Kultur

Nicht alles Gift: Neue Männlichkeitsbilder in der Popkultur

Wie hat der Männlichkeitsbegriff es geschafft, zu einem zentralen Reizthema zu werden? In Cannes ging man dieser Frage ebenso nach wie im entlegenen Burgenland, wo die Dokumentaristin Katrin Schlösser auf eine Ehrenrettung des verrufenen Geschlechts zielt.

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Ein Mann zu sein, was bedeutet das denn genau? Kann es günstigenfalls, wie einst noch, für traditionelle Werte wie Mut, Vernunft, Härte und Entschlossenheit stehen? Und selbst wenn ja: Wieso sollten solche Eigenschaften Männern vorbehalten bleiben? Die Tendenz geht bekanntlich eher in die entgegengesetzte Richtung; Skepsis beherrscht den öffentlichen Diskurs über das lange schon nicht mehr als „stark“ wahrgenommene Geschlecht: Der Begriff der „Männlichkeit“ ist in manchen Kreisen ohne das Beiwort „toxisch“ gar nicht mehr zu haben.

Ganz grundlos erscheint diese weitreichende Geringschätzung nicht; als Autokraten, Kriegstreiber, Gewalt- und Übergriffstäter machen gerade auch medial exponierte Männer ihrem Geschlecht oft wenig Ehre. Doch der Druck, der dem Patriarchat nach Jahrtausenden der unbezweifelten Dominanz immer heftiger zusetzt, produziert erstaunliche Veränderungen: Eine aufgeklärte, feministisch, aber auch identitätspolitisch bewegte Gesellschaft hat entscheidend dazu beigetragen, die eindimensionale Idee der Maskulinität als Aggressionslust und Durchsetzungsstärke nachhaltig zu differenzieren.

Weichheitskorrekturen

Alternative Männerbilder sind daher allgegenwärtig, der empfindsame, romantisch-selbstironische Held hat es längst auch in Hollywood auf die A-List geschafft; aber selbst die neuen Protagonisten des geschlechterpolitischen Feingefühls geben sich, als müssten sie ihre Weichheit sicherheitshalber auch ein wenig korrigieren, zuweilen härter, als es die Herz- und Basisnoten ihrer Images erlauben: Selbst everybody’s darling Ryan Gosling, der als Barbies Ken im Kino die Unsicherheiten und Eitelkeiten des Maskulinen vor einem Milliardenpublikum satirisch aufbereitet hat, tritt regelmäßig in Prügel-Actionthrillern wie „The Gray Man“ auf.

Pop-Superstars wie Harry Styles und Ed Sheeran, die nicht den geringsten Wert darauf legen, sich als tough guys zu inszenieren, beweisen indes die Attraktivität von Genderfluidität und männlicher Zartheit. Die Pop-Industrie war in dieser Hinsicht federführend, hatte stets prophetische Bilder parat: Die femininen Rollenspiele, die David Bowie und Marc Bolan bereits in den 1970er-Jahren wagten und damit den Weg in die Anti-Machismo-Bewegung des Glam-Rock ebneten, bereiteten auch die androgynen Moden der britischen New Romantics der 1980er-Jahre vor. Der Rücksturz in das ungeschminkt-breitbeinige Gitarrenspiel und die Männerschweißkulturen von Grunge und Metal in der darauf folgenden Dekade machte aber deutlich, dass der Chauvinismus in der Populärkultur alles andere als besiegt war.

Trump als Vergewaltiger

Auch bei den gerade zu Ende gegangenen Filmfestspielen in Cannes wurden Männlichkeitskonzepte kritisch überprüft: Donald Trump, der so etwas wie die Quintessenz männlicher Toxizität darstellt, steht etwa in dem Film „The Apprentice“ im Zentrum.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.