Berühmt ist ein Foto, das die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel im russischen Sotschi 2007 neben Putin zeigt. Ein großer schwarzer Hund, Putins Labrador Koni, patrouilliert durchs Zimmer, Merkel wirkt angespannt. Bis heute hält sich das Gerücht, der Russe wollte Merkel, deren Scheu vor Hunden allgemein bekannt war, verunsichern. Je mehr er die Menschen kennenlerne, zitierte Putin einst den elegischen Ausspruch Friedrichs des Großen, desto mehr liebe er die Hunde.
Wer dazu Genaueres wissen möchte, sollte im Brehm blättern, jenem mehrbändigen Kompendium des deutschen Zoologen Alfred Brehm (1829–1884), der wissenschaftliche Entschlossenheit und Neugier wie kein Zweiter mit Literatur zu verschränken wusste. Der Brehm ist ein poetisches Massiv, das viel über den Drang des Menschen zum Kuscheln, Knuffen, Kraulen von Tieren verrät, das dem animalischen Treiben kluge Blicke schenkt. Fast scheint es, als hätte Brehm sogar Brauchbares zur Szene in Sotschi hinterlassen: „Der Mensch lebt mit fast allen Raubtieren in offener Fehde.“
Der Mensch, das politische Tier
Zoon politikon, der vornehme altgriechische Begriffe für den Menschen als politisches Wesen, ließe sich etwas grob auch so übersetzen: der Mensch, das politische Tier. Man sieht: Den Bezirken Politik und Fauna kann ein gewisser, seit der Antike praktizierter Parallellauf angedichtet werden. Wo Tiere sind, sind auch wir – im Besonderen, wenn Fotoapparate klicken, Kameras und Scheinwerfer aufgebaut sind: Politikerinnen und Politiker erweisen sich als willige, gar emsige Komplizen der Kreatur.
Kneissl, Putin und der Tiger also. „Der Tiger ist nicht nur dreist, sondern geradezu frech“, notiert Brehm. „Manche Engpässe durch waldreiche Schluchten sind wegen seiner Raubtaten berüchtigt.“ Und weiter: „Wollte man seine Gefährlichkeit als Maßstab seiner Bedeutung anlegen, so müsste man ihn unbedingt für das erste aller Säugetiere erklären, denn er hat, bisher wenigstens, dem Herrscher der Erde noch in einer Weise gegenübergestanden wie kein anderes Geschöpf.“ Kneissl könnte am Ende Putins animalischem Charme erlegen sein, denn, so Meister Brehm, „kein Raubsäugetier verbindet mit wahrhaft verführerischer Schönheit so viel Furchtbarkeit“. Besser kann man es fast nicht sagen, auch wenn Brehm den russischen Präsidenten nicht gekannt haben kann. Der Tiger frisst, solange er lebt. Mit sympathischer Bockigkeit hält da der Schriftsteller Elias Canetti (1905–1994) im Bändchen „Über Tiere“ mit einer Lösung dieses eigentlich unlösbaren Problems dagegen: „Ein Tiger, der kein Blut mehr sehen kann“, schreibt Canetti, der sich in seinen Aufzeichnungen in zahllosen Notizen des Themas Tier annahm. Canetti versprüht jedenfalls Zweckoptimismus: „Das Lachen der Esel und das der Tiger.“
Karin Kneissl als Tiger-Chefdiplomatin erinnert an eine lange Geschichte verquerer Tier-Politik-Zweckfreundschaften, wobei das die Kontinente und Zeiten übergreifende Generalmotto gilt: Wer Tiere liebt, kann kein schlechter Mensch sein. Seht her, Wählerinnen und Wähler, ich bin ein Mensch wie ihr, hüte Hund oder Katz’! Das US-Präsidentenpaar Michelle und Barack Obama herzte Hund Bo, Vorvorgänger Bill Clinton Kater Socks; Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel schenkte einem Elefanten sein Mascherl; Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache übernahm gemeinsam mit seiner damaligen Ehefrau Philippa die Patenschaft für zwei Netzgiraffen im Schönbrunner Zoo; Patentiere sammelten auch die ehemalige FPÖ-Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer (Königskobra), Martin Bartenstein (Ex-ÖVP-Wirtschaftsminister; Ameisenbär) oder Alfred Gusenbauer (Ex-SPÖ-Bundeskanzler; Löwe). Karin Kneissl übernahm auf Einladung des Wiener Tiergartens übrigens die Patenschaft für den Flughund Banshi. Während Ex-FPÖ-Innenminister Herbert Kickl auf dem Rücken eines Pferdes 2018 vom Polizeiparadies auf Erden träumte, ließ der ehemalige Herausgeber der „Kronen Zeitung“, Hans Dichand, selbst ein großer Hundestreichler vor dem Herrn, vor der Nationalratswahl 2008 groß auf dem Titelblatt seiner Zeitung verkünden: „Tiere würden Faymann wählen“. Unsere gefiederten, behaarten und geschuppten Mitbewohner für den seinerzeitigen SPÖ-Spitzenkandidaten und späteren Kanzler Werner Faymann! „Der Hund nahm seinem Herrn den Maulkorb ab, behielt ihn aber an der Leine“, weiß Elias Canetti in „Über Tiere“ zu berichten.
