konzilianz zum Trotz auf den Rest der Welt herrenmenschelnd herabsehen, schnurrt hier auf ein Buch zusammen.

Am Ende ist es unerheblich, ob „Noch wach?“ den Anspruch, ein Roman zu sein, auch einlöst. Grellfarbenmaler und Wachrüttler Stuckrad-Barre kapert das Genre, um episodenhaft vom medialen „Kerngeschäftsdreck“ zu erzählen. Eine flotte Gaudi. Die hohe Kunst der Prosa-Schnoddrigkeit. 

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.