Rap: Die verpönte Musik
Rap ist das Genre der Jugend. Rap wird im Club, im Kinderzimmer und in den größten Konzertlocations gespielt. Rapsongs dominieren die Charts. Doch das Genre steht auch ständig in der Kritik. Viele Texte und Videos sind voller Gewaltverherrlichung und Homophobie, Sexismus und Frauenfeindlichkeit. Trotzdem ist Hiphop auch bei Frauen beliebt. Was macht Rap heute aus und wieso feiern Frauen diese Musik?
Erfolgreiche Asozialität?
Der weltweit meistgestreamte Musiker auf Spotify ist der Rapper Drake. Mehr als 28 Milliarden Mal wurden die Songs des 33-jährigen Kanadiers bisher abgespielt. Streaming-Zahlen und Chartplatzierungen im deutschsprachige Raum zeigen, welchen Stellenwert das Genre auch hierzulande hat. „Wie ich das hasse, wenn die Schlampe ein'n auf Ehre macht. Aber nicht mit mir Kolleg, ich leg' die Schlampe flach” textet der meist-gestreamte Musiker in Österreich 2019: Capital Bra. Auf Spotify verzeichnete der Berliner-Rapper Anfang März über 4,5 Millionen monatliche ZuhörerInnen - mehr als Andreas Gabalier, Rainhard Fendrich, Wanda und Bilderbuch zusammen.
Wer mich nicht kennt, der ist schlecht informiert (Raf Camora - Zenit)
Gleich hinter Capital Bra rangierten im vergangenen Jahr sein Freund und Rap-Kollege Samra und der Wiener Raf Camora alias Raphael Ragucci. Raf Camora war 2017 und 2018 der beliebteste deutschsprachige Künstler auf Spotify - vor Rammstein und Helene Fischer. Zusammen mit Bonez MC sorgte er dafür, dass der Radiosender Ö3 seine wöchentliche Chartshow veränderte, als nicht weniger als 13 der 15 bestplatzierten Songs von ihrem gemeinsamen Album “Palmen aus Plastik 2” stammten. Die Tracks wurden nicht vollzählig gespielt, da das spektakuläre Ergebnis nur auf Streams beruhe. Laut Vesna Nikolic, 24, eine Verfälschung der Charts. Sie ist Programmchefin und Mitbegründerin von „Hood Music”, Österreichs erstem HipHop-Radio. Seit ihrer Kindheit fasziniert sie Rap. “Ich liebe die Beats, die Reimketten, die Metaphern, die Wortwitze und dass Rap sich kein Blatt vor den Mund nimmt.”
So sieht das auch Mira, 21. Als HipHop-Journalistin ist sie auf Festivals und Konzerten in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterwegs. “Ich mag Rap, weil es keine Tabus gibt – man traut sich einfach alles.“ Außerdem schätzt sie die Variationsbreite der Musik: „Es kann entweder extrem aggressiv oder extrem gefühlvoll sein. Das holt mich ab.“
Anita, 24, wiederum hat nach der Matura begonnen, in einem HipHop-Club in Wien zu arbeiten. Für sie ist Rap nicht nur Musik, sondern auch ein Ventil. „Rap drückt oft aus, was du eigentlich denkst, aber nicht sagen willst – vor allem, weil es teilweise nicht korrekt ist.“ Ob es um finanzielle Schwierigkeiten oder Alltagsrassismus geht – Anita kann sich mit vielen Zeilen ihrer Lieblingskünstler identifizieren.
Auch für Salma, 22, sind die Texte ein wichtiges Kriterium. Sie schreibt Gedichte und meint, viel von Rap gelernt zu haben. „Ich liebe Rap, aber nicht irgendeinen. Ich spreche von Rap-Texten, die Poesie sind. So etwas finde ich bei 2Pac, Biggie und all den anderen Oldschool Rappern.“
Wortwörtlich, aber auch übertrieben
Since I'm stereotyped to kill and destruct - Is one of the main reasons, I don't give a fuck (MC Ren, N.W.A. - 100 Miles and Runnin’)
Der Ursprung des HipHop liegt in den frühen 1970er-Jahren in der Bronx, New Yorks nördlichstem, ärmsten Stadtbezirk. Die einkommensschwache, marginalisierte Bevölkerungsschicht fand im Rap ein Sprachrohr und Ventil. Einen Weg, gehört zu werden und sich über soziale Missstände, Perspektivlosigkeit, Gewalt und Rassismus auszukotzen. Nichts wird schöngeredet. Das ist auch der Grund, wieso Rap vor allem junge Menschen anspricht und fasziniert: Keine Grenzen, kein elitärer sprachlicher Duktus. Sondern eine Sprache, die auch in den Parks, in sozialen Brennpunkten und Randbezirken gesprochen wird.
Mehr Botox-Bitches als ein Plastischer Chirurg, ah Ich schreibe keine Texte, ich schreib' Bibelverse VIP-Lounge wie der Bundestag: voller Riesenärsche (Shindy - JFK)
Einige Texte kann man sehr wohl als sexistisch oder frauenfeindlich verstehen. Mira stimmt dem zu, „aber nur wenn man Rap so ernst nimmt. Diese Musikrichtung ist oft überzogen und will nicht wörtlich ernst genommen werden – als Kunst aber sehr wohl.“ Man müsse Realität von Kunst unterscheiden. „Es ist nicht Michael (bürgerlicher Vorname des Rappers Shindy, Anm.), der darüber rappt, dass er mit fünf verschiedenen Frauen schläft, sondern halt Shindy. Es ist eine Kunstfigur.“
Anita fühlt sich auch nicht von der Musik angegriffen. „Mir und meinen Freunden sind die Texte wichtig und natürlich verurteilen wir Menschen, die so über Frauen reden. Aber hier ist es eben Kunst.“ Ihrer Meinung nach ist es nicht widersprüchlich, Feministin und Rap-Fan zu sein.
