Rammstein-Konzerte in Wien: Demo, Mittelfinger und Pöbeleien
Die Meiereistraße trennt die Demonstrierenden von den Fans. Vereinzelt kommen Rammstein-Anhänger:innen an die Absperrgitter heran, provozieren, zeigen den Mittelfinger – die Protestierenden antworten mit Sprechchören. Sie sind weit in der Unterzahl: Insgesamt werden rund 110.000 Rammstein-Fans die beiden Konzerte, die heute und morgen im Happel-Stadion stattfinden, besuchen. Seit Mai touren die sechs Musiker mit einem riesigen Tross aus Mitarbeiter:innen quer durch Europa. Die Stadiontournee sollte ein Triumphzug der ehemaligen Ostdeutschland-Band werden; sie spielten vier Mal im ausverkauften Münchner Olympiastadion, drei mal in Berlin. Auch in Wien gibt es seit Monaten keine Karten mehr.
Der geplante Triumphzug ist nunmehr umstritten. Der Grund: Zahlreiche Frauen haben Vorwürfe gegen den Frontsänger Till Lindemann erhoben und berichten von mutmaßlichen sexuellen Handlungen bei Aftershowparties, denen sie teilweise nicht zugestimmt hätten. Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt wegen „Tatvorwürfen aus dem Bereich der Sexualdelikte und der Abgabe von Betäubungsmitteln.“ Lindemann weist die Vorwürfe zurück, seine Anwälte gehen mitunter auch gerichtlich gegen Medienberichterstattung vor – diese sei „völlig aus dem Ruder gelaufen.“
Das sieht auch Sabrina, 36, aus Niederösterreich, so. Sie ist gerade auf dem Weg zum Stadion; mit gemischten Gefühlen, wie sie erzählt. Sie habe Angst vor Ausschreitungen, vor allem wegen ihrer Kinder, die zuhause auf sie warten – die Anschuldigungen gegen Lindemann bezeichnet sie aber als Rufmord, weil es bisher keine Anzeigen gab und die Frauen nur anonym aussagen würden. Sabrina hat kein Verständnis für die Gegendemonstrationen, weil den Frauen klar sein müsste, dass „etwas passiert“, wenn sie mit Lindemann mitgehen würden.
Franz Stanzl, bekannt vom Wiener Satire-Duo Gebrüder-Moped, will sich indes mit seinem Demo-Besuch von Rammstein verabschieden - zwar war er kein großer Fan, fand aber als alter Kiss-Fan vor allem die Bühnen-Show beeindruckend, erzählt er profil. Gleichzeitig mit seinem Abschied möchte er sich mit den Frauen solidarisieren und „den Reflex, Frauen nicht zu glauben“, kritisieren.
Viele der Demonstrierenden waren nicht überrascht von den Anschuldigungen – die Texte, die Lindemann schreibt, würden Bände sprechen. Drei Frauen, allesamt Sozialarbeiterinnen, machen sich gemeinsam auf den Weg zur Gegendemo. Sie seien Musikfans und wollten ein Zeichen setzen, erzählen sie. Und das durchaus mit einem mulmigen Gefühl. Denn sie würden nicht wissen, wie die mehrheitlich männlichen Fans auf sie reagieren würden.
Auch Verena, 38, will gegen „Vergewaltigungskultur“, die sie „zum Kotzen“ findet, ein Zeichen setzen. Sie erzählt, dass ihr die Schilder, die sie zur Demonstration mitgebracht hat, von einem weiblichen Rammstein-Fan aus der Hand gerissen wurden.
Anfang der Woche wurden erstmals auch aus Österreich Vorwürfe gegen Lindemann bekannt. Eine betroffene Frau schilderte anonymisiert im ORF, Lindemann habe sie 2019 in Wien nach einer Party gegen ihren Willen geschlagen und auf ein Bett im Hotelzimmer gedrückt. Lindemanns Anwälte weisen auch diese Vorwürfe laut ORF zurück. In Folge hatten unter anderem Vertreterinnen der Grünen ihre Forderung untermauert, die Veranstaltungen im Ernst-Happel-Stadion abzusagen.
