Rassismus-Doku "I Am Not Your Negro"
Die Geschichte des amerikanischen Schwarzen, schreibt James Baldwin, sei die Geschichte Amerikas - und sie sei alles andere als hübsch. Baldwins Understatement ist programmatisch; das disziplinierte Denken ist angesichts eines ungebrochen entfesselten Rassismus Pflicht.
Der zitierte Satz taucht auch in einem neuen Film auf, der die Geschichte der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegungen untersucht - und dabei der charismatischen Persönlichkeit James Baldwins gerecht wird. Raoul Pecks weltweit gefeierter, heuer sogar für einen Oscar nominierter Dokumentarfilm "I Am Not Your Negro", quasi-musikalisch gebaut aus ebenso grandiosem wie bestürzendem Archivmaterial, kommt ohne die üblichen talking heads und ohne belehrende Kommentare aus; er hat soeben Österreichs Kinos erreicht: unverzichtbares Bildungsprogramm für all jene, die das Wesen des (nicht nur) amerikanischen Rassismus zu begreifen versuchen, zudem eine Arbeit mit starker filmischer Form.
Er habe die "direkte Konfrontation mit Baldwin und seinen Worten" gesucht, sagt Peck. "Er sieht uns an und spricht direkt zu uns. Danach ist niemand mehr unschuldig. Das macht die Kraft dieses Films aus." Der bis zum heutigen Tag unübersehbar wütende Rassenhass lässt die historische Studie "I Am Not Your Negro" extrem gegenwärtig aussehen. Peck und Baldwin fächern die vielen legitimen Formen des Widerstands gegen Erniedrigung und Diskriminierung auf - vom Pazifismus des Baptistenpastors Martin Luther King jr. über die kompromisslose Aufklärungsarbeit des Bürgerrechtlers Medgar Evers bis zum bewaffneten Widerstand des Aktivisten Malcolm X. Sie alle wurden, weil sie gegen Segregation und Diskriminierung kämpften, in den 1960er-Jahren gewaltsam ums Leben gebracht; keiner von ihnen wurde älter als 39. Von ihnen handelt "I Am Not Your Negro" auch und vor allem.
Brando, Belafonte, Dylan
Pecks Zugang ist originell: Er spiegelt die Ereignisse in einer von Rassismus überschatteten Nation an der Biografie und bislang unveröffentlichten Fragmenten der Lebenserinnerungen des Schriftstellers James Baldwin (1924-1987); es sind Notizen, Vorarbeiten zu dem nie fertiggestellten Buch "Remember This House", dazu kommen Ausschnitte aus den berühmten Baldwin-Essays "The Fire Next Time" und "The Devil Finds Work". Man trifft, unterwegs durch diesen Film, auf populäre Ikonen der Nachkriegszeit, auf Marlon Brando, Harry Belafonte und Bob Dylan, aber auch auf Politiker und Freiheitskämpfer. "I Am Not Your Negro" besitzt eine mitreißende Erzählung: Tarantino-Performer Samuel L. Jackson begleitet die Bilder als Erzähler aus dem Off, während der flamboyante Baldwin in öffentlichen Auftritten und Fernsehdebatten mutig antirassistische Plädoyers hält. Er spielt in aller Ruhe den Ball zurück: Wer ihn einen "Nigger" nenne und nicht einen Menschen, sagt er, scheint dies zu brauchen -und wer das tue, müsse eben herausfinden, warum er es so dringend brauche. Baldwins Strahlkraft, sein Intellekt und seine ungeheure Eloquenz tragen "I Am Not Your Negro", einen Film, an dem vieles, das vor Jahrzehnten geschrieben und gesprochen wurde, prophetisch klingt. Raoul Peck, geboren 1953 in Port-au-Prince, Haiti, bislang hauptsächlich bekannt als Regisseur zweier Werke über den kongolesischen Politaktivisten Patrice Lumumba (1992/2000, einmal dokumentarisch, einmal fiktional), hatte vor wenigen Monaten erst seinen Spielfilm "Der junge Karl Marx" in die Kinos gebracht. Ein ganzes Jahrzehnt nahmen Arbeit und Finanzierung der beiden Filme zu Baldwin und Marx in Anspruch - langwierige Verhandlungen mit potenziellen Sponsoren inklusive, die in Verkennung des bearbeiteten Materials oft darauf drängten, "doch auch die andere Seite zu zeigen"; als gäbe es eine Argumentation, die auch rassistisch motivierte Gewalt ein wenig verständlich machen könne.
