Postume Romane von Helena Adler und Gerhard Roth: Leises Kichern aus dem Jenseits
Wir werden zu Lebzeiten nie erfahren, wie es auf der anderen Seite aussehen wird. Vielleicht so? „Ich bin ein Nichts unter Nichtsen“, bemerkt Franz Lindner, Teil der Gugginger Künstlerkolonie, als er aus dem Leben scheidet. Als fiktive Figur geistert Lindner durch viele Bücher Gerhard Roths. In „Jenseitsreise“, dem nachgelassenen Roman des Grazer Schriftstellers, dräut dem Langzeit-Alter-Ego das „In-die-Kiste-Gehen“, wie Roth das Sterben einmal beschrieb: „Ohne zu zögern sprang ich in den Abgrund des Steinbruchs. Ich verspürte keine Angst, sondern war ein Kind, das glaubte, fliegen zu können.“
Im Leben sind wir bereits vom Tod umfangen. „Wir sind alle Gescheiterte“, notiert die Salzburger Autorin Helena Adler in ihrem postumen Erzählband „Miserere“: „Ein alter, verrotteter Scheiterhaufen. Wenn wir sterben, scheitern wir am Leben. Wären wir unsterblich, scheiterten wir am Tod.“
Mit Adler und Roth verstummten zwei eigenwillige Prosastimmen. Am 5. Jänner 2024 starb Adler, die mit den Romanen „Die Infantin trägt den Scheitel links“ (2020) und „Fretten“ (2022) bekannt wurde, an den Folgen eines Gehirntumors. Adlers gesundheitlicher Zustand führte im Juli 2023 zur Absage ihrer Teilnahme am Wettlesen um den Klagenfurter Bachmannpreis. „Miserere“ versammelt drei Texte, darunter „Miserere Melancholia“, den Adler für ihren Klagenfurter Auftritt geschrieben hatte. Für Adler ging es, im Leben wie im Schreiben, immer auch um den Ton, um die Prosa- und Daseinsmelodie, um die Wortspielerei in Romanen, die von den Ängsten und kleinen Freuden ihrer Figuren erzählen. „Miserere“ führt Adlers kantiges Klangwunderschreiben fort, beglückt in der traurigen Geschichte vom Maurer Josef während eines Aufeinandertreffens mit dem allmächtigen Dorfbürgermeister mit Sätzen wie diesem: „Während er ihm so nahe kommt, wie man nur jemandem nahe kommt, den man küssen oder dem man die Zunge abbeißen möchte, kann sich Josef dieses gammeligen Atems, der nach Ochse mit eitriger Zahntasche stinkt, nicht mehr erwehren.“ Josef malt sich aus, wie er den Dörflern „ein Brot mit Estrich schmiert. Wie sie mit gefräßigen Mündern eins nach dem anderen im Ganzen hinunterschlingen und sich ihre Leiber mit Verhärtung füllen, ein harter Kern mit weicher Schalung.“ Das weiße Rauschen ihrer Wortbilder hat Adler so konsequent wie kompromisslos mit Wortfarben unterlegt – und dabei bizarre Szenerien geschaffen, welche die sogenannte Wirklichkeit immer wieder bis zu gläserner Kenntlichkeit entstellen.