Rainhard Fendrich: "Das wurde alles verdrängt"
profil: Herr Fendrich, „Starkregen“ ist Ihr 18. Studioalbum. Was treibt Sie noch an? Rainhard Fendrich: Die Neugierde. Mein Beruf ist es nachzudenken, zu schreiben und wegzuwerfen – und irgendwann gibt es wieder genug Material für ein neues Album. „Starkregen“ habe ich ein Jahr liegen gelassen. Früher war das undenkbar, da musste ein Album in drei Wochen fertig sein. Das ruhigere Arbeiten habe ich jetzt sehr genossen.
profil: Mittlerweile haben Sie Ihr eigenes Label. Wie hat sich das auf das Album ausgewirkt? Fendrich: Heute bestimme ich meinen eigenen Rhythmus und lasse mir von keinem Plattenboss ein Abgabedatum vorschreiben. Auch technisch kann man heutzutage vieles selber machen. Ich bin nicht mehr von einem großen Studio abhängig.
profil: Thematisch ist das Album sehr vielschichtig. Es geht um Burn Out, Politikverdrossenheit und Gewissensfragen. Hat sich viel aufgestaut? Fendrich: Ich schreibe nur über Themen, die mich interessieren, aufregen und bewegen. Georg Danzer hat gerne gesagt: „Wir müssen da auweh schreien, wo es den anderen weh tut.“
profil: Ist das Lied „Heiße Luft“ eine Reaktion auf ein Land im unerträglichen Dauerwahlkampf? Fendrich: Der Song ist ein Wutlied. Ein Reflektor, der genauso pauschal und platt daherkommt, wie es mir entgegenschlägt. Es geht mir nicht nur um die innenpolitische Situation, es geht um Klimaversprechen, die nicht eingehalten werden, es geht um alternative Fakten. Auf der anderen Seite gibt es Wahlversprechen, die schön auf einem Wahlplakat aussehen, aber nie umgesetzt werden. Es darf nicht wahr sein, dass die politische Kultur in diesem Land darin besteht, dass man in einem Wahlkampf mehr Energie darauf verwendet, den politischen Gegner zu diffamieren, als mit einem Programm und Ideen die Wähler zu überzeugen. Wissen Sie, was mich aufregt? Wenn ein Politiker zuerst über die Flüchtlingsproblematik spricht und meint, man müsse sich an die Gesetze halten, es dann aber bei der eigenen Wahlkampffinanzierung mit den Gesetzen nicht so ernst nimmt.
profil: Ist Wut ein guter Antrieb? Fendrich: Es ist eher eine Mischung aus Lust und seelischer Notdurft. Wenn heute jemand wie Ursula Stenzel beim Fackelzug der Identitären mitmarschiert und von einer Erinnerungskultur spricht, regt mich das furchtbar auf. Da würde ich gerne mit einem Lied antworten. Ich wurde 1955 in Wien geboren, war ein Kind der Wirtschaftswunderzeit, das mit Peter-Alexander-Filmen in einer zuckersüßen Welt aufgewachsen ist. In der achten Klasse hat der Geschichtsunterricht mit der Ermordung von Engelbert Dollfuß geendet, vom Holocaust war da keine Rede – das wurde alles verdrängt.
profil: Die humoristische Seite darf in Ihren Liedern dennoch nie zu kurz kommen? Fendrich: Ich bin ein heiterer Mensch. Das passiert einfach. Ich habe zu einer Zeit begonnen, als der politische Liedermacher das Nonplusultra war. Wenn man wie ich damals keine politischen Songs geschrieben hat, dann war man nicht gesellschaftsfähig. In meiner allerersten Kritik hieß es: „Rainhard Fendrich versteht es nicht, mit intellektueller Schärfe die Probleme unserer Zeit aufs Korn zu nehmen.“ Vielleicht war das der Grund, warum ich begonnen habe, mich mit ernsteren Themen zu beschäftigen. Geprägt haben mich aber die witzigen sozialkritischen Stücke von Helmut Qualtinger und Gerhard Bronner. Ich liebe den wunderbaren jüdischen Humor und war immer ein großer Fan von Johann Nestroy.
profil: Spricht im Lied „Social Media Zombie“ der Kulturpessimist aus Ihnen? Fendrich: Das Lied ist kein Wettern gegen die sozialen Medien. Ich finde sie sogar gut. Durch die weltweite Vernetzung weiß man heute sofort über Missstände wie Kriegsausbrüche, Menschenrechtsverletzungen und Umweltkatastrophen bescheid. Meine Bedenken sind eher, dass Menschen in ein Paralleluniversum abgleiten und das Reale gar nicht mehr als solches wahrnehmen und persönliche Gespräche immer mehr verstümmeln.
