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Opern-Star Elīna Garanča: „Ich habe genug geheult und Selbstzweifel gehabt“

Mit Schnaps gegen die Kälte und Frechheit gegen die Erstarrung: Die aus Lettland stammende Sängerin Elīna Garanča, demnächst mit zwei großen Freiluftkonzerten in Österreich präsent, erzählt im profil-Interview von Amerika-Müdigkeit, Cancel-Unlust und „idiotischen Selfies“.

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Die Lettin Elīna Garanča macht es sich selbst nicht leicht – und erwartet daher auch einiges von ihrem Gegenüber. Hochbegabt, ausstrahlungsstark, fokussiert und neugierig will sie sich nicht wiederholen, sondern dazulernen; auch in einem Interview – im Nachdenken über sich selbst. Als eine der gegenwärtig führenden Mezzosopranistinnen haben ihre Eltern sie entscheidend geformt. Ihr Vater war Chordirigent, ihre 2015 verstorbene Mutter Gesangsprofessorin in Riga. Bei ihr hat sie studiert, nach dem Tauwetter im Baltikum auch international. Die professionellen Grundlagen ihres Berufs hat sie sich in Meiningen, Frankfurt und an der Wiener Staatsoper erarbeitet. Mozarts Annio unter Nikolaus Harnoncourt war 2003 in Salzburg ihr Durchbruch.

SALZBURGER FESTSPIELE 2003/ãLA CLEMENZA DI TITOÒ

Seither hat Garanča dem Druck des Starseins standgehalten, weil sie planen und sich selbst befragen, gegebenenfalls auch warten kann. Fixpunkte in ihrem ständigen Reiseleben sind freilich ihr aus Gibraltar stammender, dirigierender Ehemann Karel Mark Chichon, mit dem sie seit 2006 verheiratet ist, sowie die beiden Töchter, elf- und 13-jährig. Mit ihnen lebt sie bei Marbella und in Riga. Zweimal im Jahr ist Garanča auch Star zweier Open-Air-Konzerte in Österreich: heuer am 2. Juli im Stift Göttweig mit „Klassik unter Sternen“, am 5. Juli bei „Klassik in den Alpen“ in Kitzbühel.

Ihr Open-Air-Konzert „Klassik unter Sternen“ findet Anfang Juli zum bereits 17. Mal statt, Ihre „Klassik in den Alpen“ zum 12. Mal. Dachten Sie, als Sie damit begannen, an einen solchen Erfolg?

Elīna Garanča

Nein, das ging damals ja ganz unverbindlich los, als eine der üblichen Open-Air-Anfragen. Warum nicht, meinten mein Mann (der Dirigent Karel Mark Chichon, Anm.) und ich, probieren wir es aus. Und die Leute waren hingerissen, alles war erstklassig organisiert. Also ging es weiter. Wir luden Kollegen ein, initiierten „Garanča & Friends“. Irgendwann waren wir eine Institution, die sich auch der Nachwuchspflege verschrieb, „Zukunftsstimmen“ präsentierte.

Wie wurden die beiden so unterschiedlichen Schauplätze – einerseits Stift Göttweig in der Wachau, andererseits Kitzbühel – gewählt?

Garanča

Das war ein Vorschlag der Veranstalter, und er hat sich bewährt. Es ist natürlich auch von Vorteil, wenn man mit demselben Orchester und Programm gleich zwei Bundesländer bedienen kann. Ich fühle vor dieser Klosterkulisse eine durchaus spirituelle Energie, denke dort über Gott und den Tod nach. Aber auch Kitzbühels majestätische Bergkulisse passt gut. Wir bieten ja nicht nur ein Spektakel, sondern ernsthafte Musik in perfekter akustischer Form.

Lieben Sie diese ganz großen Auftritte?

Garanča

Ich mache so etwas sehr gezielt, nur diese beiden Male im Jahr. Aber ob ich vor 2000 Menschen in einem Opernhaus singe oder vor 10.000 unter freiem Himmel, das ist nichts fundamental anderes. Der Unterschied liegt allerdings in der Mikrofonierung. Da habe ich viel gelernt: welche Momente wie groß sein müssen, wie ich mich selbst höre. Das hat dann auch meine Opernabende und Solokonzerte bereichert. Ich bin inzwischen auf so großen Bühnen spontaner und selbstsicherer geworden. Und ich habe gelernt, zu improvisieren.

Wie denn?

Garanča

Indem wir uns den Gegebenheiten kurzfristig anpassen. Wir haben alles erlebt – acht Grad Celsius mit vorsorglichem Schnapstrinken, Regenschauer, Gewitterstürme, aber auch 38 Grad Hitze, verwehte Noten, heißen Staub im Mund. Noch nie jedoch fiel ein Konzert aus, auch nicht in den Pandemiejahren. Man wird durch die große Form sensibler: Was kann ich von meiner Stimme verlangen? Wo liegen die Limits? Und wann bin ich so krank, dass ich auch mit Tricks nicht mehr singen kann?