NSU-Trio Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos

Die NSU-Prozessprotokolle: "Knallender Abschluss"

Der Mammutprozess gegen die rechtsextreme Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" ging in diesem Sommer zu Ende. Ein Team von Reportern hat das Verfahren auf 2000 Seiten dokumentiert. Wolfgang Paterno über eine unverzichtbare Lektüre.

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NSU steht nicht nur für "Nationalsozialistischer Untergrund", für das Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, das zwischen 2000 und 2007 mit zehn heimtückischen Morden an acht Männern mit türkischen und an einem mit griechischen Wurzeln sowie an einer Polizistin ganz Deutschland aufwühlte, sondern sinnbildlich auch für notorisches Wegsehen, für ein Dunkel, in dem sich Demokratieverächter und Fremdenhasser, bekennende Nationalsozialisten und brave Bürger, die sich im Keller unterm Hitlerbild mit Prosecco zuprosteten, ungehindert tummelten. Mundlos und Böhnhardt hatten sich 2011 selbst erschossen. Zschäpe wurde bis Juli 2018 der Prozess gemacht.

50 Plätze für Journalisten wurden im Schwurgerichtssaal A 101 des Oberlandesgerichts München zu Beginn des NSU-Verfahrens verlost. Einem Team des Magazins der "Süddeutschen Zeitung" gelang es, einen Platz im Saal zu erhalten. Annette Ramelsberger, Gerichtsreporterin der "Süddeutschen Zeitung", die freie Journalistin Wiebke Ramm, Tanjev Schultz, Professor für Journalistik an der Mainzer Johannes-Gutenberg-Universität, sowie "Süddeutsche"-Redakteur Rainer Stadler haben den Prozess, bei dem die Richter des 6. Strafsenats sämtliche Ton-und Bildaufnahmen verboten hatten, von Anfang Mai 2013 bis Juli 2018 mit Laptops auf den Knien begleitet, fast fünf Jahre oder 438 Tage lang.

Herausgekommen ist die fünfbändige Chronik "Der NSU-Prozess", eine epochale Materialsammlung, ein publizistisches Bollwerk gegen Geschichtsklitterung und ideologische Falschfärberei, eine Zeitmitschrift im besten Sinn.

"Der NSU-Prozess" will keine lückenlose Darstellung sämtlicher Aussagen und juristischer Begebenheiten sein, die Bände arrangieren vielmehr die zentralen Themen und Abläufe eines Jahrhundertprozesses. Mit einigem Recht verweisen die Autoren auf ein anderes Gerichtsverfahren historischen Ausmaßes: Nach dem Auschwitz-Prozess Mitte der 1960er-Jahre sollten die Tonaufnahmen vernichtet werden, erst nach Protesten jüdischer KZ-Opfer wurden die Protokolle aufbewahrt; inzwischen hat die UNESCO die Auschwitz-Aufzeichnungen als Quelle von welthistorischem Rang anerkannt. "Der NSU-Prozess" ist schon jetzt ein Grundtext für eine Gegenwart, in der Rassismus, Rechtsextremismus und hetzerische Polit-Rhetorik immer weitere Kreise ziehen.

Der NSU-Anklage folgte ein Mammutverfahren, das umfangreichste der deutschen Nachkriegsgeschichte. Fünf Angeklagte, 14 Verteidiger, 600 Zeugen, rund 90 Nebenkläger mit 60 Anwälten, eine halbe Million Blätter Ermittlungsakten, 263 Beweis-und 46 Befangenheitsanträge, eine Anklageschrift, vorgelegt von der Bundesanwaltschaft, die 488 Seiten umfasste. Auf der Anklagebank: Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, Carsten Schultze, Holger Gerlach, André Eminger. Den Männern wurde vorgeworfen, Waffen, Wohnungen, Geld und Ausweise für die Terrorzelle besorgt zu haben. Zschäpe, so die Bundesanwaltschaft, sei gleichberechtigtes NSU-Mitglied gewesen, obwohl sie an keinem der Tatorte war. Verhandelt wurden zehn Morde, zwei Bombenanschläge und 15 Raubüberfälle. Der Vorsitzende Richter, Manfred Götzl, schreiben die "Protokoll"-Reporter, funktionierte "all die Jahre wie ein Uhrwerk". Wie am sechsten Tag des Verfahrens, 5. Juni 2013:

