Oscars 2016: Gold für die Recherche
Ein mitreißender, formidabel gespielter und in Szene gesetzter, dabei durchaus altmodischer Film wurde unerwartet zum Sieger der diesjährigen Oscar-Nacht: Der Investigationsjournalismus-Thriller „Spotlight“ (seit wenigen Tagen auch in Österreichs Kinos zu besichtigen), zum besten Film (und für das beste Originaldrehbuch) gekürt, ist die Kino-Bearbeitung einer weitreichenden Klerus-Kindesmissbrauchsserie und ihrer Aufdeckung gegen alle (kirchlichen) Widerstände. Aus dem phantastischen Ensemble rund um den von Liev Schreiber dargestellten „Boston Globe“-Chefredakteur stechen vor allem Mark Ruffalo, Michael Keaton und Rachel McAdams hervor. Der Titel verweist auf den Namen der internen Arbeitsgruppe, die 2001 aktiv wurde. „Spotlight“ ist tatsächlich journalistisch erzählt – klar, geradlinig, ohne falsches Pathos und öde Gefühlsmanipulationen: ein Film von der Basisarbeit der Recherche, von Informantensuche, Überredungstaktiken und Blattlinienkämpfen. Regisseur Tom McCarthy verklärt nichts und niemanden, dämonisiert weder die Täter, noch verherrlicht er die Aufdecker.
„White People’s Choice Awards“
Zur Leitlinie der Gala wurde jedoch, wie erwartet, der Rassismusvorwurf, der die Academy of Motion Picture Arts and Sciences wegen ihrer nahezu vollständigen Vermeidung schwarzer Kunstschaffender und afroamerikanischer Themen in der Nominierungsliste bereits vor Wochen ereilt hatte. Comedian Chris Rock absolvierte unter diesen sehr besonderen Vorzeichen lustvoll sein Comeback als Moderator der, „White People’s Choice Awards“, wie er sarkastisch anmerkte – seine erste Pointe schon die blütenweiße Jacke, die er trug. In den Fifties und Sixties, als wohl noch weniger schwarze Kreative bei den Oscars antraten, habe es niemals Demos gegen die Academy-Awards-Show gegeben, merkte Rock an; damals habe man eben lieber gegen „real things“ protestiert. Seine Moderation wurde als Akt freundlicher Subversion, als Gegenschlag zum strukturellen Rassismus der Filmbranche, heftig akklamiert. „Black lives matter!“, rief Chris Rock am Ende noch aus, als müsste man das extra betonen: eine letzte, lächelnd verabreichte Abreibung für eine schneeweiß-verlogene Filmbranche.
Hollywood-Pathos und Pseudo-Spektakel
Im Übrigen blieb auch in der 88. Oscar-Gala alles beim Alten und jeder Stein nach guter Tradition auf dem anderen. Die im Dolby Theatre am Hollywood Boulevard abschnurrende Show war erneut eine genuine Mischung aus Hollywood-Pathos und Pseudo-Spektakel, in der indes auch ein paar echte Virtuosen ausgezeichnet wurden: Der Brite Mark Rylance wurde zum besten Nebendarsteller (in Spielbergs „Bridge of Spies“), der betagte Ennio Morricone bester Filmkomponist (für seine Musik in Tarantinos „The Hateful Eight“), als besten Trickfilm zeichnete man eine hochintelligente Hirn-Comedy aus („Alles steht Kopf“) und als bestes adaptiertes Drehbuch das smarte Bankenkrisenlustspiel „The Big Short". Und auch Leonardo DiCaprio – zum sechsten Mal nominiert, aber erstmals prämiert – hat seine Goldstatue verdient, wenn er auch in „The Revenant“, stimmbeschädigt, bewegungseingeschränkt und schmerzensreich, einen Hauch begrenzter agierte als in den anspruchsvollen Parts, die er sonst gerne spielt.
Kein Oscar für „Alles wird gut“
Aus österreichischer Sicht verlief der Abend wie erwartet: Regisseur Patrick Vollrath war, nominiert für seinen Wiener Kurzfilm „Alles wird gut“, mit Team angereist, dem auch der junge Kameramann Sebastian Thaler angehörte; dessen Vater, Wolfgang Thaler, der als Bildkomponist vieler Arbeiten Ulrich Seidls und Michael Glawoggers längst internationale Reputation besitzt, begleitete – wie es der Zufall wollte – die in der Kategorie bester ausländischer Film nominierte jordanische Existenz- und Wüstenparabel „Theeb“. Natürlich gewannen, wie die Buchmacher längst prognostiziert hatten, beide Arbeiten nicht. Aber das trübte die Stimmung nicht: Nominierungen dieser Art stellen schon an sich einen unbezahlbaren Karriereschub dar.
Favorit nur mit drei Oscars
Auf lediglich drei Oscars (bei 12 Nominierungen) kam der Favorit des Abends, das harte Frontier-Drama „The Revenant“; Alejandro González Iñárritu wurde immerhin bester Regisseur, Emmanuel Lubezki reüssierte in der Kategorie Kamera. George Millers ingeniöser Actionfilm „Mad Max: Fury Road“ verwandelte seine zehn Nominierungen dagegen in sechs Oscars, gewann in den Bereichen Schnitt (Bild und Ton), Szenenbild, Kostüme, Make-up und Sound Mixing, Nur in Sachen Visual Effects konnte „Mad Max“ von dem deutlich bescheidener budgetierten SciFi-Film „Ex Machina“ überraschend geschlagen werden.
Der Rest war Routine
Als beste Darstellerinnen holte man Brie Larson („Room“) und Alicia Vikander („The Danish Girl“) auf die Bühne, den besten Dokumentarfilm erkannte man in Asif Kapadias Popstar-Porträt „Amy“. Der Rest war Routine, es gab schlimme Musikeinlagen (Lady Gaga!) und unvorteilhafte Roben, und man besprach mittellose Kurzdokumentarfilmer, Keksverkauf und Schamhaartoupets. Nicht die ganz wichtigen Dinge des Lebens also. Und wo es dann doch kurz um Wichtiges ging, gewann – leider absehbar – das falsche Werk: der technisch virtuose, aber fahrlässig konzipierte Auschwitz-Thriller „Son of Saul“, der seiner Obszönität zum Trotz als bester fremdsprachiger Film gewählt wurde.
Und wenn sich auch naturgemäß kaum jemand unter den Preisträgern davon abhalten ließ, all den Liebsten, Besten und Karriereförderlichsten Tribut zu zollen: Die Prä-Dankesreden-Einblendungen am unteren Bildrand – „... would like to give a special thanks to …“ – waren eine (theoretisch) gute Idee zur Dynamisierung dieser altehrwürdigen Show.