Österreichs Blues-Legende Al Cook wird 70 Jahre alt
Man muss das gehört haben: den gekonnt verschleppten Rhythmus, der auf magische Weise eine gewaltige archaische Energie erzeugt. Dazu diese Stimme: extrem kraftvoll, zugleich an genau den richtigen Stellen ins Raue, bewusst Brüchige kippend. Vermutlich hat niemand diesen Song jemals besser gespielt als Al Cook: Am „Crossroads Blues“ von Robert Johnson aus den 1930er-Jahren versuchten sich Generationen von Musikern. Eric Clapton hat das Stück seit jeher im Repertoire, doch es klingt bei ihm trotz bombastischer Darbietung seltsam schal und dünn. Clapton wirkt wie ein Gitarrelehrer, der den Kern des Songs, den er abspult, nicht ganz erfasst hat.
Vielleicht könnte er sich von Al Cook abkupfern, wie man dieses von obskurer Mystik triefende Klagelied vorträgt: widerspenstig, sperrig und schrill, so dass Text und Melodie gleichsam grimmig aneinander zerren. Al Cook spielt „Crossroads“ allein, begleitet seinen Gesang lediglich mit einer Resonatorgitarre, deren Korpus komplett aus Metall gefertigt ist. Sähe man nicht hin, könnte man meinen, eine kratzige Schellackplatte zu hören, auf der Kompositionen der Giganten der Pionierära des Blues vereint sind: Blind Lemon Jefferson und Son House, Charlie Patton, Blind Blake und Big Bill Broonzy – und natürlich Robert Johnson, jener fast geisterhafte Genius, auf den sich Rockbands wie die Rolling Stones mit größter Ehrfurcht berufen.
Er interpretiert keine Songs, sondern einen Stil
Andere kopierten solche Songs mehr oder minder gelungen. Al Cook kopiert nicht. Er spielt keine Tonfolgen nach, sondern bewegt sich mit absoluter Sicherheit durch ein Genre, das er ganz und gar verinnerlicht hat. Er interpretiert keine Songs, sondern einen Stil. Nie würde er vor einem Konzert eine Liste mit Titeln erstellen, vielmehr entlädt sich während jedes Abends spontan, was in ihm steckt: der authentische Blues der 1920er- bis 1940er-Jahre.
Einst adelten ihn Kritiker mit dem Prädikat „White King of Black Blues“. Manch vermeintlicher Experte rümpfte deshalb die Nase und fand die Bezeichnung anmaßend. Ein Weißer aus Wien-Erdberg, der bürgerlich Alois Koch heißt und der glaubwürdigste Interpret schwarzer Folklore sein soll? Aber es stimmt: Keiner spielt den puristischen Blues überzeugender als Al Cook. Der Erste war er obendrein, zumindest in Mitteleuropa, der diese Basis aller heute existierenden Rock- und Popkultur wiederentdeckte und beschloss, die Tradition mit neuem Leben zu erfüllen. Im vorigen Herbst beging er sein 50-jähriges Bühnenjubiläum, am Freitag dieser Woche wird er 70 Jahre alt.
Man muss die stark verrauschten Aufnahmen vielfach vergessener Musiker aus dem amerikanischen Süden nicht unbedingt mögen, um Al Cook beeindruckend zu finden. Man kann all die bald 100 Jahre alten Delta-Blues-Platten, auf denen gnadenlos verstimmte Gitarren mitunter vom Stampfen eines Fußes übertönt werden, für schwer verdaulich halten – und Al Cooks Begeisterung für eine ungehobelte, dem Mehrheitsgeschmack kaum zugängliche Musik trotzdem Respekt zollen. „Pioneer and Legend“ lautet sein Slogan, und auch dieser Titel ist nicht übertrieben: Als er begann, sich den Blues anzueignen, ging er wie ein Naturforscher vor, der einen unbekannten Kontinent entdeckt und sich Stück um Stück exotisches Terrain erschließt.
Er beschloss, Rock’n’Roll-Musiker zu werden
Tatsächlich war zunächst die Wissenschaft sein Berufstraum: Astronomie und Astrophysik faszinierten ihn, doch für ein Studium fehlte der Familie das Geld. Also durchlief Alois Koch, geboren am 27. Februar 1945, eine Feinmechanikerlehre und jobbte in einer Fabrik. Eines Abends anno 1960 ging er ins Kino und sah einen Film mit Elvis Presley. Das Werk hieß „Gold aus heißer Kehle“ – im Original schlichter „Loving You“ – und änderte das Leben des jungen Wieners für immer. Er beschloss, Rock’n’Roll-Musiker zu werden.
Er kaufte sämtliche in Wien verfügbaren Elvis-Platten und begann mit dem Selbststudium: Er bastelte sich einen Kopfhörerausgang und hörte in jeder freien Minute Elvis. Er schlief sogar mit der Musik im Ohr und praktizierte seine eigene Schlaflerntechnik. Er stieß auf eine Platte mit Presley-Interviews und ließ sie wieder und wieder laufen – bis Elvis’ Memphis-Slang den Wiener Dialekt aus der Sprache putzte. Er montierte am Teppichklopfer seiner Mutter eine Schnur, hängte sich das Ding um den Hals und übte Elvis’ Bühnenshow.