Als Rudolf Anschober noch Sozial- und Gesundheitsminister der türkis-grünen Bundesregierung war, ließ er sich über seinen Golden Retriever zu der farblich gewagten Aussage hinreißen: „Agur ist der grünste Hund Österreichs.“ Der politische Fauna-Ismus bleibt eine Disziplin, in der es schwierig ist, wirklich Neues zu sagen, das am Ende nicht wie eine überdrehte Ein-Herz-für-Tiere-Parodie wirkt. Es ist zugleich leicht, sich über die zuweilen täppischen Versuche der Politik, mit tierischer Hilfe in den Wochen-, Tages- und Augenblickmedien billige Sympathiepunkte zu sammeln, lustig zu machen. Es ist zu leicht.
Bürgermeister als Hendlpate
Nach menschlichem Ermessen ist es auszuschließen, dass der Wiener Altaltbürgermeister Helmut Zilk eines Tages vergnügt mit dem Gedanken erwachte, „Hendlpate“ zu werden – was auf einem Ende Februar 1994 aufgenommenen Foto schließlich dennoch präsentabel aufging: Zilk kniet neben einem Käfig mit drei Hühnern und hält eine „Patenschaft“-Urkunde in seiner rechten Hand. „Helmut Zilk als Hendlpate“, verrät die Bildbeschriftung folgerichtig. Die englischsprachige Kennzeichnung tönt wenigstens nach Cinemascope: „Mayor Helmut Zilk as chicken-godfather“. Zilk, so viel muss man wissen, war der Medien-Zirkusdirektor seiner Zeit, der tausendfach vernetzte Strippenzieher im Rathaus. Vielleicht war der Fototermin eine Gefälligkeit zwischen zwei Terminen, eine Abwechslung vom Arbeitsalltag. Manchmal muss man mit den Akteuren der Polit-Menagerie gnädig sein. Mitunter darf das Scheitern am Haushuhn mit ironischer Geste auch als Gelingen verbucht werden.
„Das Leben aller Angehörigen“, schreibt Brehm über die Säugetiere, womit wir Menschen stets auch ein bisschen mitgemeint sind, „bietet uns reichen Stoff zur Belehrung und Unterhaltung. Ihnen mangle zwar die heitere Lebendigkeit und unerschöpfliche Lebensfröhlichkeit der Lieblinge des Lichts, wie Brehm die Vögel am Himmel charakterisierte. Sie, die Säugetiere, zeigten dafür eine gewisse Behäbigkeit und Lebensgenusssucht – „die vielen sehr gut und vielen sehr schlecht ansteht“.
Elias Canetti fragte in „Über Tiere“: „Was wird zuerst erschöpft sein: die Tiere oder die Geschichten?“ Kurze Antwort: die Geschichten. Die lange Antwort geht so: Im Auftrag des Finanzministeriums führte die Meinungsforscherin Sabine Beinschab eine 2017 abgelieferte Studie durch, die später Gegenstand von Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft werden sollte. Unter anderem wurden dabei Politiker mit Tieren verglichen. Christian Kern? Ein Pfau. Reinhold Mitterlehner? Schimpanse. Hans Peter Doskozil? Wildschwein. Sebastian Kurz? Ein Delfin. Heinz-Christian Strache ist demnach ein bissiger Deutscher Schäferhund. „Sebastian Kurz wird mit schlauen, zielstrebigen Tieren in Verbindung gebracht“, resümierte die sogenannte Studie. Die Politik biedert sich in banal gehaltenem Streichelmodus an Tiere an, viel schlimmer kann es nicht mehr kommen. Es jault der Schäferhund, der Schimpanse kreischt, der Pfau schlägt sein Rad. Und Canetti wusste: „Das schönste Standbild des Menschen wäre ein Pferd, wenn es ihn abgeworfen hätte.“