Literatur

Perfekte Strandlektüre: "Sommer in Niendorf" von Heinz Strunk

Der Hamburger Musiker, Autor und Humorist Heinz Strunk erzählt in seinem neuen Roman über einen "Sommer in Niendorf". Ab damit ins Urlaubsgepäck!

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Die wirklich wichtigen Dinge zuerst. Es heißt ja zuweilen, in seinen Büchern hielte er der Gesellschaft einen Spiegel vor. "Schrecklich", antwortet Heinz Strunk am Telefon in Hamburg. "Ich sehe mich ungern selbst im Spiegel. Schon gar nicht halte ich diesen irgendjemandem vors Gesicht."

"Ein Sommer in Niendorf", der neue Roman des 1962 in Norddeutschland geborenen Musikers, Schriftstellers ("Fleisch ist mein Gemüse") und Humoristen der avancierten Art, ist insofern ein Dokument der Selbstbespiegelung, als Strunk der titelgebende Ort an der Ostsee vertraut ist: Niendorf, ein Kuhdorf am Timmendorfer Strand, 8000 Einwohner, Rand der Welt. Allenfalls bekannt für eine Tagung des Literaturklubs Gruppe 47 im Mai 1952, an der unter anderem Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann und Paul Celan teilnahmen.

Fußnote dazu: Celan las in Niendorf aus seinem Trauergedicht "Todesfuge" auf die ermordeten Juden. Der Schriftsteller Hans Werner Richter verlachte den Vortrag als "Singsang wie in einer Synagoge" und fühlte sich an Goebbels erinnert. "Ich war in den vergangenen Jahrzehnten sicher schon 20 Mal in Niendorf auf Urlaub", erinnert sich Strunk. "Einmal mietete ich längerfristig eine Ferienwohnung. Nach zwei Wochen musste ich flüchten, weil es tödlich öde war." In "Ein Sommer in Niendorf" entsendet Strunk stellvertretend ein ungleiches Paar an den Strand: Der Jurist Roth plant in der Einöde, einen sengend heißen Sommer lang die Chronik seiner Familie zu schreiben-und trifft auf den Spirituosenhändler und Strandkorb-Aufpasser Breda, ein Mann mit der Präsenz eines an Land gespülten Walrossbullen. Ein Haudrauf und Langsamdenker, wie man ihn in den Büchern Charles Bukowskis erwarten würde. Zuerst bereitet Breda dem hüftsteifen Roth innerliche Tobsuchtsanfälle. Das geplante Werk bleibt Makulatur. Ein Buch zu schreiben, jammert er, sei wie Wasser aus einem Stein zu pressen.

Es dauert nicht lange, bis Breda und Roth harmonieren-zumindest was das Wein-Bier-Wodka-Bechern und den um sich greifenden Nihilismus betrifft. Manche Menschen leben vom Saufen allein, während Strunk im Roman eine Parade von Phrasen über das Urlaub-Seele-Baumeln aufmarschieren lässt: "Herrlich, so lässt's sich leben."-"Vitamine für die Seele tanken." Noch so eine Szene, vor dem Fenster Sonnenschein und tiefblaues Meer. "Er könnte die Gunst der Stunde nutzen, um nachzudenken", lässt Strunk seinen Roth grübeln: "Bilanz zu ziehen. Sich über einige Dinge klar zu werden. Tja. Nachdenken worüber? Bilanzen wovon? Über welche Dinge klar werden?" Später wird sich Roth verlieben, ein Flirt mit Hindernissen: "Ich bin nur ein furzender alter Ziegenbock, aber ich stehe in Flammen, es rauscht in meinen Adern."

Strunk beherrscht die große Kunst der kleinen Beobachtung. Er hat einen Riecher für Milieus, die er in Prosa-Szenen verwandelt. Das Strunk-System holt die Dinge schön auf den Boden: Sex, Saufen und grelle Gags, in einer endlosen Besichtigungstour der Außenseiter und Ausgestoßenen. Man hält ein Strunk-Buch in Händen, wenn der Bierkellerdauergast sich als feuriger Gigolo fühlen darf, wenn am Ausschank sinnbefreites Aneinander-vorbei-Reden abläuft. "Suffgeilheit gemischt mit Suffverzweiflung", schreibt Strunk in "Ein Sommer in Niendorf". Hauptsache die große Bühne in klammer Kneipe, förmlich untermalt von einer Textzeile der Hamburger Band Tocotronic: "Mein Ruin ist, was mir bleibt, wenn alles andere sich zerstäubt." Bei der fiktiven 1980er-Jahre-Band Fraktus um Rocko Schamoni, Jacques Palminger und Strunk selbst hört sich das so an: "Auf meinem einsamen Stern bin ich schwer zu erreichen. Kein Funkspruch kommt durch und kein Lebenszeichen."