Irgendwann kam Al Cook dahinter, dass auch Elvis Vorbilder hatte, dass etwa dessen früher Hit „That’s All Right (Mama)“ die Cover-Version eines alten Blues-Songs war. Blues-Platten waren Mitte der 1960er-Jahre allerdings schwer zu bekommen – da ging es Al Cook nicht anders als ein paar Jahre zuvor einem gewissen Keith Richards, der auf einem britischen Bahnsteig neidisch einen anderen jungen Mann namens Michael Jagger beobachtete, der ein paar Muddy-Waters-Platten unter dem Arm trug. In England entwickelten die Rolling Stones, Alexis Korner, John Mayall und Long John Baldry eine neue, rockige Spielart des schwarzen Blues. In Wien dagegen arbeitete sich Al Cook zu den Wurzeln zurück. Es war ein Knochenjob: Niemand konnte einen unterrichten. Man konnte in kein Konzert gehen und sich andere Musiker zum Vorbild nehmen. Von heutigen bequemen Lernhilfen wie YouTube ganz zu schweigen.
Kiste Wein als Trostpreis
Was also tun? Zunächst musste man nach Leuten fahnden, die alte Platten archiviert hatten, ihnen die Scheiben abluchsen und: hören, hören, hören. Mit der Gitarre neben dem Plattenspieler sitzen und so lange an den Stimmwirbeln drehen, bis die Gitarre mit der jeweiligen Aufnahme übereinstimmte; Ton für Ton suchen, Akkord um Akkord vervollständigen, letztlich das Puzzle zusammensetzen; bis man ein Lied beherrschte, bis man 100 und 500 Lieder im Repertoire hatte, bis man den Blues draufhatte. Der Vorteil der extrem aufwendigen Methode: Wer diesen Kurs mit Erfolg absolviert hat, beherrscht die Materie wirklich. So wie Al Cook.
Der Weg zum Star war damit natürlich längst nicht geebnet. Im Grunde war Al Cook schon bei seinem Live-Debüt ein lebendiger Anachronismus. Erstmals stand er im Oktober 1964 auf der Bühne. Im Rahmen eines Jugendwettbewerbs trug er „All Shook up“ vor, wurde Letzter und bekam als Trostpreis eine Kiste Wein. Die Menschen wollten keinen Elvis mehr hören, nur noch die Beatles und die Stones. Als Al Cook zum Blues schwenkte, erntete er vorerst ähnliche Reaktionen: Das Publikum verlangte nach Rock-Blues und Psychedelic-Rock. Cook spielte stattdessen Stücke aus den 1920er-Jahren – und zwar stilgetreu. In der Pause eines Gigs in der Steiermark stellte jemand einen Hut, halbvoll mit Zehngroschenstücken, auf den Tisch und erklärte: „Wir haben gesammelt. Damit du aufhörst.“
Schon damals verfestigte sich der Wille in Al Cook, keinen Millimeter von seiner Überzeugung abzuweichen. Bis heute versteht er den authentischen Blues auch als „Rebellion gegen den Zeitgeist und gegen alle Moden“. Eine seiner Devisen lautet: „Spiele nie um des Beifalls oder Mammons willen das falsche Lied.“
Er handelte stets nach dieser Maxime: Eines Tages fuhr ein Mitarbeiter seiner Wiener Plattenfirma nach England und spielte Alexis Korner Aufnahmen von Al Cook vor. Korner war, soweit man weiß, begeistert. Er meinte, man könne etwas arrangieren, gemeinsam mit ihm und eventuell mit Eric Clapton. Cook lehnte dankend ab. Denn was die Briten da spielten, sei nicht Blues, sondern Pop.
Wolfgang Ambros in Al Cooks Vorprogramm
In Österreich formierte sich trotzdem – oder eben deshalb – allmählich eine treue Fangemeinde, die sowohl die Musik selbst als auch die Hingabe, Leidenschaft und Unbeugsamkeit von Cook zu schätzen wusste. Die Menschen kamen in die einschlägigen Wiener Clubs, in denen Blues gespielt wurde. Und der für die Mainstream-Vorlieben wie aus der Zeit gefallen wirkende Musiker reifte nicht nur zum Insidertipp, sondern nach und nach zum lokalen Star eines gar nicht so kleinen Zirkels begeisterter Anhänger. 1971 trat Wolfgang Ambros in Al Cooks Vorprogramm auf.
Letztlich hat Cook alle Strömungen und Launen des Musikbusiness überdauert. Heute spielt er manchmal in den kleinen Clubs vor einer handverlesenen Zuhörerzahl, manchmal auf großen Bühnen wie im Konzerthaus, im Radiokulturhaus und im Schutzhaus Zukunft auf der Schmelz *) – dort stets vor stattlich gefüllten Sälen, was nahelegt, dass Cooks Missionsaktivitäten über die Jahrzehnte doch auf fruchtbaren Boden fielen und er einige seiner Ziele erreicht hat: zum Beispiel mit dem Irrtum aufzuräumen, Blues sei nur fad und traurig.
In Wahrheit fehlt dem Blues die Larmoyanz vieler Wiener Lieder völlig. Zwar wird oft Leidvolles besungen, aber der Trübsinn hält sich in Grenzen. Blues kokettiert mit dem Scheitern, treibt mit dem Straucheln Schabernack, geschickt in Wortspiele voller oft deftiger Anzüglichkeiten verpackt. „Der Blues ist eine unsentimentale Klage“, sagt Al Cook. „Er ist dazu da, um Leute, die den Blues haben, davon zu kurieren.“
*) Im „Schutzhaus zur Zukunft“, 1150 Wien, verlängerte Guntherstraße, feiert Al Cook am 27. Februar seinen 70. Geburtstag mit einem Jubiläumskonzert. Beginn: 20.00 Uhr.