Der dänisch-iranische Regisseur Ali Abbasi hat sich den aufhaltsamen Aufstieg des jungen Trump vorgenommen: Der als „Lehrling“ bezeichnete Titelheld, formidabel gespielt von dem Schauspieler Sebastian Stan, baut sein Immobilienimperium auf den Grundsätzen des skrupellosen Anwalts Roy Cohn (Jeremy Strong) auf, dem er zunächst devot folgt, um ihn im passenden Moment fallen zu lassen.
Eine Szene sticht ins Auge: Die Darstellung sexueller Gewalt, die Trump in Abbasis Film seiner Ehefrau Ivana (Maria Bakalova) antut, könnte demnächst ein gerichtliches Nachspiel haben. Denn zwar wurde diese Vergewaltigung 1989/90 in den Scheidungsunterlagen der Trumps detailliert beschrieben, die Betroffene selbst ruderte aber drei Jahre später zurück und erklärte, sie habe keinen kriminellen Tatbestand anzeigen wollen. Sie habe sich in den sexuellen Beziehungen zu ihrem Mann in der Endphase ihrer Ehe lediglich „verletzt“ gefühlt, keine buchstäbliche Vergewaltigung erlebt. Donald Trump selbst bestritt eine solche selbstredend stets.
Aber auch anderswo im Cannes-Wettbewerb wurden männliche Anmaßung, Zerstörungswut und Bitterkeit analysiert: am prägnantesten in dem Palmen-Favoriten „Emilia Pérez“, einem unwahrscheinlichen und dynamisch instrumentierten Genre-Mix aus Musical, mexikanischem Drogenthriller und Lustspiel: Regisseur Jacques Audiard zeigt die Transformation eines brutalen, von der spanischen Trans-Schauspielerin Karla Sofía Gascón dargestellten Kartellbosses in die geläuterte Chefin eines Patchwork-Matriarchats.
In Paul Schraders jüngstem Film, in „Oh Canada“, tritt Richard Gere, 74, den der Regisseur vor 43 Jahren als ikonischen „American Gigolo“ porträtierte, als dem Tod ins Auge blickender Künstler in Szene, der die Lügen seines Lebens bekennen möchte. Und Kevin Costner, 69, der im Kino einst mit dem Wolf tanzte, versucht sich in „Horizon“ als Regisseur und Hauptdarsteller erneut an einem klassischen Hollywood-Western.
Weibliche Empathie
Für alte weiße Männer interessiert sich auch die deutsche Regisseurin und Produzentin Katrin Schlösser, die sich in ihrem neuen Film, in „Besuch im Bubenland“ (ab 30. Mai im Kino), allerdings auch junge Exemplare der zu studierenden Spezies vor die Kamera holt, um sie zu deren Welt- und Selbstbildern zu befragen. Im Südburgenland, Bezirk Jennersdorf, suchte Schlösser die Begegnung mit ihr größtenteils unbekannten Menschen aller Altersstufen und Milieus, darunter Nebenerwerbsbauern, Betonarbeiter, bourgeoise Landbewohner und ein Bürgermeister. Die Filmemacherin nähert sich den Objekten ihrer Untersuchung grundsätzlich sympathisierend, nicht primär „kritisch“ – und fördert Heiteres, Unerwartetes, Abgründiges zutage.