Im Kern geht es in Strunks Büchern darum, wie der Autor als milder Zyniker mit viel Verständnis vom fortlaufenden Alltagsfiasko seiner Figuren erzählt-im Wechsel von kühler Grausamkeit (wie in "Der goldene Handschuh" über den Massenmörder Fritz Honka) und sympathisierender Freundlichkeit ("Es ist immer so schön mit dir").Mitunter kommt es vor, dass sich Strunk als Autor dabei selbst überdribbelt: Er heischt viel Applaus für einzelne Szenen, vergisst dabei manchmal auf die Finessen des Romanerzählens. Roth, dem Biedermenschen auf Urlaubsfahrt, gönnt Strunk in "Ein Sommer in Niendorf" ein wackeliges Happy End. Roth, versunken ins Ostsee-Betrachten: "Millionen Menschen wären jetzt gerne an meiner Stelle, versucht er sich aufzuheitern. Die Zeit fließt aus dem Nichts ins Nichts. Man wird aus nichts geboren und löst sich irgendwann in nichts auf. Ist doch herrlich." Breda, dem Anarcho mit alkoholischer Grundsicherung, ergeht es nicht ganz so gut.

Als Strandlektüre ist "Ein Sommer in Niendorf" ein kleiner Glücksfall. "Die Sonne sinkt in Tönen von geronnenem Rot und geht allmählich in eine weiche, verhauchende Mattigkeit über", schreibt Strunk: "Der Strand saugt sich im Dämmer mit Licht voll. Schön ist das." Genau.

Wichtige Dinge auch zuletzt, eine kleine Rallye großer Fragen am Ende des Telefonats nach Hamburg: Es erscheint so gut wie jedes Jahr ein neues Buch von ihm. Hat er noch den Überblick? "Es wäre schrecklich, wenn ich den nicht hätte", sagt Strunk. "Meine Arbeit ist der Versuch, im kulturellen Leben Deutschlands den Spagat zwischen ernst zu nehmendem Schriftsteller und Gag-Maschine einigermaßen hinzubekommen. Deswegen kommt da immer verhältnismäßig viel dabei raus. Außerdem gehört zu einem seriösen Œuvre auch eine gewisse Quantität. Man kann nicht alle Jubeljahre ein Buch veröffentlichen."

Strunk doziert ungern. Lieber locker parlieren. Empfindet er sich als Intellektueller? "Keineswegs. Es gibt Dichter und Denker und einen himmelweiten Unterschied zwischen den beiden. Ich würde mich eher dem Dichterischen zuordnen. Vom Philosophen Peter Sloterdijk stammt der Hinweis, dass er sich mit Herrn Sowieso nicht unterhalten könne, weil er ihm, Sloterdijk, gegenüber einen, Lektürerückstand' von mindestens 60.000 Seiten habe. Mit solchen Schwergewichten zu konkurrieren, schafft kaum jemand, ich schon gar nicht. Ich verweigere mich stets mit dem Satz:, Es gibt so viele Menschen, die gerne ihr Wort erheben, dass unsereins schadlos schweigen darf.'"

Was bringt die Zukunft, Herr Strunk? "Ich könnte in den Vorruhestand treten, will aber natürlich weiterarbeiten. Ich habe kein Interesse an Booten, Motorrädern oder ähnlichem Kokolores. Ich komme ganz gut klar. Etwas nur um des Geldes wegen zu machen-dafür bin ich entschieden zu alt. Ich bin halbwegs integer 60 geworden. Da will ich keine Scheiße mehr produzieren und mir den Ruf versauen."

Heinz Strunk: Ein Sommer in Niendorf. Ein Sommer in Niendorf. Rowohlt, 239 S., EUR 22,70

Wolfgang Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.