Oscars 2021: Minimalismus und Diversität
In gewisser Weise erinnerte die Oscar-Nacht 2021 an die Erzählungen von der allerersten Academy-Awards-Gala, die am 16. Mai 1929 im Hollywood Roosevelt Hotel stattgefunden hatte und von der weder Ton- noch Bildaufzeichnungen existieren: Damals fand ein privates Dinner für 270 geladene Gäste statt, in dessen Rahmen man die besten Filme der vergangenen beiden Jahre erstmals mit Oscars belohnte; Werke wie Friedrich Wilhelm Murnaus „Sunrise“ und William Wellmans „Wings“ gehörten damals zu den Siegern des Abends. Knapp 92 Jahre später zelebrierte sich die amerikanische Filmindustrie am Areal der Union Station in Downtown Los Angeles nun erneut selbst – pandemiebedingt ebenfalls im kleinen Kreis, ohne Publikum, nur mit den Nominierten und deren Entourage.
Das Team um Steven Soderbergh, das den Abend produzierte und in Szene setzte, vertraute der Maßnahme des Downsizing, nahm das Risiko in Kauf, sich die Kritik des zu wenig „Glamourösen“ oder „Spektakulären“ zuzuziehen. Die Rechnung ging durchaus auf. Der neue Minimalismus einer Show, die nicht viel mehr braucht als das Charisma derer, die da ausgezeichnet werden, war wohltuend spürbar; und er passte im übrigen auch punktgenau zu den Verheerungen der Gegenwart: Eine schwer angeschlagene Branche kann nach mehr 13 Monaten der großteils und weltweit geschlossenen Kinos, in einer Zeit der abgesagten Filmstarts und Online-Ersatzfestivals, nicht einfach zum Alltag übergehen. Die 93. Academy-Awards-Show machte deutlich, dass sie – nach ihrer Verschiebung um zwei Monate, mit neuen Nominierungsregeln und unter massivem Druck einer inzwischen alles beherrschenden Streaming-Industrie – ein Ereignis des Übergangs in eine ungewisse Zukunft waren, ein Durchhaltemanöver, eine Art Benefizveranstaltung für das vom Verschwinden bedrohte klassische Kino.
Die per Abstandsgebot locker besetzte Ankunftszone der Gäste (vormals: „roter Teppich“) in floraler Hotelgartenatmosphäre hatte bereits etwas Gespenstisches. Man sah Menschen mit vermummten Stargesichtern vorbei huschen, zueinander streng Distanz wahren. Im Inneren hatte man eine altmodische Nachtclub-Szenerie gebaut, die auf den Film Noir der 1940er-Jahre, in ihrer Künstlichkeit aber zugleich auch auf eine der surrealen Hollywood-Hommagen der Filme David Lynchs verwiesen. Auf Comedy-Moderation verzichtete man heuer klugerweise, stattdessen stellten auf- und abtretende Filmstars in aller Kürze die Kategorien und Nominierten vor, lakonisch auch die meisten Dankesreden; die wenigen Filmausschnitte genügten vollkommen.
Die Gewinnerin des Abends war die chinesisch-amerikanische Filmemacherin Chloé Zhao, deren dreifach Oscar-prämiertes Road-Movie „Nomadland“ (bester Film, beste Regie, beste Hauptdarstellerin) tatsächlich zu den wesentlichen Werken des Gegenwartskinos gehört: Es ist eine sanft und genau erzählte, mit vielen dokumentarischen Momenten und großartigen Laien bereicherte Erzählung moderner Nomaden, die nach Verlust ihrer Häuser in Wohnmobilen auf der Suche nach Gelegenheitsarbeiten durch Amerika ziehen. Die Schauspielerin Frances McDormand, die als Hauptdarstellerin in „Nomadland“ ihren dritten Academy Award erhielt, mischt sich darin absolut glaubhaft unter die vielen tatsächlich an den gesellschaftlichen Rändern lebenden Menschen.
Die als Favorit gehandelte Netflix-Produktion „Mank“, ein Tribut an den Drehbuchautor des Welles-Klassikers „Citizen Kane“, konnte trotz stolzer zehn Nominierungen nur in den Bereichen Kamera und Produktionsdesign punkten. Die überraschende Auszeichnung des 83-jährigen Briten Anthony Hopkins (in Abwesenheit) als bester Hauptdarsteller für seine nuancierte Darstellung eines Demenzkranken in „The Father“ und der Sieg des Dänen Thomas Vinterberg für seine tragikomische Alkoholstudie „Der Rausch“ in der Kategorie „Bester internationaler Spielfilm“ gehörten zu den spannenderen Entscheidungen der Academy. (Rezente profil-Interviews mit Hopkins, Vinterberg und der als beste Nebendarstellerin nominierten Olivia Colman können Sie übrigens hier lesen.)
Der charmanteste Auftritt gelang der Koreanerin Yuh-Jung Youn, die als best supporting actress in der subtilen Immigrantenfabel „Minari“ prämiert wurde: Es sei heute, zur Feier des Ereignisses, egal, wie man ihren Namen ausspreche, sagte sie, und Brad Pitt, der sie auf die Bühne geholt hatte, wurde zum Ziel ihres leicht exzentrischen Flirts. Als besten Nebendarsteller würdigte man Daniel Kaluuya, der in „Judas and the Black Messiah“ den Black-Panther-Anführer Fred Hampton gab. Gelebte Diversity herrschte an diesem Abend sowieso: Ganz unangestrengt gaben people of color, Regisseurinnen und Schauspielerinnen den Ton an, neun der 20 Nominierungen in den vier Schauspielkategorien entfielen auf nicht-weiße Menschen.
Ihr Plädoyer für das Kollektiverlebnis Kino krönte Frances McDormand gegen Ende der Gala mit wölfischem Heulen, und dann meinte sie lakonisch noch, dass man diesen club-ähnlichen Schauplatz ja statt für das viele Reden auch für Karaoke hätte nutzen können. Es stimmte. Man war ja unter sich.