Vesna zitiert einen Text von Rapper Afrob: „Rap ist nicht frauenfeindlich, selbst den schmutzigsten Text feiern Frauen heimlich“. Mittlerweile passiere das aber nicht mehr heimlich, sondern ganz offen. “Rap hat einfach keine Blümchensprache.“
Für Salma kommt es auf den Künstler an. „Farid Bang hör ich nicht“, sagt sie. “Jedes zweite Wort von ihm ist ein Schimpfwort. Man muss nicht so sexistisch und homophob sein – guter Rap funktioniert auch anders.“
„Ein Rap-Hörer, Rap-Nerd oder Fanatiker kann intuitiv gut erkennen, was real und was überspitzt ist“, meint Vesna: „Wenn man sich mit Rap befasst, dann kann man das gut unterscheiden.“
Man sagt, ich bin frauenverachtend (hahaha) Aber Frauen sind Schlampen (bäh) (GZUZ - Träume)
Das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ beschäftigte sich im Jänner in einer Titelgeschichte mit dem Thema HipHop: „Die Faszination des Gangsta-Rap“. Das Titelbild zeigte den Rapper GZUZ (Akronym für Ghetto Zeug UnZensuriert, Anm.) von der 187-Strassenbande mit ausgestrecktem Mittelfinger und finsterem Blick. Seine Texte sind ein Paradebeispiel dafür, dass Sexismus und Frauenfeindlichkeit im Rap zweifellos vorhanden sind. Mit ihrer enormen Reichweite hätten Rapper aber eben auch eine Verantwortung, meint Salma: „Wenn man Frauen als Sexobjekt darstellt, dann nehmen viele Fans diese Vorstellungen zum Teil unterbewusst an.“
Der Berliner Rapper Fler setzte jüngst gar ein Kopfgeld von 2000 Euro auf eine Kritikerin seiner Texte aus. Damit wirft der Gründer und Inhaber des Labels “Maskulin” nicht nur ein schlechtes Licht auf sich, sondern auf die gesamte Szene. Ausgang war ein Video des Vereins “Terre Des Femmes”, der zurzeit mit seiner Kampagne #UnhateWomen auf frauenfeindliche Texte im Deutschrap aufmerksam macht.
Schwarzer Anzug, Lackschuhe, Tennissocken - Auf der Bühne steh'n und einfach in die Menge rotzen - Mit Veganern ins Steakhaus geh'n Händchen halten mit Groupies, die nach AIDS ausseh'n (Summer Cem - Hayvan feat. KC Rebell)
Provokationen, Grenzüberschreitungen, satirische Übertreibungen und drastische Vergleiche waren schon immer Stilmittel des Genres. Nicht jeder Rap ist sexistisch und nicht jede Zeile ist ernst gemeint. Die Rap-Sprache mit ihrer oft vulgären und provokanten Ausdrucksart entspricht nicht jedem Geschmack. Bevor man jedoch darüber urteilt, sollte man sich mit dem Stil und den Wurzeln des Genres auseinandersetzen. Es treffen sich übrigens auch nicht alle Heavy Metal Fans zu satanistischen Ritualen.
Frauen am Mikrofon, Frauen im Publikum
Rap entwickelt sich aber auch weiter. In der deutschsprachigen Szene haben sich in den letzten Jahren immer mehr Frauen etabliert. Namen wie Loredana, Nura, Juju, Eunique, Shirin David sind in der Community längst bekannt. Sie verleihen der Szene nicht nur mehr Vielfalt, sie verändern auch das Frauenbild des Milieus oder spielen mit dessen Klischees – zum Teil sehr erfolgreich. Die Berlinerin Juju erreichte in den letzten Jahren mehrmals den ersten Platz der Charts und gewann auch den Award des besten deutschen Acts bei den MTV Europe Music Awards 2019.
Man wird nicht sagen, 'Das ist Frauen-Rap auf Deutsch'. Man wird sagen, 'Dieses Album hat zerstört' (Juju - Intro von 'Bling Bling')
Auch auf der Publikums-Seite hat sich etwas getan. Laut Anita liegt es an den Veränderungen der Musik. „Es gibt jetzt auch Frauen, die Männer dissen. Mittlerweile denkst du dir als Frau nicht mehr, dass du aufgrund deines Geschlechts etwas nicht hören kannst. Viele weibliche Freunde von mir hören Rap. Wenn du „Bro“ bist, bist du „Bro“. Egal ob Frau oder Mann.“
Einen Wandel der HipHop-Szene hat auch Mira beobachtet. „HipHop generell und Frauen-Rap an sich sind populärer geworden. Es gibt viel mehr Künstlerinnen, viele männliche Künstler kollaborieren mit Frauen. Das ist nicht mehr seltsam oder besonders.“ Ein schönes Beispiel: „SXTN haben sich als Frauen in der Hiphop-Szene etabliert. Sie bringen Sprüche wie: “Ich f***e deine Mutter ohne Schwanz”. Sie sagen damit: Ich brauch keinen Schwanz – ich bin trotzdem besser als du“, erklärt Mira.
Salmas Ansicht nach ist all das auch ein Zeichen von gesellschaftlichem Fortschritt. „Wir leben generell in einer Gesellschaft, in der die Rollenbilder nicht mehr so fest und starr sind wie früher. Man kann eigentlich jeder sein, der man sein möchte – man kann auch hören, was man will.“