Kultur

Oscar-Nominierte Monika Willi: Jedes Bild ein Gedanke

Mit der Oscar-Gala feiert sich Hollywood alljährlich selbst – allerdings bei stark rückläufigem Publikumsinteresse. Diesmal wird Österreichs Filmszene wieder die Ehre erwiesen: Die unnachahmliche Schnittmeisterin Monika Willi gehört zu den Nominierten.

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Wenn am Montag in den frühen Morgenstunden mitteleuropäischer Zeit in Hollywoods Dolby Theatre zum 95. Mal die berühmtesten Filmpreise der Welt, die Academy Awards – liebevoll „Oscars“ genannt – verliehen werden, findet sich unter den ehrwürdigen Nominierten auch eine Künstlerin aus Österreich: Monika Willi wird dort für ihre Arbeit an Todd Fields monumentalem Dirigentinnendrama „Tár“ geehrt, und tatsächlich gehört die unorthodoxe Montage jenes Films zu den zentralen Ursachen seiner Wirkung. Monatelang hat die Editorin ab Spätsommer 2021 in der schottischen Einöde zugebracht und die täglich zugelieferten Ergebnisse des Drehs vorsortiert und bearbeitet.

Immer wieder begibt sich Monika Willi in solche Klausursituationen und Einsamkeitsprüfungen, fern ihrer Familie, um das Material, mit dem sie hantiert, zu analysieren, in aller Präzision und Ruhe zu formen. Sie lässt sich anders und tiefer auf Filmprojekte ein, als das in der Branche üblich ist. Auch deshalb steigt die Nachfrage nach ihr unaufhörlich – und versorgt sie nebenbei mit dem Problem, zu vielen durchaus spannend klingenden Projekten nein sagen zu müssen. Der Film-Mainstream interessiert sie kaum, ihr Territorium ist das Arthouse-Kino. Scharfkantige Montagen zieht sie dem konventionell „unsichtbaren“, bloß funktionalen oder nahtlosen Schneiden vor. Ihr Umgang mit den Bildern betont oft das Künstliche, das Fantastische der Kollision (und Liaison) jener Gedanken, die bestimmte Szenen evozieren, die durch die Trägheit des Auges im Gehirn ineinander geblendet werden. Der Schnitt ist eine dramaturgische Profession, ein Prozess des Redigierens und Verfeinerns, aber auch ein musikalischer Beruf, der – gerade ein Film wie „Tár“ zeigt dies – auf Harmonie- und Rhythmusfragen basiert.

So macht Monika Willi seit geraumer Zeit, auf ihre stille Weise, international Karriere. Im Rampenlicht zu stehen, das liege ihr nicht, hat sie oft erklärt; man muss ihr das glauben, auch wenn sie sich im öffentlichen Raum eine Schutzschicht der Gelassenheit zugelegt hat. Im Rahmen ihrer langjährigen künstlerischen Partnerschaft mit dem Regisseur Michael Haneke – 2001 lag ihre erste gemeinsame Arbeit, „Die Klavierspielerin“ vor – machte sie sich früh, über Hanekes Koproduktionsland Frankreich, die Grande Nation der Cinephilie, einen Namen. 2013 war Willi, für ihr Zutun an „Amour“, bei den französischen Filmpreisen für einen César nominiert.

Seit einem Vierteljahrhundert schneidet sie Kinofilme. 1997 wurde sie Florian Flicker empfohlen, der ihr „Suzie Washington“ anvertraute. Nach dieser ersten, sehr gelungenen Kinoarbeit ging es schnell; 1999 werkte sie an Barbara Alberts Debüt „Nordrand“ (1999), noch im selben Jahr erstmals mit Michael Glawogger – an der Fußball-WM-Doku „Frankreich, wir kommen“. Danach wirkte sie an allen Hauptwerken Glawoggers mit: an „Workingman’s Death“ (2005), „Contact High“ (2009) und „Whores“ Glory“ (2011). Auch das nachgelassene Material des 2014 verstorbenen Weltreisenden fasste sie zu einem eigenen Film namens „Untitled“ 2017 poetisch neu.

Wirklich global agiert Willi aber erst seit wenigen Jahren: Für den Hongkong-Popstar und Filmemacher Juno Mak schnitt sie vor ein paar Jahren dessen zweiten, immer noch unveröffentlichten Film, „Sons of the Neon Night“, und nach der „Tár“-Kooperation mit dem Amerikaner Todd Field sitzt sie gegenwärtig an einem Biopic, das die britische Filmemacherin Sam Taylor-Johnson über das kurze Leben des Soul-Idols Amy Winehouse inszeniert. Die Welt, so scheint es, hat den eigenwilligen Zugriff der Schnittmeisterin Monika Willi auf die Bilder und Töne, mit denen sie jongliert, mit einer gewissen Verspätung erkannt.