Warum die aus der DDR stammende Künstlerin überhaupt ins Auge fasste, einen Film über Männer zu drehen, erklärt sie im profil-Gespräch so: Sie komme aus einer „Frauenfamilie“, sei mit ihrer Mutter und Großmutter aufgewachsen, ihre Eltern hatten sich früh getrennt. „Die erste Erinnerung an meinen Vater ist, glaube ich, sein Pimmel, den ich durch ein Schlüsselloch gesehen habe. Dieses Bild ist mir seltsamerweise geblieben.“ Als „geschundenes Scheidungskind“, gar Opfer sehe sie sich nicht. „Aber die Abwesenheit des Vaters hat mein Leben und meine Beziehungen wohl geprägt. Meine Großmutter wurde 1905 geboren, meine Mutter 1931, und beide sprachen oft davon, dass Männer nur ‚das Eine‘ wollen: Sex. Das war ein Ausgangspunkt, das beschäftigte mich. Wie ziehen einander die Geschlechter an? Zum anderen erlebte ich, dass meine Beziehungen oft schiefgingen.“
Um die Unwegsamkeiten in ihrer eigenen Partnerschaft kreiste bereits Katrin Schlössers überraschendes Dokumentarfilmdebüt, „Szenen meiner Ehe“. Im Burgenland, wo sie mit ihrem Mann vor ein paar Jahren lebte, sei sie „nie richtig angekommen, trotz der schönen Landschaft und der freundlichen Leute. Weil es schwierig ist, tiefe Freundschaften zu schließen, mit den Menschen wirklich in Kontakt zu kommen.“
Der sozialen Verachtung alter weißer Männer scheint der Jubel des Mehrheitsvolks über betagte Führerfiguren wie Trump, Putin und Orbán zu widersprechen. Katrin Schlösser sieht die Geschlechterverhältnisse in Bewegung. Männer in der Gruppe nehme sie jedoch nach wie vor als „etwas Unheimliches“ wahr, „weil sich da so eine Kraft ballt, vor der ich als Frau mich auch fürchte“. Infolge all der Gender-Debatten und der weiblichen Selbstermächtigung – „und weil auch viele Männer da inzwischen solidarisch mitziehen – gibt es nun mehr durchlässige und fürsorgliche Männer.“
#MeToo an der Universität
Ihren Film betrachtet sie auch als Ehrenrettung eines Geschlechts, das nicht nur aus Gift, Gewalt und Galle besteht. Als Professorin an der Hochschule in Köln hat sie erlebt, wie ein Kollege mit heftigen #MeToo-Vorwürfen konfrontiert war – und wie das beispielsweise auch dazu führte, dass der Eingang zum Seminarraum, in dem er unterrichten sollte, von Studierenden blockiert wurde. „Es hat mich schon sehr verwundert, dass es nicht mehr möglich war, miteinander zu sprechen. Dass sich Vorwürfe ungeprüft und in Windeseile zu Vorverurteilungen multiplizierten. Aber auch, dass es ihm unmöglich erschien, darüber zu sprechen, was es bedeutet, in einer Machtposition zu sein und Privilegien zu genießen. Mein Film war insofern der Versuch, all diesen Erlebnissen eine andere, eigene Erfahrung entgegenzusetzen.“
Mit ihrer Handykamera stellt Schlösser ihre Filme her, ohne Team, ohne Musik und Kommentare. Sie fühle sich sehr wohl mit dieser kleinen Kamera, die sie in den Gesprächen, die sie führt, zwischen sich und ihr Gegenüber halte. „Es ist eine Barriere. Dennoch öffnen sich die Leute. Denn das Handy wirkt nicht bedrohlich. Man nimmt es nicht so ernst.“ Umso gravierender sind die Themen, die der Film anschlägt, um über die sozialen Konstruktionen des Männlichen nachzudenken: über das Nichtzulassen von Gefühlen, über Wortkargheit und Vernunftgebote. Schlösser improvisiert, fragt nicht tendenziös, stellt nicht alle naheliegenden Fragen. Ihre Gesprächspartner verweigern dennoch fallweise die Erinnerung an Schmerzhaftes, beenden ihre Erzählungen gern in Phrasen wie „Das ist halt so“ und „Passt schon“. Sie bewerte die Dinge nicht, die ihr, wenn sie filme, erzählt werden, sagt die Regisseurin. „Ich bin keine Psychologin, und ich kenne die Lebenszusammenhänge der Leute nicht wirklich.“ Man könne miteinander nur ins Gespräch kommen, „wenn man nicht sofort alles bewertet, einander ins Wort fällt, sich gleich wieder umdreht angesichts unliebsamer Aussagen. Aber ja, es war eine absolute Gratwanderung.“
Gegen Ende des Films tritt dann auch eine Frau ins Bild – und nimmt einen kräftigen Schluck aus der Bierflasche. Diese Frau habe ihr so gut gefallen, sagt Katrin Schlösser noch, dass sie ihr unbedingt eine Szene widmen wollte; sie könnte auch die Überleitung zu einem Film sein, der dann nur von Frauen handeln würde.
Die Wien-Premiere der Männer-Doku "Besuch im Bubenland" findet heute abend ab 20:15 Uhr im Filmcasino statt.