Jordan Peele
Kino

"Nope" von Jordan Peele: Nicht hinschauen!

Jordan Peele legt seine bislang wahnwitzigste Arbeit vor: eine abenteuerliche Kreuzung aus Western, UFO-Thriller und Mediensatire.

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Der englischsprachige Begriff „Nope“ kommuniziert eine Verneinung, ein lakonisch-umgangssprachliches „Nö“ – es ist die Signalphrase der abgeklärten Verweigerung. Und tatsächlich lehnt es Jordan Peeles jüngster Film, der eben „Nope“ heißt, rundheraus ab, bestimmten Darstellungskonventionen oder dramaturgischen Übereinkünften zu gehorchen. Allerdings könnte der Titel, so wird seit Wochen spekuliert, auch als Kurzform für „Not of Planet Earth“ stehen, schließlich geht es in dem Werk um die Ankunft eines unbekannten fliegenden Objekts, das aus dem Weltall gekommen ist und sich hinter Wolken verschanzt, um bei Nacht und Nebel jene zu attackieren, die es anzusehen wagen.

Zu behaupten, Jordan Peeles neuer Film sei unvergleichlich, ist ausnahmsweise nicht bloß leeres Promotion-Gerede. Denn so etwas wie „Nope“ (Kinostart in Österreich: 11. August) hat Seltenheitswert in einer Industrie, die sich der strikten Wiederholung gängiger Formate, der akribischen Vermeidung allzu „origineller“ Zugänge und der möglichst niederschwelligen Marktbedienung verschrieben hat. „Nope“ schlägt diese ungeschriebenen Gesetze in den Wind: Peele setzt auf Verstörung und Verfremdung, reißt Lücken in einen schon an sich komplizierten Erzählfluss, fordert Mitdenken, kreatives Engagement ein. Hollywood-Opportunisten sehen anders aus. Aber gerade mit dem Einfallsreichtum seiner Arbeit hat sich Jordan Peele einen Sonderstatus in der Normtraumfabrik erarbeitet. 

Comedy und Horror sind einander nur auf den ersten Blick fern. In Jordan Peeles Karriere passten Spaß und Schrecken immer schon bestens zueinander. Als TV-Comedian und Comedy-Autor machte er sich ab 2003 in der Comedy-Serie „MadTV“ einen Namen; wie entwaffnend sicher schon der junge Peele arbeitete, mag ein Blick auf den – via YouTube abzurufenden – Sketch „Post-It Notes“ bestätigen, der ihn als Gangsta-Rapper bei dem Versuch zeigt, einen möglichst hartgesottenen Werbespot für selbstklebende Notizzettel zu improvisieren. An der Seite des kongenialen Keegan-Michael Key lieferte er in der Reihe „Key & Peele“ (2012–15) heiteres Material am laufenden Band (und persiflierte unter anderem sehr gekonnt auch Barack Obama), gemeinsam tauchten sie als Spezialagenten-Duo auch in Staffel eins der Krimiserie „Fargo“ (2014) auf. Es ist kein Zufall, dass Peele mit einer hochtalentierten Stand-up-Komödiantin verheiratet ist: Chelsea Peretti, mit der Peele einen fünfjährigen Sohn hat, blickt wie ihr Mann auf das Leben als Burleske, auch (und insbesondere) wenn es sich derart dramatisch zuspitzt, dass sich Humor zu verbieten scheint. 

Das Grauen einer „Freiheit“, die den Rassismus perpetuiert, ist Jordan Peeles Spielfeld.

Es sieht, von außen betrachtet, so aus, als habe Peele seine Karriere strategisch angelegt: nur nichts überstürzen, nicht mit jedem Erfolg gleich eine Stufe höher wollen. Also wartete er zu, lernte sein Geschäft kennen – und wie man darin umsichtig expandiert. Als er 2015 endlich ins Kinobusiness einstieg – als Produzent, Autor und Hauptdarsteller des Gangster-Lustspiels „Keanu“ –, blickte er als Schauspieler und Autor bereits auf zwölf Jahre Erfahrung zurück. 2012 hatte er sein eigenes Unternehmen gegründet, „Monkeypaw Productions“, benannt nach einer 120 Jahre alten englischen Horrorkurzgeschichte, in der es um den Preis geht, den man für die Anmaßung zu bezahlen hat, auf Erfüllung dreier freier Wünsche zu bestehen. 