Man könnte sagen, die Montage eines Bewegtbildwerks sei der einzige originär „filmische“ Aspekt der Arbeit daran – das einzige nicht aus anderen, älteren Kunstformen gewachsene, nicht aus Literatur, Theater, Fotografie, Musik und Bühnenbild gewonnene Tätigkeitsfeld. Die gebürtige Innsbruckerin (der Grüne Georg Willi, seit 2018 Bürgermeister ihrer Heimatstadt, ist ihr älterer Bruder) hält den Filmschnitt, obgleich der Frauenanteil in ihrer Sparte hoch ist, für keinen typisch weiblichen Job, wie sie in einem profil-Interview erklärte: „Da gibt es auch diese Grundregel: Je teurer ein Film, je berühmter seine Besetzung, je mehr A-Produktion, desto Mann. Da muss man nur die alljährlichen Schnittnominierungen bei der Oscar-Show studieren, um zu sehen, dass Frauen in dieser Liga plötzlich kaum noch Platz haben. Und auch in der Werbung hierzulande schneiden viel mehr Männer, weil eben immer dort, wo es um viel Geld geht, Männer fast automatisch eher zum Zug kommen.“ Viel geändert hat sich daran nicht: Die fünf Nominierungen in der Oscar-Kategorie „Best Film Editing“ 2023 teilt sich Monika Willi mit vier männlichen Kollegen.

An der letztgültigen Form des bereits 2017 begonnenen Kino-Doppelprojekts „Rimini“ und „Sparta“ hat die 54-Jährige im Zusammenspiel mit dem Regisseur Ulrich Seidl jahrelang geschnitten. Die radikale Offenheit seiner filmischen Unternehmungen birgt eben, vor allem, was den Schnitt betrifft, eine Unwägbarkeit; die potenziell unendlich vielen Variationen eines Films, der aus 100 oder mehr Stunden Material gefiltert und collagiert werden muss, kann einen auch in die Erschöpfung treiben. Seidl ist diesbezüglich kein einfacher Partner: Als Perfektionist, der zugleich mit einem hohen Maß an Skepsis ausgestattet ist, drängt er darauf, möglichst viele Versionen eines Films auszuprobieren. Darin ist er das Gegenteil Hanekes, der jedes Bild seiner Filme schriftlich und zeichnerisch akribisch vorab festlegt.

Es sei dennoch sehr befriedigend, mit Haneke zu arbeiten, sagt Willi, „weil er erstens eine Leidenschaft, eine Beharrlichkeit und eine Energie besitzt, die unvergleichlich sind. Und weil zweitens die Qualität des Materials, das er produziert, derart hoch ist. Die Hauptarbeit mit Haneke besteht darin, den bestmöglichen Take und die richtig gespielten Sätze zu finden. Es gibt da natürlich weniger Optionen in der Montage, aber der Job ist derselbe.“ Betriebsblindheit kennt sie nicht. Sie habe es „früher oft als Schwachstelle empfunden“, dass sie gelungene Schnittkombinationen, „auch wenn ich sie schon 40 Mal gesehen habe, wie ein Kleinkind immer wieder mit der gleichen Freude und Spannung betrachten kann und dann tatsächlich keine Sekunde daran denke, dass ich ja eigentlich weiß, worauf sie zulaufen. Für meinen Beruf ist diese Fähigkeit aber unabdingbar.“

Monika Willi wird der Oscar-Vergabe übrigens nach einem Unfall vor wenigen Tagen, einer Gehirnerschütterung wegen, auf ärztlichen Rat hin fernbleiben müssen. Der immensen Anerkennung, die der Schnittmeisterin schon durch die Nominierung zuteil wurde, tut dies keinen Abbruch.

Wie spannungsvoll der Abend wird, steht ohnehin in den Sternen. Ein filmischer Überraschungserfolg führt immerhin die Nominiertenliste mit gleich elf Nennungen an, und einiges spricht dafür, dass die unabhängig produzierte, futuristische Immigrations- und Multiversums-Farce „Everything Everywhere All at Once“ des Regie-, Produktions- und Autorenduos Daniel Kwan & Daniel Scheinert die 95. Oscar-Gala dominieren könnte. Zwei Golden Globes und unzählige andere Preise hat der mit viel absurdem Witz ausgestattete Film, ein Starvehikel für den groß aufspielenden Hongkong-Kino-Superstar Michelle Yeoh, 60, bereits in der Tasche, ein paar Oscar-Statuetten werden am kommenden Montag noch dazukommen.