Götzl: Was war denn das Motiv dafür, dass Sie Dönerbuden umgeworfen haben? Angeklagter Schultze: Die Dönerbuden waren ein bestimmtes Feindbild. Götzl: Sie dürfen ruhig ein wenig ausholen. Schultze: Es war eine spontane Aktion, da wurde nichts geplant. Ich bin halt mitgegangen. Ich habe die anderen nicht überredet, aber mich auch nicht zurückgehalten. Wir hielten das für eine lustige Aktion, wir haben denen eins ausgewischt.

Das NSU-Verfahren hat eine lange Vorgeschichte. Sie sprengt die Grenzen des Juristischen, nimmt ihren Anfang in der ehemaligen DDR, mischt politisches und polizeiliches Versagen. Unter den blühenden Landschaften, von der Politik nach der Wende 1989 vollmundig versprochen, wucherte der braune Morast; die vorgeblich An- und Bodenständigen bildeten die schweigende Phalanx der antidemokratischen Mitläufer. Die Staatsmacht gab sich auf einem Auge blind: Terror von rechts? Eine braune RAF? Unmöglich. "Zu dumm seien die Rechten, zu sehr seien sie von Staatsspitzeln umstellt, als dass sich Terrorzellen unbemerkt entwickeln könnten", zitieren die Autoren Verfassungsschützer. Die türkische Mafia stecke hinter den Taten, im Drogenmilieu seien die Täter zu suchen.

Der Witwe von Enver Şimşek, dem ersten NSU-Opfer, wurde von Polizisten eingeredet, ihr Mann hätte eine heimliche Geliebte gehabt; mittels monatelanger Abhöraktionen schüchterten die Ermittler die Familie Yozgat ein, deren Sohn Halit im April 2006 durch gezielte Kopfschüsse ermordet worden war. Der Boulevard schrieb von "Döner-Morden", während Deutschland von einer Mordserie erschüttert wurde, die Züge eines Staatsstreichs trug. Die Selbstenttarnung des NSU im November 2011 durch Bekennervideos schockierte die Republik.

"Die NSU-Protokolle" ist ein Buchprojekt, das minutiös die Ungeheuerlichkeit einer politisch aufgekratzten Zeit durchmisst. Wer wissen will, wohin Gleichgültigkeit und Gedankenlosigkeit gegenüber Extremismen führen können, tut gut daran, diese Schriften genau zu lesen. Viele Antworten auf die Frage, aus welchem Reservoir rechtsextreme Parteien ihre Anhänger schöpfen, sind in diesen fünf Bänden zu finden.

Um 1992 lernten der Professorensohn Uwe Mundlos, der aufbrausende Waffenfetischist Uwe Böhnhardt und die von Nachbarn "Diddlmaus" gerufene Zschäpe im Jenaer Jugendtreff "Winzerclub" einander kennen . Bald radikalisierte sich das Trio: Es platzierte einen Koffer mit TNT und aufgemaltem Hakenkreuz am Theaterplatz in Jena und verschickte Drohbriefe mit Sprengstoff; als Ignatz Bubis, der damalige Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Thüringen besuchte, baumelte an einer Autobahnbrücke eine Puppe mit Strick um den Hals und angenähtem Davidstern. Am 26. Januar 1998 durchsuchte die Polizei eine Garage, in der sich halbfertige Rohrbomben und TNT fanden. Noch am selben Tag setzten sich Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe für mehr als 13 Jahre in den Untergrund ab.

