Aufgedreht

Pussy Riot: Disney, Putin, Eurotrash

Wie relevant ist der Protest der russischen Band Pussy Riot in Zeiten des Krieges?

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Wenn der Krieg  der Normalzustand ist und Frieden bloß ein frommer Wunsch, dann hilft nur die Flucht in die (popmusikalischen) Utopien. Gut, dass die russischen Polit-Popstars Pussy Riot soeben eine neue Songsammlung veröffentlicht haben – ein halbes Jahr nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine und zehn Jahre, nachdem Mitglieder des Künstlerinnenkollektivs bei einem Protest gegen Wladimir Putin verhaftet und verurteilt worden waren. „Matriarchy Now“ ist mehr Mixtape als Album: Produziert von der schwedischen Sängerin Tove Lo liefert es Dance-Beats, Eurotrash und Autotune-Stimmen; fast jeder der sieben Tracks basiert auf Kooperationen mit internationalen Künstlerinnen (auf „Horny“ ist Phoebe Ryan zu hören, auf „Hatefuck“ die US-Elektronikerin Slayyyter).

Stilistisch haben sich Pussy Riot somit stark verwandelt. Machten sie früher wilden LoFi-Punkrock, klingt ihre Musik nun wie knallbunter Radio-Pop, der sich betont sexualisiert und überdreht gibt. Künstlerisch aufregend ist das nicht, aber die Songs selbst sind bei einer Band mit einer derart politischen Agenda ohnehin zweitrangig.

Textlich wird nicht explizit gegen Putin agitiert, stattdessen singt man gegen globale Entertainment-Konzerne wie Disney („Princess Charming“) an. Den Protest reicht das Kollektiv dann in seinen Performances nach, zuletzt bei einem Konzert in Zürich, wo eine der Sängerinnen auf ein Bild des russischen Präsidenten urinierte. „Matriarchy Now“ ist als Gegenentwurf zum Putin’schen Patriarchat zu verstehen; Pussy Riot personifizieren den Widerstand gegen das offizielle Russland, gegen den Krieg, indem sie die russische Gegenkultur hochleben lassen. Kritik am Krieg oder an der Regierung kann mit mit mehreren Jahren Straflager geahndet werden. Auch deshalb feiern Pussy Riot ein Leben im Matriarchat. Mit ihren Songs kommen sie dieser Utopie einen Schritt näher. 

Pussy Riot gastieren am 6. September im Wiener Porgy & Bess.

Jetzt auf Spotify: Die Songs der Woche von Lena Leibetseder und Philip Dulle in der Aufgedreht-Playlist. Jeden Freitag neu.

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

war bis Oktober 2024 stv. Online-Ressortleitung und Teil des faktiv-Teams.

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Von 2009 bis 2024 Redakteur bei profil.