Raus zum Spielen: „I See You“ von The xx
Kleines Einmaleins einer möglichen Popkarriere: Das Debütalbum muss einschlagen wie ein Komet, während man sich in Gedanken schon durch die zweite Platte quält. Wirklich interessant wird dann das dritte Album. Hier entscheidet sich, wer bleibt, wer kommt und wer geht. Im Falle der britischen Indiepop-Band The xx darf verraten werden: „I See You“ ist großartig geworden.
Jamie Smith, Oliver Sim und Romy Madley Croft haben mit ihrem Debüt, das sie schlicht „xx“ genannt haben, 2009 nicht nur einen Nerv, sondern einen Zeitgeist getroffen. Empfindsam gehauchter Gesagt, zerstreute Basstöne, sanftes Gitarrenzupfen, dazu minimalistische Elektrospielereien; ein Album wie ein stilles Erdbeben. Ein moderner Klassiker im besten Sinne. Elegischer Zauberindiepop, wie gemacht für die jungen Menschen mit ihren iPods, die einsam (oder auch zweisam?) mit der U-Bahn durch die Großstadt fahren, an ihrem Liebeskummer leiden oder einfach nur nicht wissen, ob sie an der nächsten Häuserecke nach links oder rechts abbiegen sollen. Träumerische Typen waren endlich wieder in Mode – und das Trio aus London spielte den passenden Soundtrack.
Neue Popsphären
Knapp drei Millionen Einheiten hat das Kammerpop-Trio von seinen ersten beiden Alben verkauft. Acht Jahre nach dem Debüt erscheint nun „I See You“. Die zehn neuen Songs erzählen eine durchaus neue Geschichte, ohne die musikalischen Wurzeln von The xx zu verraten. Smith, Sim und Croft gönnen ihrem Wattewolkenpop mehr Übermut und Freude – spielen mit Dancepop-Anleihen, süchtig machenden Beats und bittersüßen Duetten. Das gefeierte Soloalbum von Jamie Smith (alias Jamie xx) hat hier sicher seine Spuren hinterlassen. Auf „In Colour“ hat der Soundtüftler bereits 2015 all die Popbausteine zusammengeführt, die auch auf „I See You“ zum Einsatz kommen: House und Dance, HipHop gepaart mit Samples aus dem Kosmos. Zukunftsmusik im besten Sinne.
Was ist also das Geheimnis der drei stets in Schwarz gekleideten Musiker? Die Kunst von The xx bestand seit ihrem Bestehen darin, ihre vordergründige Pop-Introvertiertheit einem Massenpublikum zu öffnen; ihre elegischen Songs auch vor einem Festivalpublikum zum Schweben zu bringen. Die Band war sich auch nie zu schade, ihre feingliedrigen Songminiaturen für Werbejingles und Soundtracks zur Verfügung zu stellen. In Berlin, London und Lissabon veranstaltete die Band ihr eigenes „Night + Day“-Festival mit bis zu 20.000 Besuchern. In New York spielte sie im Rahmen einer Artist-Residency 25 intime Konzerte in einem Raum für gerade mal 40 Personen.
Die Wanderung auf diesem schmale Grat ist nun das große Geheimnis hinter „I See You“. Während die Welt auf die nächste schlechte Antwort wartet, spielt sich das Trio frei von jeglichen Konventionen, öffnet die Musik in alle Richtungen. Die Musik von The xx richtet sich jetzt nach außen – und nicht mehr nach innen. Jamie Smith, Oliver Sim und Romy Madley Croft gehen endlich raus zum Spielen. Mehr kann man sich für dieses Jahr nicht wünschen.
The xx: I See You (Young Turks)