Marie Kreutzers „Corsage“, vom Fall Teichtmeister arg reputationsbeschädigt, hat es am Ende nicht zu einer Nominierung gebracht. Aber neben Monika Wllli wird eine zweite österreichische Filmfachkraft in der Oscar-Nacht zumindest implizit im Zentrum stehen: Der junge Wiener Burgtheater-Virtuose Felix Kammerer, der in dem Netflix-Kriegsfilm „Im Westen nichts Neues“ die Hauptrolle spielt, wurde zwar in den Nominierungen der Kategorie „Bester Schauspieler“ nicht berücksichtigt, würde aber als zentrale Figur des Werks von einem etwaigen Preisregen stark profitieren. Neunfach nominiert geht die nicht sonderlich werktreue Remarque-Adaption „Im Westen nichts Neues“ ins Rennen (Regie führte der Schweizer Edward Berger), gleichauf mit Martin McDonaghs ungleich originellerer irischer Tragikomödie „The Banshees of Inisherin“.

Welchen Denkmustern der Wunsch entsprang, eine hektisch orchestrierte Fantasy-Kinobiografie wie Baz Luhrmanns „Elvis“ mit gleich acht Nominierungen auszustatten, bleibt das Geheimnis der Academy. Steven Spielbergs vergleichsweise bescheidenes, semi-autobiografisches Familiendrama „The Fabelmans“ (siehe Kritik rechts) ist mit sieben Nominierungen sehr viel typischeres Oscar-Material. Einspielergebnisse sind nicht das entscheidende Kriterium der Oscar-Auswahl: Der bei Weitem lukrativste Film der Covid-Ära, James Camerons „Avatar: The Way of Water“ kommt auf lediglich vier Nominierungen.

Nach dem letztjährigen Eklat um eine schallende Ohrfeige, die der erzürnte Schauspieler Will Smith dem Comedian Chris Rock verpasst hat, nachdem Letzterer Smiths Ehefrau mit einem unpassenden Kalauer behelligt hatte, hat die Academy nun ein Krisenteam eingerichtet, das auf unvorhergesehene Vorkommnisse während der Live-Show geistesgegenwärtig reagieren soll. Und mit Moderator Jimmy Kimmel, der nicht zum ersten Mal durch die Oscar-Gala führt, hat man einen Live-TV-Profi engagiert, der Fehlleistungen, Schieflagen und etwaige körperliche Übergriffe verhindern soll. Aus den Negativ-Schlagzeilen scheinen die viel gescholtenen, immer noch viel zu wenig diversen oder weiblichen Oscars auch sonst nicht zu kommen. Im Fall der Last-Minute-Nominierung der britischen Schauspielerin Andrea Riseborough für das kaum gesehene Indie-Drama „To Leslie“ witterten manche nach einer prominent besetzten Kampagne, an der sich Jane Fonda, Cate Blanchett, Gwyneth Paltrow und Kate Winslet beteiligt hatten, unlauteren Wettbewerb.

Aber es wird so oder so schwer werden, an den alten Glanz früherer Oscar-Verleihungen anzuschließen, nicht nur, was das öffentliche Interesse daran betrifft, das seit Jahren schon dramatisch schwindet. Versammelten sich 2014 noch fast 48 Millionen Menschen allein in Nordamerika vor den Bildschirmen, um den Starauftrieb mitzuverfolgen, so waren es im Pandemiejahr 2021 nur noch 10,4 Millionen. Zwar gelang es 2022, diese Zahl wieder zu heben, aber auch 15,4 Millionen Interessierte ergaben den mit Abstand zweitniedrigsten Wert dieses Jahrtausends. Die Academy Awards erscheinen, als Traditionsveranstaltung seit 1929, eben nicht mehr unverzichtbar, auch wenn statt eines roten Teppichs in diesem Jahr ein champagnerfarbener zum Einsatz kommen wird. Der Glamour blättert ab, bröckelt wie feuchter Putz von den Wänden. Und das beginnt bei dem auf unfreiwillige Weise sogar sehr passenden Schauplatz der Show, einer Mehrzweckhalle, die sich für den Anlass licht- und kameratechnisch wieder schick machen wird, ihre physische Existenz jedoch nicht leugnen kann. Denn sie steht, wie weite Teile der US-Filmindustrie, fest in den realen Niederungen des amerikanischen Schnäppchen-Kapitalismus: Das Dolby Theatre ist eben auch nur Teil einer stilwidrigen Shopping-Mall am heruntergekommenen Hollywood Boulevard.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.