„Keine Bühne für mutmaßliche Täter“
„Dass jemand, gegen den Verdachtsfälle vorliegen, vor Zehntausenden auftreten kann – was ist denn das für ein Signal? Solchen Menschen darf man einfach keine Bühne bieten“, sagt die Grüne Frauensprecherin Meri Disoski im profil-Interview. Sie ist in den vergangenen Wochen vehement dafür eingetreten, dass die Konzerte abgesagt werden.
Auch das Bündnis #aufstehn hatte im Vorfeld der Konzerte mobilisiert, die Gegendemonstration organisiert und eine Petition zur Absage der Konzert-Events aufgesetzt, die bis Mittwochabend mehr als 17.000 Mal unterschrieben wurde. Für die Demonstration hatte zuletzt auch die Wiener Autorin Stefanie Sargnagel geworben. Es gehe ihr, so Sargnagel im Gespräch mit profil, „darum, Solidarität mit allen Opfern zu zeigen.“
„Das böse Feindbild gibt es nicht, es kann auch jemand, der im Alltag der netteste Kumpel ist, in der Beziehung ein Gewalttäter sein“, sagt die Autorin Stefanie Sargnagel auf der Gegendemonstration.
Sargnagel findet auch die Dynamiken interessant: Während die Fans immer wieder herumpöbeln würden, gehe es in den Reden auf der Demonstration um Gewaltprävention. „Die Fans identifizieren sich so sehr mit der Band, dass sie auf die mutmaßlichen Opfer losgehen,“ so Sargnagel. Sie verstehe diese Ambivalenz bis zu einem gewissen Grad, betont jedoch: „Das böse Feindbild gibt es nicht, es kann auch jemand, der im Alltag der netteste Kumpel ist, in der Beziehung ein Gewalttäter sein.“
Schlange vor Pop-Up-Store
Szenenwechsel, Taborstraße. Im zweiten Wiener Gemeindebezirk gibt es während der Showtage einen Rammstein-Pop-Up-Store mit Merchandise-Produkten der Band. Das Herrenmodegeschäft „Strictly Herrmann“ hat der Band die Räumlichkeiten laut Medienberichten für zwei Tage zur Verfügung gestellt. Menschen stellen sich an, lassen sich beim Eintritt von Securitys kontrollieren; im Schaufenster trägt eine Puppe ein Shirt mit der Aufschrift „Pussy“, eine Anspielung auf den gleichnamigen Song der Band des Albums „Liebe ist für alle da“ (2011). „Pussy“ wurde, nachdem die Vorwürfe gegen Lindemann erhoben worden waren, aus der Setlist gestrichen und die überdimensionale Penis-Kanone, aus der der Front-Sänger seit Jahren während der Nummer das Publikum mit Schaum bespritzt hatte, aus der Show gestrichen.
Gespaltene Fans
Es sind wohl in vielerlei Hinsicht die Konzerte des Jahres. Denn kaum jemals werden Stadionkonzerte zu einem derartigen Politikum, wenden sich Fans von ihren Idolen ab – oder stellen sich betont hinter sie.
Ein Fan, der die Band seit 2001 verfolgt, spricht mit profil über die Ambivalenz, heute und morgen zu den Konzerten zu gehen. Denn: Die im Raum stehenden Vorwürfe könne man nicht ausblenden, so der 35-Jährige. Einerseits habe ihn die Band nicht nur durch seine Jugend, sondern auch durch schwierige Lebensentscheidungen begleitet. Und: Es gebe keine bessere Live-Band als Rammstein, erzählt er. Obwohl viele Punkte dafür sprechen würden, die Konzerte diesmal ausfallen zu lassen, hat er sich entschieden, doch an beiden Abenden im Ernst-Happel-Stadion dabei sein zu wollen. Er sagt: „Rammstein ist viel größer als die Person Till Lindemann.“
Andere Rammstein-Fans wiederum ziehen mehr Register. Ein junger Mann erzählt profil, er habe seine beiden Tickets nach Bekanntwerden der Vorwürfe weiterverkauft. Er hätte das Konzert-Event zwar gerne besucht - schon einmal hat er die Band in Deutschland gesehen - in Anbetracht der Umstände hätte er aber kein gutes Gefühl dabei, im Stadion zu stehen und Lindemann zu applaudieren.