Kritik

Film "Nomadland": Magie und Humanismus

Kleines Wunder der Lebensnähe: Kinostart für Chloé Zhaos Oscar-Sieger "Nomadland".

Drucken

Schriftgröße

Ein höher dekoriertes Stück Gegenwartskino als dieses werden Sie zurzeit nirgendwo finden, auch nicht in den Streamingdiensten Ihrer Wahl: Das amerikanische Aussteiger-Roadmovie "Nomadland" (Kinostart: 26.5.) wurde unlängst nicht nur mit drei Oscars (für den besten Film, die beste Regie und die beste Hauptdarstellerin) sowie zwei Golden Globes gewürdigt, sondern bereits im September 2020 unter anderem auch mit dem Goldenen Löwen der Festspiele in Venedig. Und der Preisregen ist angebracht: Der dritte Film der chinesisch-amerikanischen Regisseurin Chloé Zhao, 39, gehört zweifellos zu den wesentlichen Werken des Gegenwartskinos.

Das ist auch der großen Frances McDormand zu verdanken, die hier eine ihrer virtuosen, völlig unangestrengt erscheinenden Performances hinlegt: Sie spielt in "Nomadland" eine, die alles verloren hat (Mann, Haus, bürgerliche Existenz) und sich in ihrem klapprigen Wohnmobil auf eine Reise durch Amerikas Wüstenszenerien macht und auf Menschen trifft, die sich in derselben Situation befinden wie sie. Das kleine Wunder dieses Films liegt in der Weigerung, sich diesen Leuten mit wohlfeiler Dramatik oder gar Mitleid zu nähern.


Stattdessen widmet sich Zhao, im Rahmen einer mit vielen dokumentarischen Momenten und großartigen Laien bereicherten Erzählung, der zarten Poetisierung des Alltags. McDormand mischt sich, an der Seite ihres Kollegen David Strathairn, absolut glaubhaft unter die vielen real an den gesellschaftlichen Rändern lebenden Menschen. So berichtet "Nomadland" in aller Ruhe und Genauigkeit von Freiheitsdrang und der kommunalen Solidarität nomadisierender Querköpfe: Magie und Humanismus schließen einander nicht aus.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.