Ich bin optimistisch, dass jetzt eine Generation heranwächst, die weiß, was auf diesem Planeten verkehrt läuft. Andererseits bin ich beschämt, dass meine Generation nichts dazu beigetragen hat.
profil: Ist es in den letzten Jahren schwieriger geworden, als Optimist durchs Leben zu gehen? Fendrich: Ich will keine triste Weltuntergangsphilosophie verfolgen, auch wenn es einfacher wäre. Ich bin optimistisch, dass jetzt eine Generation heranwächst, die weiß, was auf diesem Planeten verkehrt läuft. Andererseits bin ich beschämt, dass meine Generation nichts dazu beigetragen hat. Heute steht eine junge Schwedin für das Klima auf und in China gehen Menschen für die Demokratie auf die Straßen. Da muss ich den Hut ziehen, das haben wir nicht gemacht.
profil: Im Lied „Rock’n’Roll Band“ schauen Sie nostalgisch zurück. Neigen Sie zur Melancholie? Fendrich: Nein. Ich sagen gerne: Alt ist man dann, wenn man an der Vergangenheit mehr Freude hat als an der Zukunft. In „Rock’n’Roll Band“ geht es um eine Zeit der Aufbruchsstimmung, die ich nicht missen möchte. Mit meiner Schülerband waren wir eher laut als gut. Diesen Enthusiasmus, die Begeisterungsfähigkeit habe ich mir bis heute bewahrt. Wenn dieses Gefühl mal weg ist, muss ich mir wohl einen anderen Beruf suchen.
profil: Im Lied „Abendrot“ geht es um die letzten Lebensjahre. Wie gehen Sie mit Ihrer eigenen Endlichkeit um? Fendrich: Wenn die Zukunft kürzer wird als die Vergangenheit, denkt man natürlich über den Tod nach. Tröstlich ist für mich, dass das Sterben etwas Natürliches ist. Es ist eher die Art, wie man stirbt, die mir Sorgen bereitet. Meine Mutter war an ihrem Lebensende leicht dement. Ich habe in meinem engen Bekanntenkreis aber auch miterlebt, wie jemand mit Alzheimer stirbt. Das Schlimme ist nicht, dass man vergisst, sondern dass man in Angst stirbt. Wenn es dann dunkel wird, ist man allein.
profil: Vor genau 30 Jahre ist Ihr größter, oft missverstandener Hit „I am from Austria“ erschienen … Fendrich: … das war die Waldheim-Zeit. Ich war zu dieser Zeit viel in Amerika, hatte in Florida ein Ferienhaus gemietet. Meine damaligen Nachbarn, auch Österreicher, haben sich lieber als Schweizer ausgegeben. Für Österreich hat man sich regelrecht geschämt. „I am from Austria“ war meine Antwort, ein Lied, das interessanterweise erst einige Zeit später so ein großer Erfolg wurde.
profil: Das Lied wurde zu einer Art inoffiziellen Hymne Österreichs. Fendrich: „I am from Austria“ wurde dann mit einem etwas übertriebenen Heimatverständnis bei Fußballmatches gesungen. Das ist wie beim Zeitungslesen, wenn man nur noch die Schlagzeilen liest und nicht mehr den Text der darunter steht. Bei diesem Gedanken gruselt es mich. Wenn man schon Hymnen braucht, dann bitte ohne Text. Wenn alle Länder so toll wären, wie sie sich in ihren Hymnen besingen, gäbe es keine Konflikte.
Rainhard Fendrich, 64
gehört zu den bekanntesten Popmusikern Österreichs und gilt als Mitbegründer des Austropop. Im Laufe seiner Karriere machte er sich auch als Moderator und Schauspieler einen Namen. Gemeinsam mit seinen Kollegen Wolfgang Ambros und Georg Danzer bildete er das Trio Austria 3.