Ökosystemfehler: Das japanische Kino-Psychodrama "Evil Does Not Exist"
In einem winterlichen Wald, an einem Bach beginnt diese Erzählung. Ein Mann schöpft Wasser ab, füllt es in Kanister, um es einem Restaurant in seinem Dorf zu bringen, das nur damit die Qualität seiner Suppen gewährleisten kann. Für den japanischen Ort, in dem die Zeit stillzustehen scheint, beginnt man sich auch im fernen Tokio zu interessieren. In den fast unberührten Naturszenerien soll ein Luxus-Camping-Platz errichtet werden, „Glamping“ lautet das Schlagwort zu dem seit einigen Jahren tatsächlich existierenden Tourismuskonzept, das für glamorous camping steht: Zelten mit maximalem Komfort. Zwei höfliche Gesandte reisen an, um den Dörflern den Plan ihres Unternehmens schmackhaft zu machen. Die Präsentation geht, weil die baulichen Maßnahmen das wasser kontaminieren könnten, allerdings schief, was auch die beiden Glamping-Beauftragten ins Grübeln bringt.
„Evil Does Not Exist“, seit vergangenen Freitag in heimischen Kinos zu sehen, kreist auf ganz unerwartete Weise um ökologische und ethische Fragen, um einen Witwer, dessen gemeinsame Existenz mit seiner kleinen Tochter durch die Ankunft der Fremden aus der Balance gerät. Inszeniert von dem japanischen Oscar-Preisträger Ryūsuke Hamaguchi („Drive My Car“, 2021), ist dieser Film mindestens so sehr ecology enigma wie murder mystery.
Hamaguchi romantisiert das Leben in der Natur nicht, er zeigt zwar, fast sachlich, deren lichte Schönheit, aber er verschweigt auch das Unheimliche der wortkargen und undurchschaubaren Dorfgemeinschaft sowie der möglichen Konsequenzen einer attackierten Umwelt nicht. Und Hamaguchi berichtet von der Bedrohung, der die Natur ausgesetzt ist, streng metaphorisch und in nuce: über einen destabilisierten Mann, der mit seinem Kind zwischen die Fronten von bedrohtem Lebensraum und ignoranter Konzernlogik gerät.
Das Mehrdeutige dieses scheinbar so schlichten Films wächst sich gegen Ende hin zu einer mythischen, nicht mehr gänzlich erklärbaren Eruption der Gewalt aus. Den Titel, der auf den ersten Blick ein wenig absurd erscheinen mag, kann man übrigens auch als Plädoyer für eine komplexere, ambivalentere Weltsicht lesen. Mit dem Schwarz und Weiß des menschlichen Moralsystems fängt die Natur nichts an; sie reagiert auf das, was ihr zugemutet wird, weder gut noch böse, sondern auf ihre – eben nicht leicht zu begreifende – Art.