Neues Album von Soap&Skin: Ein „Torso“ mit Hand und Fuß
Die Schuld, die in jedem guilty pleasure steckt, hätte Anja Plaschg noch vor wenigen Jahren wohl voll und ganz auf sich genommen. Es hätte die 34-Jährige, die sich als Musikerin Soap&Skin nennt und hoch intensiven, tendenziell dunkel gestimmten Avantgarde-Pop schafft, womöglich in gar finstere Gegenden geführt, in denen Verzweiflung, Angst und Einsamkeit wohnen. Hätte, wäre. Auf ihrem neuen, vierten Album, „Torso“, findet Plaschg einen neuen, wesentlich helleren Weg, der aber deswegen nicht weniger dramatisch erscheint – und pleasure verheißt.
Aus einem Engagement beim Kremser Donaufestival, wo Soap&Skin 2022 ein Konzert ausschließlich mit Coverversionen bestritt, wuchs die Idee zu diesem Album, das elf (in der digitalen Version sogar zwölf) Neuinterpretationen von Liedern anderer Menschen umfasst. Recht häufig sind diese Menschen Männer (David Bowie, Tom Waits, Lou Reed, Jim Morrison, Sufjan Stevens), aber wie sich Plaschg gerade deren Lieder zu eigen macht, zeugt von einem Gestaltungsdrang, der vieles will, nur ganz bestimmt nicht: fortsetzen, nachmachen, stillstehen. David Bowies „Girl Loves Me“ aus dessen letztem Album „Blackstar“, Tom Waits’ erdschweres Liebeslied „Johnsburg, Illinois“ oder auch „Pale Blue Eyes“ von Velvet Underground werden, so unterschiedlich sie sein mögen, auf „Torso“ ganz selbstverständlich zu Soap&Skin-Stücken – und sind tatsächlich mehr Neuinterpretationen als Coverversionen (Plaschg schätzt den Begriff auch eher gering).
Soap&Skin hat mit ihren Alben und EPs den Kanon dessen, was im Pop mehrheitsfähig sing- und sagbar ist, deutlich vergrößert, ist mit ihrem Debüt „Lovetune for Vacuum“, das sie 2009 noch als Teenager veröffentlicht hat, direkt in die Champions League des internationalen Avant-Pop eingestiegen, hat mit dem objektiv nicht sehr mainstreamtauglichen „Narrow“ (2012) kurz gar die österreichischen Albumcharts angeführt und in der Folge immer neue Perspektiven erkundet, fürs Theater gearbeitet, im Film, in der Performancekunst.
Sie spiele die Stücke anderer Leute auch deshalb gern, weil es sich „gut anfühlt, von mir wegzukommen“, erklärt Anja Plaschg, die von ihren Depressionen und Ängsten ganz offen spricht; aber sie schafft diese Stücke eben doch stets aus sich heraus, in einer durchaus autobiografischen Arbeit. „Ich nehme die Songs aus der Erinnerung auf“, berichtet die Künstlerin.
Coverversionen können, wenn es ihnen so ergeht wie auf „Torso“, höchstpersönliche Musikstücke werden – weil mehr noch als in der Originalkomposition die Perspektive der Interpretin die Vorzeichen ändert. Der Torso am Cover von „Torso“ trägt nicht zufällig ein Gesicht, das aussieht wie jenes von Anja Plaschg, Sängerin und – in diesem Zusammenhang nicht unwesentlich – auch Schauspielerin.
In Ruth Beckermanns Bachmann/Celan-Film „Die Geträumten“ gab sie schon im Jahr 2016 eine sehr eindeutige Probe ihrer darstellerischen Präsenz ab, heuer prägte Anja Plaschg Severin Fialas und Veronika Franz’ vielfach ausgezeichneten Horrorfilm „Des Teufels Bad“ in der Hauptrolle der fatal depressiven oberösterreichischen Bäuerin Agnes im finsteren Teil des
18. Jahrhunderts (und produzierte „nebenbei“ auch den Soundtrack zum Film). Das Annehmen von Identitäten – und sei es die eigene – ist eine Kunst, die sich tatsächlich falsch oder richtig betreiben lässt.
In der Zusammenstellung von „Torso“ spielt Plaschg mit einem Repertoire, das eklektischer ausfällt, als man annehmen mochte. Selbst ewig neuverkorkste Stücke wie der 1993er-Welthit „What’s Up?“ von 4 Non Blondes werden ihr zu offenen Experimentierfeldern, in diesem Fall bewachsen mit querliegenden Beats und verdoppelter Stimme und einer fast schon euphorisch klingenden Posaune. Auch dieses Stück spielt Soap&Skin schon länger, den Achtziger-Jahre-Klassiker „Voyage, Voyage“ von Desireless hat sie gar schon 2011 erstmals aufgenommen – es ist in der Fassung, die auf „Torso“ zu hören ist, eine Reise, die nicht an den Ozean führt oder an indische Flüsse, sondern ins Innere der Performerin. Zugleich kommuniziert sie mit den Erfahrungen ihrer Hörer, die diese Lieder eben jeweils auch schon in anderen Zusammenhängen kennen- und fühlen gelernt haben.
Soap&Skin hat ihr neues Album „Torso“ genannt, aber das ist nur die halbe Wahrheit: Diese Platte hat auch Hände und Füße, sie kann auf die Menschen zugehen und sie berühren.