Der deutsche Musiker Herbert Grönemeyer während eines Konzertes am Mittwoch, 24. Mai 2023, in der Stadthalle in Wien.
Kulturtipp

Ach, Herbert!

Politik und Pop, einander eng verbunden: Wolfgang Paterno empfiehlt ein neues Buch über Herbert Grönemeyer.

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Gute Frage: Wer ist Herbert Grönemeyer? Vielfach gesichert ist, dass dieser in dem Kinofilm „Das Boot“ (1981) der flaumbärtige Leutnant Werner war, mit „4630 Bochum“ (1984) und „Mensch“ (2002) zwei der meistverkauften Musikalben Deutschlands einspielte und mit Textzeilen wie „Gib mir mein Herz zurück / Bevor es auseinander bricht“ die Alltagssprache um Sekunden-Poesie bereichert hat. Politisch zählt der Musiker zu den Lautsprechern, er setzt sich ein, engagiert sich, beispielsweise vor einigen Jahren in Wien, als er in der bis auf den letzten Platz gefüllten Stadthalle räsonierte: „Ich kannte das nur vom Hörensagen, in Zeiten zu leben, die so zerbrechlich, so brüchig und so dünnes Eis sind. Und ich glaube, es muss uns klar sein, auch wenn Politiker schwächeln, das ist, glaube ich, in Österreich nicht anders als in Deutschland, dann liegt es an uns.“

In der reizvollen Disziplin „Schriftsteller schreiben über Sänger“ sind nunmehr zwei gewichtige Einträge einzubuchen. Einerseits Andreas Maiers literarische Liebeserklärung „Mein Jahr ohne Udo Jürgens“ (2015), in der sich der deutsche Romancier dem letzten, vor zehn Jahren verstorbenen Troubadour wahrer Gefühle so empathisch wie Fan-beseelt näherte. Andererseits erscheint kommenden Mittwoch eben „Grönemeyer“ (S. Fischer), die in jedem Sinne sehr umfassende Gesamtdarstellung zu Leben und Werk des Musikers, verfasst von einem Autor mannigfaltiger Schreibtonlagen: Michael Lentz, 1964 geboren, ist Schriftsteller, Tonkünstler, Herausgeber. Lentz und Grönemeyer verbindet seit 20 Jahren eine enge Freundschaft, die Ersterer in „Grönemeyer“ auf Grundlage zahlloser Gespräche auf 380 Seiten und in 14 Kapiteln auserzählt – von „Herkunft und Familie“ über „Zur Poetik der Songs“ und „Über die Liebe“ bis zu „Pop und Politik“. Lentz ist bekennender Grönemeyer-Fan, ohne Herbert-Hagiograf zu sein. Der Autor nähert sich dem Musiker auf dem Weg der Reflexion und der Auseinandersetzung dem Phänomen „Popstar“. Lentz notiert: „Und wie die Hörerinnen und Hörer, wie die Fans sich im Lauf ihres Lebens und von Generation zu Generation verändern, so transformiert sich auch Popmusik und ihr sozialer Gebrauch. Dabei müssen die Elemente der Popmusik, also etwa ,Star-Körperlichkeit, Sound, spezifische Öffentlichkeit, Intimitätsfunktion‘ von allen Beteiligten immer wieder aktiv zusammengesetzt werden.“ Mit einem Wort: Ach, Herbert! Zentral für Grönemeyers anhaltenden Erfolg dürfte auch sein, dass er stets das richtige Lied zur richtigen Zeit singt. „Hart im Hirn, weich in der Birne / Ohne Halt, einfältig und klein / Auf der Suche nach einem Führer / Es ist hart, allein beschränkt zu sein“, intonierte Grönemeyer mit markant reibeisenrauer Stimme, als vor mehr als 30 Jahren bei einem rassistischen Brandanschlag im nordrhein-westfälischen Solingen fünf Menschen starben.

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.