Tag 27,24. Juli 2013, Vernehmung von Olaf B., Nachbar von Beate Zschäpe in der Zwickauer Frühlingsstraße 26. Götzl: Ist in Ihrem Besitz eigentlich ein Bild von Hitler? Olaf B.: Ja, das habe ich. Es steht im Keller auf dem Fernseher. Götzl: Was hat es mit dem Bild auf sich? Olaf B.: Das ist ein Andenken an meinen Nachbarn. Ich hab die Wohnung nach seinem Tod entrümpelt und es in meinen eigenen vier Wänden auf den Fernseher gestellt. Jeder, der bei mir im Keller saß, wusste das.

Im September 2000 ermorden Mundlos und Böhnhardt in Nürnberg den Blumenhändler Enver Şimşek als erstes Opfer des NSU. Tag 14,24. Juni 2013, Norbert H., pensionierter Kriminalbeamter, berichtet, wie er Şimşeks Leichnam auffand. Norbert H.: Der Einschuss erfolgte an der rechten Schläfe. Das steckengebliebene Projektil des zweiten Schläfenschusses war am Kopf noch ertastbar. Wir konnten Anschmierungen von Blut im vorderen Brustbereich feststellen. Auch am Hals fanden wir Spritzspuren von Blut, und am Unterarm fanden sich Tropfspuren von Blut.

Juni 2001: Mord am Schneider Abdurrahim Özüdoğru in seinem Laden in der Nürnberger Innenstadt. Juni 2001: Bluttat am Gemüsehändler Süleyman Taşköprü in Hamburg. August 2001: Der Lebensmittelhändler Habil Kiliç wird in München erschossen. Februar 2004: Mundlos und Böhnhardt richten Mehmet Turgut hin, Mitarbeiter eines Döner-Imbisses in Rostock. Juni 2005: Mord am Imbiss-Besitzer Ismail Yaşar in Nürnberg. Juni 2005: Mundlos und Böhnhardt töten den Schlüsseldienst-Betreiber Theodoros Boulgarides in München. April 2006: Mundlos und Böhnhardt meucheln Halit Yozgat in seinem Internetcafé in Kassel. April 2007, der zehnte Mord: Die Extremisten überfallen die Besatzung eines Streifenwagens in Heilbronn und erschießen die Polizistin Michèle Kiesewetter.

Anfang November 2011 wurden Böhnhardt und Mundlos nach einem Banküberfall in ihrem Wohnmobil gestellt und begingen Selbstmord. Zschäpe legte Feuer in der gemeinsamen Wohnung in Zwickau und tauchte unter -zuvor steckte sie ein Dutzend DVDs mit NSU-Bekennervideos in Briefkästen, adressiert an Medien, jüdische und islamische Einrichtungen, mit der Trickfilmfigur Paulchen Panther als Erzähler, synchronisiert als rosaroter Ausländerhasser.

Tag 192,12. März 2015, Zeuge Andreas R., Verkaufsleiter aus München Götzl: Hatte er (Mundlos, Anm.) Vorlieben für bestimmte Fernsehsendungen? Andreas R.: Ja, den Rosaroten Panther fand er damals schon immer ganz toll. Diese Sprüche, da kommt ja immer so eine Stimme aus dem Off, das gehörte eigentlich zu seinem Sprachgebrauch.

Am 8. November 2011 stellte sich Zschäpe der Polizei.

Beate Zschäpe agierte in München als Geist unterm Gerichtsdach. Sie ließ 248 Tage bis zu ihrer ersten Wortmeldung verstreichen, vorgetragen von ihrem Anwalt.

