Interview

Popkünstler Andreas Dorau: „Mein Sozialverhalten ist nicht das beste“

Der Hamburger Musiker Andreas Dorau hält Wien für so faszinierend, dass er der Stadt nun ein ganzes Album widmet. Im profil-Interview erzählt er von Höhenangst und Minderwertigkeitskomplexen, von Arbeit in Unterhosen und Adolf Hitlers Fußpuder-Plakatmalerei.

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Die kindliche Energie des Pop-Veteranen Andreas Dorau, 61, ist überschäumend, nicht nur in seiner Musik und diesem unverkennbaren Gesang, den er mit hoher, seltsam gepresster Stimme anlegt. Auch im persönlichen Kontakt spricht Dorau so laut und schnell, dass er sich immer wieder selbst ins Wort zu fallen, ständig über sein eigenes Vermittlungsbedürfnis zu stolpern scheint. Aber all das, was andere für Banalitäten halten, interessiert ihn brennend: Kuchen, Blumen, Tiere, Rauchen, Reime. Unter anderem.

Mit bewundernswerter Konsequenz hält Andreas Dorau seine Pop-Karriere seit 45 Jahren am Laufen, seit er als Schüler schon beschloss, auf den Gischtkämmen der Neuen Deutschen Welle (NDW) zu surfen, und dabei einen unerwarteten Hit landete, den er längst nicht mehr ertragen kann („Fred vom Jupiter“, 1981). In den frühen 1980er-Jahren umgab er sich, weil ihm das schnelle Geld, das er hätte machen können, egal war, lieber mit Musik-Avantgardisten wie Holger Hiller und dem Kollektiv Die tödliche Doris, mit dem Multimediakünstler Albert Oehlen und der Underground-Band Der Plan. Dorau studierte Kunst, machte Experimentalfilme und komponierte Techno-Musik.

Am 14. Februar wird Dorau sein mindestens 15. Studioalbum veröffentlichen, das einen simplen Titel trägt: „Wien“. Es besteht aus 13 Songs (und elf Bonus-Stücken) für und über diese Stadt, aus allerlei Miniatur-Weisheiten unter der Hand und neben der Spur. Als Kunstfigur, die er nicht sein will, wird er weithin wahrgenommen, obwohl er mit seinem akkurat seitwärts gelegten Scheitel, den Jeans und Pullovern, die er gemeinhin trägt, eher wie ein Mitarbeiter aus der Einkaufsabteilung eines westdeutschen Wollwarenunternehmens aussieht – und eher nicht wie die Pop-Subversionsfachkraft, die er ist. Im vollgeräumten Obergeschoß des sympathisch geführten Wiener Plattenladens Recordbag nimmt Dorau Platz, greift zu den vorbereiteten Süßspeisen und wundert sich über all die David-Bowie-Devotionalien an den Wänden; er selbst habe Bowie ja nie etwas abgewinnen können, sagt er so dahin, als wäre es ganz normal, einen weltweit verehrten Künstler für rundheraus vergessenswert zu halten. Aber Andreas Dorau liebt Außenseitermeinungen – und paradox anmutende Manöver.

Warum haben Sie Ihr jüngstes Album ausgerechnet der Stadt Wien gewidmet?

Dorau

Ich verbinde schon frühe Erinnerungen mit Wien. Meine Eltern waren recht alt, wir urlaubten ganz klassisch in Italien, fuhren mit dem Käfer an die Adria. In Salzburg und Wien machten wir oft Station. Ich fand Wien stets aufregend, weil ich diese Stadt nie ganz begreifen konnte. Daran kann man sich gut abarbeiten. Aber eigentlich betrachte ich Wien nur als Ausgangspunkt für eigene Gedanken. Ich wollte die Stadt nicht porträtieren.

Man hört, Sie hätten eine frühkindliche Lipizzaner-Faszination erlebt?

Dorau

Stimmt, die Hofreitschule fand ich, wie mein Vater, sehr reizvoll. Sind die Lipizzaner in Österreich eigentlich umstritten?

Inwiefern denn?

Dorau

Dressurreiten ist doch ein bisschen grenzwertig, das domestiziert die Tiere sehr.

Die Lipizzaner sind Kulturgut. Finden Sie deren Dressur problematisch?

Dorau

Nein, nein. Das war nur der Ansatz einer Diskussion. Einen Song über Lipizzaner wollte ich übrigens nie machen.

Sie umkreisen Wien thematisch eher assoziativ, indirekt.

Dorau

Das war die Idee. Deshalb kam auch noch ein digitales Bonus-Album dazu. Denn in den ersten Stücken, die ich fertig stellte, tauchte dauernd das Wort Wien auf. Das ging nicht. Also parkte ich jene Songs im Bonus-Teil. Ein Doppelalbum sollte es auf keinen Fall werden. So verlief die Evolution dieser Platte: Erst arbeitet man sich an den Klischees ab, dann tastet man sich zu den spannenden Dingen weiter. Ich bin ja von dem Begriff Wien fasziniert. Es hat einen tollen Klang.

In einem Ihrer Lieder heißt es: „Ich bin nur ein Tourist / Ein Gast, der nicht weiß, wie es tatsächlich ist.“

Dorau

Das ist einer der wichtigsten Texte für mich. Ich dachte, wie kann ich mich denn erdreisten, eine Platte über Wien zu machen? Ich habe doch keine Ahnung, kratze nur an der Oberfläche.

Wie viel Autobiografisches steckt denn in Ihren Texten?

Dorau

Viel. Der Song „Ich kann nicht schlafen“ etwa ist meine Realität. In Hotels hab ich brutale Einschlafschwierigkeiten. Auch heute Nacht wieder. Oder „Runde um Runde“, mein Riesenrad-Lied. Ich finde ja erstaunlich, dass es keinen eigenen Namen hat, einfach nur Riesenrad heißt. Das müsste doch einen Spitznamen haben, der Oschi oder so was. Aber seit sechs Jahren leide ich unter Höhenangst, damals hab ich in einem Skiurlaub festgestellt, dass ich beim Gondelfahren Panikattacken kriegte. Ich bin großer Fan des Films „Der dritte Mann“, also stellte ich mir vor, dass ich mit dem Riesenrad fahre, weil man das ja machen muss und höflich sein will, aber ich kann das nicht: Das hält ja ganz oben an, das blöde Scheißvieh.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.