Nun gehört zu den Grundmythen Amerikas bekanntlich auch die Idee, dass dort die unrealistischsten Wünsche wahr werden können, dass bei entsprechendem Leistungswillen jeder Mensch alle Möglichkeiten zur Selbstentfaltung habe. Dieser Idee treten Peeles Filme in aller Schärfe entgegen: Das Grauen einer „Freiheit“, die den Rassismus perpetuiert und die deplorables, die „bedauernswerte“ Mehrheit der Mittellosen, zu unkontrollierter Waffengewalt, Menschenhass und wild wucherndem Verschwörungsdenken bringt, ist Jordan Peeles Spielfeld. Der Horror, der in seinen Filmen wirkt, ist also – auch wenn es um Übersinnliches und Außerirdisches geht – sehr real; Unterhaltungswert bezieht er aus der Überzeichnung dieses Schreckens, aus der Entstellung der sozialen und politischen Misere, von der er berichtet, zur Kenntlichkeit.

Mit einem unerwartet exzentrischen Rassismus-Thriller namens „Get Out“ debütierte er 2017 als Regisseur – und landete einen Welterfolg; der Film, konzipiert als Low-Budget-Produktion, spielte das fast 60-Fache jener 4,5 Millionen Dollar ein, die er gekostet hatte. Für sein Drehbuch zu „Get Out“ erhielt Peele einen Oscar. Damit war er im Pantheon des New Black Cinema angelangt; 2018 produzierte er Spike Lees „BlacKkKlansman“. Peeles Horrorfilm „Us“ (2019), dessen Herstellung mit immer noch moderaten 20 Millionen zu Buche schlug, lukrierte erneut fast 260 Millionen Dollar an den globalen Kinokassen. Dieser Doppelgänger- und Menschenaustausch-Schocker, inspiriert von einer 1960 ausgestrahlten Folge der legendären, von Peele sehr geschätzten TV-Serie „The Twilight Zone“, demonstrierte erneut, dass die Popkultur das Fundament im Schaffen dieses Künstlers ist.

Es spricht für Peeles kreatives Selbstverständnis, dass er an ausgerechnet jenem Punkt, an dem ihm erstmals ein stattliches Produktionsbudget zur Verfügung stand – „Nope“ kostete knapp 70 Millionen Dollar –, sein bislang absonderlichstes Werk ins Auge fasste. Der Film, gedreht im weiten Wüstenland hinter Los Angeles, beginnt mit einem beunruhigenden Zitat des biblischen Propheten Nahum: „Ich will Unrat auf dich schleudern und dich schänden und ein Schauspiel aus dir machen.“ Das Spektakel ist der entscheidende Begriff des Films – und zugleich auch seine Form. Denn „Nope“ handelt vom zwanghaften Hinschauen, von der Unmöglichkeit, den Blick abzuwenden, also auch von der Obszönität der Medienlandschaft selbst.

Daniel Kaluuya (siehe auch das Kurzporträt links) und die erstaunliche Keke Palmer, 28, spielen ein Geschwisterpaar, das im amerikanischen Nirgendwo eine Pferderanch führt: Palmers stark erhöhtes Energie-Level gleicht die Passivität, die fast depressive Aura aus, mit der sich Kaluuya durch den Film schleppt. Auch diese beiden verlorenen Figuren arbeiten an den Rändern des Laufbildbetriebs: Sie stellen ihre Pferde für Werbespots zur Verfügung. 

In Peeles Filmen lehnen sich die Ausgebeuteten gewaltsam auf: Der blutige Amoklauf eines Schimpansen, der als Star einer Sitcom zum Publikumsliebling avanciert war, setzt die Handlung in Gang. Der Western ist zum Themenpark verkommen, den ein Überlebender des Affenmassakers (Steven Yeun) betreibt. Die immer zudringlichere extraterrestrische Kreatur, die alle Stromkreise außer Kraft setzen kann, Pferde und Menschen ansaugt und verschlingt, wird zur Geschäftsidee der bankrotten Pferdezüchter: Sie engagieren einen eigensinnigen Kameramann (Michael Wincott), der das Wesen aus dem All mit einer eigens konstruierten, handgekurbelten IMAX-Kamera dokumentieren soll. Das Material will man anschließend gewinnbringend veräußern.

Race und Klasse, die Grundthemen der ersten Filme Peeles, werden in „Nope“ von anderen Motiven ergänzt und überlagert, nicht jedoch verdrängt: Ein schwarzer Reiter, der sich auf einer der protofilmischen Bewegungsstudien des englischen Fotografen Eadweard Muybridge von 1878 findet, gehört in diesem selbstreflexiven Werk zu den Urahnen des Protagonistenpaars. „Nope“ nimmt den Irrsinn der Gegenwart – und insbesondere die Toxizität der Vereinigten Staaten von Amerika – ins Visier, eine aus allen Fugen geratene Kultur der Verschwörung, des Amoklaufs, des Voyeurismus und der Unterhaltung um jeden Preis. Das Faszinosum, das diese Kultur auch darstellt, leugnet Jordan Peele nicht. 

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.