Snow in April: Zum Tod von Prince (1958-2016)
Am 21. April wurde auf YouTube ein Video hochgeladen, das lediglich aus einem Standbild und einer nicht sonderlich hochwertigen Tonspur bestand. Allem Anschein nach handelte es sich um einen Smartphone-Mitschnitt, aufgenommen am 14. April in Atlanta, wo Prince im Rahmen seiner „Piano & A Microphone Tour“ gastierte. Als Zugabe spielte er eine Coverversion von David Bowies „Heroes“, eine eindringliche, tief im Gospel geerdete Hommage an einen Superhelden der Rockgeschichte, der Anfang Jänner, kurz nach seinem 69. Geburtstag, verstorben war. Eine Woche später, am 21. April 2016, fand man Prince leblos auf seinem Anwesen, den Paisley Park Studios bei Minneapolis. Er konnte nicht wiederbelebt werden. Prince Rogers Nelson wurde 57 Jahre alt.
Die weltweite Bestürzung glich jener, die Michael Jacksons Todesnachricht am 25. Juni 2009 ausgelöst hatte. Einer der überlebensgroßen Popstars der 1980er-Jahre war gestorben, unter zunächst ungeklärten, aber hinreichend rätselhaften Umständen, was sofort die Gerüchtemaschinerie in Gang setzte: Überdosis?
Epochale Musikerkarriere
Es wäre, wenn es sich bewahrheiten sollte, eine traurige Gewissheit und, im Sinne einer auf Knalleffekte fokussierten Historiographie, der letzte Skandal in einer epochalen Musikerkarriere, die fast 40 Jahre früher mit ihrerseits skandalträchtigen Signalreizen begonnen hatte. Nach den ersten beiden, noch recht konventionell gestrickten Alben fand Prince mit „Dirty Mind“ (1980) und „Controversy“ (1981) zu seiner fulminanten Frühform: Über einem brodelnden Amalgam aus R&B, Funk und New Wave sang er Texte von bis dahin (und im Übrigen auch danach) nicht gekannter sexueller Explizität. Das Androgynie-Konzept, das David Bowie in den 1970er-Jahren entwickelt hatte, reicherte Prince mit einer gehörigen Dosis Schmutz an. Anders als die Soul-Troubadoure vor ihm beließ er es nicht bei lasziven Anspielungen, er buchstabierte das – immer schon – libidinöse Potenzial von Pop konsequent aus.
Prince wollte einfach nur spielen
Dass er trotzdem nicht nur Furore machte, sondern auch namhafte Kassenerfolge einfuhr, und zwar weit über die schwarzamerikanische Kernzielgruppe hinaus, lag an der raffinierten Eingängigkeit seiner Musik. Mit den Alben „1999“ (1982) und vor allem „Purple Rain“ (1984) stieß er endgültig und furios in den Mainstream vor. Der Soundtrack zum gleichnamigen Film (mit Prince als Hauptdarsteller) verkaufte sich so rasend gut, dass Michael Jackson ernsthaft um seine Vormachtstellung im Kommerzolymp bangen musste – aber nicht sehr lange, denn im Unterschied zum selbsternannten „King of Pop“ verfolgte Prince keinen welteroberungsfixierten Masterplan: Er wollte einfach nur spielen. Zwischen 1985 und 1991 veröffentlichte er im Jahrestakt grandiose Alben, eines kühner, cooler, slicker, abenteuerlicher, experimentierfreudiger als das andere.
Die unvergleichliche legacy von Prince datiert im Kern aus dieser atemlosen und atemberaubenden Zeit. Mit „Around the World in a Day“, „Parade“, „Sign o‘ the Times“, „Lovesexy“ oder „Diamonds and Pearls“ sprengte er alle bislang gültigen Genregrenzen. Virtuos bediente er die Klaviatur nicht nur der afro-amerikanischen, sondern der gesamten pop- und rockmusikalischen Tradition. Aus dem Original- war endgültig ein Universalgenie geworden.
Fast naturgemäß folgte ein schleichender, aber unaufhaltsamer Niedergang. Prince verzettelte sich in einem Streit mit seiner Plattenfirma Warner, die der manischen Produktivität ihres Vertragskünstlers einen Riegel vorschieben wollte. Abwechselnd bezeichnete er sich als „Slave“, „Symbol“, „TAFKAP“ (The Artist Formerly Known As Prince). Er gründete ein eigenes Label, brachte mehr oder minder gelungene Alben heraus, entdeckte früh das Internet als Vermarktungsplattform, stemmte sich zugleich aber gegen die dort üblichen Freizügigkeitsregeln, indem er Copyright-Verstöße rigoros unterband, und kehrte schließlich zu Warner zurück.
Prince-Konzerte waren Hochämter der Entfesselung
Ganz auf der Höhe seiner überschäumenden Musikalität und Kunstfertigkeit konnte man ihn jederzeit – und bis zum Ende – vor allem live erleben. Prince-Konzerte waren Hochämter der Entfesselung. Er interpretierte sein uferlos breites Repertoire ständig neu und aufregend anders. Je nach Tageslaune legte er die Sets funky oder rockig an, stieg auch schon mal, wie 2010 in der Wiener Stadthalle, ungerührt mit einer 20-Minuten-Bombastversion seines Überhits „Purple Rain“ ein. Als Performer blieb der 1,58 Meter kleine Zappelphilipp weder James Brown noch Liberace etwas schuldig. Als Gitarrist zog er alle Register zwischen Joe Pass und Jimi Hendrix, und zwar nicht mit vordergründiger, sondern mit kongenialer Virtuosität.
„Piano & A Microphone“ sollte Prince’ final curtain sein, die maximal reduzierte Koda eines singulären Lebenswerks. Die allerletzte Zugabe seines Lebens, am 14.4. in Atlanta, war die Jahrhundertballade „Sometimes It Snows in April“. Der YouTube-Mitschnitt von „Heroes“ wurde übrigens Stunden später wieder entfernt – wegen Copyright-Verletzung.