Im Gespräch mit profil betont Peck, wie sehr seine beiden jüngsten, so unterschiedlichen Projekte für ihn persönlich eng zusammenhängen: Karl Marx und James Baldwin seien in den 1970er-Jahren "die Basis meines intellektuellen Lebens" gewesen. "Ihr Denken strukturierte mich. Baldwin entdeckte ich mit 17. Er ist der Kern, die absolute Essenz antirassistischer Literatur." Und obwohl er zwischenzeitlich unverdient in Vergessenheit geraten war, habe sich Baldwin als ungeheuer einflussreich erwiesen: Von der Briefform seines Textes in "The Fire Next Time" ließ sich unlängst etwa auch der junge Schriftsteller Ta-Nehisi Coates inspirieren.
Zugang zu Archiven
Peck konnte sich privilegierten Zugang zu den gesamten Beständen des Baldwin-Archivs in Washington verschaffen, das in Hollywood eigentlich eher dafür bekannt ist, höfliche Anfragen nicht einmal abschlägig zu beantworten. Für Raoul Peck, dessen Arbeit man kannte und schätzte (insbesondere "Lumumba"), machte man eine Ausnahme. "Ich traf James Baldwins jüngere Schwester Gloria, erklärte ihr, welchen Film ich plante: die ultimative Baldwin-Hommage nämlich, einen Film, den niemand, der ihn gesehen hatte, mehr vergessen können werde. So gab man mir die Erlaubnis, alles an Texten zu verwenden, was ich für richtig hielt. Gloria öffnete mir sämtliche Türen zu den Hinterlassenschaften Baldwins, belastete mich dadurch aber auch mit einem hohen Maß an Verantwortung."
Als Grenzgänger zwischen Europa und den USA unterhält Peck Filmproduktionsbüros in Frankreich und New York, lebt aber in Miami, weil es von da aus weniger weit nach Haiti ist, wie er erklärt. In Europa sei es übrigens auch nicht leichter, als schwarzer - und hochpolitischer - Filmemacher in einer fast durchwegs weißen Branche zu arbeiten, berichtet er sachlich. Er sei hier schnell an Grenzen gestoßen, an Wände, die andere aufgezogen hatten. "All die Bilder, die ich im Laufe meiner Karriere gedreht habe, sind gewissermaßen gestohlen. Ich drehte, aus der Perspektive des Mainstreams betrachtet, ,unmögliche' Filme. Natürlich hat es in diesem System immer auch Alliierte gegeben, aber sie bestätigten letztlich nur die Regel."
In Frankreich habe er sich an einem bestimmten Punkt wie in einem Ghetto gefühlt. Also sah er sich gezwungen, nach Nordamerika auszuwandern, wo er nun auch "I Am Not Your Negro" koproduzieren ließ. Sein Nomadismus habe ihn "gerettet". Andere seien leider nicht so glücklich. "Viele der großen afrikanischen Regisseure, die noch leben, Idrissa Ouédraogo beispielsweise oder Souleymane Cissé, sehen sich inzwischen außerstande, noch Filme zu machen. Das System bestraft sie. Wenn du dich weigerst, den immer gleichen Film zu machen, wirst du mit hoher Wahrscheinlichkeit scheitern."
Die Geschichte ist unschön. Es ist wichtig, sie zu erzählen, immer wieder, in aller Ruhe und Genauigkeit. In James Baldwins kühler Präzision.