Radio-Symphonieorchester vor dem Aus: Verstummt der Klangkörper?
Beethoven, Brahms, Bruckner – die kann man in der Musikstadt Wien bis an die Grenze der Redundanz überall hören. Die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts für kleinere Besetzungen, dafür gibt es verschiedene Spezialensembles, angefangen mit dem herausragenden Klangforum Wien. Aber wer kümmert sich im Musikverein und im Konzerthaus um die Orchesterwerke des eben verstobenen Friedrich Cerha, oder auch, wie gerade auf einer Capriccio-CD dokumentiert, um die Raritäten des 19. Jahrhunderts, etwa die anlässlich des 150. Jahrestages seiner Wiener Uraufführung noch einmal gegebene komische Oper „Der Waffenschmied“ von Albert Lortzing? Ebendies tat das vom ORF betriebene Radio-Symphonieorchester Wien (RSO), unter verschiedenen Bezeichnungen seit 1945 schon.
Trotzdem ist es leider traurige Folklore, dass der ORF, der aktuell 300 Millionen Euro einzusparen hat, trotz seines festgelegten Kulturauftrags in beinahe jeder anstehenden Sparrunde den einzigen Rundfunkklangkörper Österreichs zur Disposition stellt. Gerade einmal neun Millionen Euro wären so eingespart. Diese beständigen Angriffe auf die Existenz wie auf das Selbstverständnis des auch international geschätzten Orchesters wiegen schwer. Bisher konnten sie, auch weil es gesellschaftlich weitreichende Proteste gab, immer wieder abgewehrt werden.
„Es geht diesmal wirklich um eine Einstellung“, bestätigte Angelika Möser, künstlerische Leiterin des RSO, der APA und stellte zugleich klar: „Es ist noch keine Entscheidung gefallen.“ Bis zum 23. März, wenn der ORF-Stiftungsrates zusammentritt, wolle man nun um den Fortbestand kämpfen. In den Wiener Philharmonikern und den Symphonikern hat sie bereits prominente Fürsprecher, und auch Konzerthauschef Matthias Naske sowie Theater-an-der-Wien-Intendant Stefan Herheim, wo sich das RSO die Operndienste mit den Symphonikern teilt, haben ihre Solidarität erklärt.
Im von alten Männern dominierten Salzburger Sommer 2023 präsentiert das ORF-Orchester mit der jungen Koreanerin Elim Chan die einzige Frau am Pult, und als einziges heimisches Orchester beschäftigt es mit Marin Alsop eine Chefdirigentin und in der Überzahl Frauen, kümmert sich insbesondere um die Werke von Komponistinnen. Das RSO liefert neben seinen vielfältigen Konzerten zudem substanzielle Beiträge zum Programm. Von wem kann man alle Sinfonien des tschechisch-amerikanischen Komponisten Bohuslav Martinů hören? Selbstredend hat sie das RSO eingespielt und auf CD veröffentlicht. Ohne diese Musikerinnen und Musiker wäre Österreichs Klangleben um vieles ärmer. Im föderalen Deutschland gibt es 16 Rundfunkorchester sowie acht Chöre, hierzulande stünde man nach einer RSO-Auflösung auf null.
Und das ausgerechnet in dem Jahr, in dem der älteste Radioklangkörper, das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin als Nachfolger des Funk-Stunde-Orchesters Berlin seinen 100. Geburtstag feiert. Wie bringt es Musikvereinsintendant Stephan Pauly auf den Punkt? „Ohne das RSO Wien wäre die jüngere Musikgeschichte anders verlaufen; es ist nicht vorstellbar, wie sie ohne diesen immens wichtigen Klangkörper weitergehen sollte.“