NS-Täter aus Vorarlberg: Schwindel und Schmiss
Die Spuren wurden bald verwischt. Ein Foto aus dem Jahr 1941 zeigt den Bregenzer Rechtsanwalt Harald Eberl im Anzug mit Hakenkreuzanstecker und strammem Seitenscheitel. Im Gesicht trägt der Doppeldoktor einen Schmiss vom Kinn bis zur Wange. Auf dem Nachkriegsfoto ist ein Mann ohne Narbe zu sehen. Mutmaßlich ließ sich Eberl (1902–1990) den Schmiss wegoperieren oder das Porträtbild, das einen honorigen Vorarlberger Wirtschaftstreibenden und Multifunktionär zeigen soll, retuschieren.
Seit 40 Jahren erinnert die Johann-August-Malin-Gesellschaft (JAMG) Österreichs kleinstes Bundesland in Publikationen und Veranstaltungsreihen an seine all-zu gern verdrängte Vergangenheit im Nationalsozialismus. Ihren Namen erhielt die rund 200 Mitglieder zählende Gesellschaft nach Johann August Malin aus der Kleingemeinde Satteins, der 1942 wegen „Wehrkraftzersetzung“ in München-Stadelheim hingerichtet wurde. Vorarlberg hat keine Universität, die JAMG etablierte dennoch eine bedeutende Zeitgeschichtsforschung.
Mit der neuen Publikation „Menschenverächter“, die acht NS-Täterbiografien von Vorarlbergern vorstellt, schließt sich nun so etwas wie ein Kreis: In dem 1985 publizierten Band „Von Herren und Menschen“ zeichnete die JAMG erstmals ein detaillierteres Bild von Vorarlberg in der NS-Zeit. „Von Herren und Menschen“ spannte einen Ursache-Wirkung-Bogen, der in „Menschenverächter“ eindrucksvoll erweitert wird: In den Biografien der Täter, verfasst von langjährigen Malin-Mitgliedern, geht es weniger um die Psychologie des Mordens und des Mitläufertums, mehr um die mit Wissen und Expertise dargelegten Umstände und Milieus, in denen vorgeblich kreuzbrave Vorarlberger zu fanatischen Nationalsozialisten wurden. Von einigen dieser Täter waren bislang die Namen bekannt, nicht jedoch das Ausmaß ihrer NS-Verstrickung. So gut wie alle entgingen der Nachkriegsjustiz.
Wie eben Harald Eberl, der Mann mit dem zerschnittenen Gesicht. Der Bruder des Mediziners und ersten Kommandanten des Vernichtungslagers Treblinka, Irmfried Eberl, stand als Jurist im Dienst von Vorarlberger Industriellen, die zügellose Arisierung betrieben. Er war mitverantwortlich für die Zwangsarbeit auf den Baustellen des Vorarlberger Energieversorgers Illwerke.
Anruf in Dornbirn bei „Menschenverächter“-Herausgeber Werner Bundschuh, 71, von 1991 bis Mai dieses Jahres Obmann der JAMG, die seitdem vom Dornbirner Lehrer Johannes Spies geführt wird. „Vorarlberg weist NS-Täterinnen und -Täter wie jedes Bundesland auf“, sagt Bundschuh: „Täter wie Josef Hämmerle und Herbert Kiene, die direkt in den Holocaust involviert waren, oder ‚geistige Täter‘ wie Ferdinand Ulmer, Rektor der Universität Innsbruck, an dessen Institut in jungen Jahren der jetzige Bundespräsident Van der Bellen als Volkswirtschaftler gelehrt hat.“
Der Lustenauer Josef Hämmerle (1905–1972), so ist in „Menschenverächter“ nachzulesen, administrierte im Getto Litzmannstadt den Massenmord an Hunderttausenden Jüdinnen und Juden. Im Mai 1945 kehrte er nach Vorarlberg zurück und lebte hier bis 1972 völlig unbehelligt. Ferdinand Ulmer (1901–1974) wiederum, enthüllt Bundschuh in seinem Beitrag, war Mitglied der berüchtigten „Reinhard-Heydrich-Stiftung“, die pseudowissenschaftliche Grundlagen für das NS-Mordhandwerk lieferte.
„In den Anfangsjahren wurde die Malin-Gesellschaft stark angefeindet“, erinnert sich Bundschuh. „Heute hat sich das Klima geändert. Die Forschungsergebnisse werden von den maßgeblichen Stellen akzeptiert. Natürlich habe ich als Herausgeber auch Rückmeldungen wie ‚Jetzt gebt doch endlich eine Ruh!‘ erhalten. Aber kein Vergleich zu den Angriffen von früher.“ Positiv wertet Bundschuh, dass das Stadtmuseum Dornbirn 2023 eine Ausstellung zur NS-Zeit vorbereitet. Darin darf der Name Herbert Möller (1902–1981) nicht fehlen. „Möller ist das negative Paradebeispiel eines österreichischen Richters und Staatsanwalts im 20. Jahrhundert“, schreiben die „Menschenverächter“-Autoren. Möller war als Ankläger an acht NS-Todesurteilen beteiligt; als Höchstrichter am Obersten Gerichtshof ging er in Pension.
Menschenverächter. Vorarlberger als Akteure bei Entrechtung und Vernichtung im Nationalsozialismus.
Werner Bundschuh (Hrsg.). Vorarlberger Autoren Gesellschaft. 263 S., EUR 24,90
Meinrad Pichler, 74, hat in „Menschenverächter“ das Kapitel über Herbert Kiene (1907–1956) beigesteuert. Der ehemalige Lehrer, der vor einigen Jahren das Standardwerk „Nationalsozialismus in Vorarlberg“ veröffentlichte, porträtiert den Bregenzer Kiene, der mit SS-Reichsführer Heinrich Himmler ein Naheverhältnis pflegte, als beflissenen Mittäter am Völkermord.
Kommende Generationen von Historikerinnen und Historikern, ist Pichler am Telefon in Bregenz überzeugt, werden überregionale Archive durchforsten. „Dabei wird noch mancher bisher unbekannte Täter ans Licht kommen. Die Geschichte ist noch nicht zu Ende geschrieben.“