Augenblickserfahrungen: Christiana Perschons filigrane Kinoporträts
Eine Kunst der ausgleichenden Gerechtigkeit ist notwendig, wenn man von den systematisch blockierten Karrieren hochbegabter Künstlerinnen der 1960er- und 1970er-Jahre erzählen will: In Wiens ältestem Kino, den seit 1905 existierenden, inzwischen liebevoll generalsanierten und exquisit programmierten Breitenseer Lichtspielen (BSL) im 14. Wiener Gemeindebezirk, kann man morgen, Donnerstag, das bisherige filmische Gesamtwerk der Künstlerin Christiana Perschon erleben.
Die Regisseurin, Jahrgang 1978, arbeitet seit rund zwei Dekaden schon an einer lyrisch-dokumentarischen Form der Annäherung an ältere Künstlerinnen; sie erforscht entschieden weibliche Perspektiven, arrangiert zwischenmenschliche Begegnungen streng filmisch. Christiana Person drückt es so aus: Sie arbeite an einem „performativen feministischen Archiv in Bewegtbildern“. Als „absolute Einzelarbeiterin“ charakterisiert sie sich selbst. „Mir reicht es, dass sich vor der Kamera eine weitere Person befindet. Das ist ohnehin schon eine Öffnung.“ Tatsächlich geht sie in einen subtilen Austausch mit ihren Protagonistinnen, und sie denkt dabei stets auch den Kamerablick mit, der zwischen den Porträtierten und der sie Porträtierenden steht.
Morgen um 18:15 Uhr startet im BSL die erste Vorführung, man zeigt Christiana Perschons bislang einziges abendfüllendes Werk, „Sie ist der andere Blick“ von 2018: Darin spürt sie den Arbeiten und Persönlichkeiten zentraler österreichischer Kunstpionierinnen nach, die viel zu spät jene Würdigung erfahren haben, die ihnen zusteht: „Sie ist der andere Blick“ umkreist, in der Interaktion mit Renate Bertlmann, Linda Christanell, Lore Heuermann, Karin Mack, Margot Pilz and Iris Dostal, auf sinnliche, fast taktile Weise deren Ästhetiken und Weltsichten.
Ab 20:30 Uhr werden dann sieben kürzere Arbeiten präsentiert, entstanden zwischen 2014 und 2023 – sie reichen von einem raren Ausflug ins Reich der Found Footage („Ghost Copy“, 2016) bis zu den beiden jüngsten Perschon-Produktionen, die der Malerin und Zeichnerin Florentina Pakosta („Wenn ich mich zeichne, existiere ich dreifach“) sowie der Analogfilm- und Kino-Haiku-Meisterin Friedl vom Gröller („Friedl“) gelten.
Christiana Perschons hochreflexive, in sich ruhende Werke sind nicht einfach nur Protokolle, nicht bloß Akte des Dokumentieren und Festhaltens, sondern auch sehr präzise formalisierte Kompositionen. „Jede Begegnung mit einem Bild“, sagt die Künstlerin, „jede Interaktion mit einem Menschen ist eine Augenblickserfahrung und sucht nach einer eigenen Form.“ Die Kuratorin der Reihe „Focus On“, die Filmemacherin Lotte Schreiber, wird nach jeder der beiden Vorführungen ein Gespräch mit der Regisseurin führen.
Wenn man leichthin davon spricht, dass Kunst bisweilen dazu imstande sei, einem die Augen zu öffnen: Hier trifft es tatsächlich zu. Sehen Sie selbst.