Zschäpe wurde 1975 in Jena geboren. An so ziemlich jeder Lebenskreuzung bog sie in die rechtsextremistische Richtung ab. Ihre Gaspistole nannte die junge Beate "Wally", in ihrer Wohnung hingen Morgenstern und Streitaxt. Sie bastelte an einem Spiel namens "Pogromly" mit, einer menschenverachtenden "Monopoly "-Version, bei der es statt Bahnhöfen Konzentrationslager zu kaufen gab. Zschäpe wollte Kindergärtnerin werden und machte eine Lehre als Gärtnerin, arbeitete aber nie in jenem Beruf.

Tag 186,24. Februar 2015, Vernehmung der Zeugin Gabriele S. Götzl: Haben Sie etwas über ihre (Zschäpes, Anm.) Lebensumstände erfahren? Gabriele S.: Was so arbeitsmäßig war. Sie hat gesagt: Der Schwiegervater hätte eine Firma, der würde genug Geld verdienen, da bräuchte sie nicht arbeiten. Sie war eine normale Hausfrau.

Während der Verhandlung ließ sie ein schwer erträgliches Maß an Empathiemangel erkennen. Der Vater eines Ermordeten warf sich vor ihr auf den Boden, um zu demonstrieren, wie er seinen toten Sohn aufgefunden hatte. Zschäpe starrte auf den Bildschirm ihres Laptops, mit wenig mehr sichtbaren Regungen als gähnender Müdigkeit.

Tag 42,2. Oktober 2013, Ayşe Yozgat, 55, Mutter des Mordopfers Halit Yozgat. Yozgat: Mein Appell richtet sich an Frau Zschäpe: Sie sind auch eine Dame. Ich spreche Sie als Mutter an, als eine Geschädigte. Ich bitte Sie, diese Vorfälle aufzuklären. Seit sieben Jahren schlafe ich nachts nur zwei Stunden.

248 Tage schwieg Zschäpe. Am 9. Dezember 2015 verlas ihr Verteidiger Mathias Grasel eine 54 Seiten starke Erklärung, den Versuch, ihr Abdriften in den Rechtsextremismus zu begründen.

Grasel: Ich war geschockt. Ich konnte nicht fassen, was die beiden (die Morde durch Mundlos, Böhnhardt, Anm.) getan hatten. Ich bin daraufhin regelrecht ausgeflippt. Ich wusste nicht, wie ich auf diese unfassbare Tat reagieren sollte. Auf meine massiven Vorwürfe, wie man so etwas tun könne, reagierte Uwe Mundlos lediglich dahingehend, dass "eh alles verkackt sei" und dass er es zum "knallenden Abschluss" bringen wolle.

Ab Tag 375 begannen in München die Plädoyers. Herbert Hedrich, Verteidiger des Angeklagten André Eminger, verkündete: "Unser Mandant ist ein Nationalsozialist, der mit Haut und mit Haaren zu seiner politischen Überzeugung steht, auch wenn er sich in diesem Verfahren nicht geäußert hat." Am Tag 437,3. Juli 2018, ergriff Zschäpe endlich das Wort: "Ich möchte nur noch eines: einen Abschluss finden, um irgendwann ein Leben ohne Abhängigkeit, ohne Gewalt und Ängste jeglicher Art führen zu können."

Tag 438,11. Juli 2018, Urteilsverkündung durch Richter Götzl Götzl: Die Angeklagten werden deshalb verurteilt: Die Angeklagte Beate Zschäpe zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe, die Schuld der Angeklagten wiegt besonders schwer.

Über Carsten Schultze fällte das Gericht eine Jugendstrafe von drei Jahren. Ralf Wohlleben kam kurz nach dem Urteil frei. Über Holger Gerlach wurde eine Freiheitsstrafe von drei Jahren verhängt. André Eminger konnte direkt nach Prozessende als freier Mann nach Hause fahren. Die versammelten Neonazis johlten und jubelten auf der Empore des Saals.

Annette Ramelsberger, Wiebke Ramm, Tanjev Schultz, Rainer Stadler: Der NSU-Prozess. Verlag Antje Kunstmann, 5 Bde., 2000 S., EUR 82,30

Wolfgang Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.