Ihr zweiter Spielfilm sieht, nach Ihrem bildsprachlich sehr jugendlichen Debüt, nun erstaunlich klassisch aus. War das der Plan?
Kurdwin Ayub
Es war mein größtes Anliegen, den Stil von „Sonne“ nicht weiter auszureizen. Ich wollte wohl auch beweisen, dass ich „richtige“ Filme machen kann und nicht nur knallige Montagen mit lustigem Vater und verhaltensauffälligen Kindern.
Ihre Grundthemen sind dennoch auch in „Mond“ sehr präsent: der Aufeinanderprall der Kulturen, die Lebensstile junger Frauen. Würden Sie Ihren Grundimpuls feministisch nennen? Oder ist Ihnen das Wort zu abgegriffen?
Ayub
Es greift zumindest zu kurz. Ich erzähle meine Geschichten als Frau, und ich habe Migrationshintergrund, das ergibt automatisch eine bestimmte Perspektive. Meine Geschichten sind schon sehr persönlich. Ich schreibe ja meist über Dinge, die ich selbst erlebt habe, in meiner Familie und meinem Freundeskreis.
Die Protagonistin in „Mond“, gespielt von der Regisseurin und Performerin Florentina Holzinger, hat keine Migrationsgeschichte. Aber sie ist jung und kämpferisch.
Ayub
Genau. Deshalb erkenne ich mich in dieser Figur auch wieder. Ich bin, wie sie, oft in Hotels unterwegs und einsam. Ich kenne dieses Leben. Das hat aber auch etwas Universelles – und mit Herkunft nichts zu tun. Das wollte ich zeigen: Man steckt in Käfigen fest, egal, aus welchem Gesellschaftssystem man kommt.
Tatsächlich sind Käfige die zentrale Metapher Ihres Films. Die Wiener Martial-Arts-Sportlerin wird zu Beginn in einem Wettkampfkäfig blutig besiegt, später trainiert sie drei junge Frauen, die im sprichwörtlichen Goldenen Käfig eines Palastes im Nahen Osten festsitzen. Es geht um Machtverhältnisse, auch um die Ambivalenz von Privilegien.
Ayub
Ich schicke da sehr bewusst eine Europäerin nach Jordanien, aus deren Perspektive ich erzähle. Mich interessieren „White Savior“-Geschichten. Für das Kino bedeutet das: Ein westliches, sehr weißes Publikum identifiziert sich mit der weißen Westheldin, die armen people of color dabei hilft, sich zu befreien. Am Ende haben wir den Rassismus überwunden und fühlen uns alle besser. Meine Kritik am White Saviorism sollte aber nicht eindimensional formuliert werden, sondern mehrere Perspektiven verständlich machen.
Man kann tatsächlich sowohl die Intentionen der Protagonistin als auch die derjenigen, denen sie helfen will, gut verstehen.
Ayub
Genau. Auf Instagram posten die meisten Leute ständig ihre Expertisen, man möge den Krieg in Gaza stoppen, Rechtsradikalismus, Rassismus und Sexismus beenden. Eh! Aber wie? Insofern schickte ich eine Europäerin, die Gutes will, in eine Situation, in der sie meint, Gutes tun zu können. Und dann passieren Dinge, die man vielleicht nicht erwartet hat.
Sie halten die Balance der Vieldeutigkeit.
Ayub
Das finde ich so spannend. Man ertappt sich als Publikum dann selbst bei dem paternalistischen Gedanken des Rettenwollens. Aber eigentlich ist der Begriff White Saviorism schon altmodisch: Ich meine, Lawrence von Arabien ging als britischer Kolonialist in die Wüste, um den Stämmen dort auf die Sprünge zu helfen. Bei mir kommt eine mittellose Europäerin in ein unfassbar reiches Land.
Das ist die Umkehrung der traditionellen Privilegienverteilung.
Ayub
Weil sich unsere Gesellschaft langsam ändert. Die einstigen Weltmächte im Westen konkurrieren nun mit denen im Osten. Das Narrativ des White Saviorism wird brüchig. Denn im Grunde sind etwa Jordanien, Dubai, die Emiraten oder auch Saudiarabien reiche, eigenständige Länder. Zugleich meint man die europäische Frau ist „freier“, aber ist das wirklich so?
Die „freie“ Frau aus dem Westen ist arm, einsam und Befehlsempfängerin.
Ayub
Diese Erzählung sollte möglichst offen sein – und auch ein bisschen kontroversiell. Ich wollte keinen dieser braven und öden Filme machen, die einem bloß ihr Statement aufdrängen.
Lediglich die Porträts der männlichen Randfiguren sind da und dort ein wenig kursorisch geraten, oder?
Ayub
Ich hatte leider nicht den Raum und Rahmen einer zehnstündigen Netflix-Serie. Es gibt so viele Filme, in denen Frauen stereotyp gezeichnet sind, das kann man auch einmal umdrehen.
Sie meinen, ein Hauch an Männerfeindlichkeit sei eh okay?
Ayub
Genau!
Aber Sie haben das Drehbuch gemeinsam mit den Leuten vor der Kamera entwickelt?
Ayub
Ja. Es musste für sie passen. Ich war monatelang in Jordanien, um mit den Schauspielerinnen und Schauspielern die bestmögliche Darstellungswege zu finden.
Es gab keine fixierten Dialoge?
Ayub
Nein. Alle sprechen in ihren eigenen Worten.
In „Mond“ sieht man wenig von der Außenwelt. Warum war es wichtig, all die Wohnräume, Hotelzimmer und Bars im Nahen Osten zu drehen?
Ayub
Ich wollte diese Enge, dieses Gefühl der Klaustrophobie vermitteln. Und es ging mir auch darum, die Situationen für Florentina so realistisch wie möglich zu halten.
Sie meinen, es spielt sich auch anders in einer jordanischen Bar?
Ayub
Natürlich. Ich versuche, die Bedingungen für mein Ensemble so authentisch und realistisch wie möglich zu halten. Damit sie sich besser einfühlen können.
Da befinden Sie sich in bester Tradition. Der Regisseur Erich von Stroheim ließ seine Darsteller, wenn sie Aristokraten spielen sollten, sündteure seidene Unterwäsche tragen. Obwohl man diese gar nicht sehen konnte. Aber man fühlt seine Rolle dann eher.
Ayub
Das stimmt auch! Ich würde aber lügen und einfach so tun, als wäre die Unterwäsche irre teuer gewesen. Funktioniert auch.
Wieso heißt Ihr neuer Film eigentlich „Mond“?
Ayub
Kunst darf ja alles behaupten. Aber „Sonne“ bezog sich auf die kurdische Flagge. „Mond“ steht nun für den Islam, zugleich spielt der Film mit der Idee, dass es eigentlich nicht um den Islam geht.
Haben Sie die Rolle der Sarah für Florentina Holzinger geschrieben?
Ayub
Ja. Obwohl sie zunächst nicht wirklich zugesagt hatte. Ich konfrontierte sie irgendwann mit meinem Plan: „Ich schreibe übrigens grad ein Drehbuch für dich.“ Sie sagte nur: „Okay, cool.“ Ich schrieb also mit ihr im Kopf, machte dann aber trotzdem ein Casting, um zu sehen, ob das gehen wird.
Hatte sie keine Zweifel angesichts ihrer ersten Kinohauptrolle?
Ayub
Doch, schon. Sie meinte anfangs oft: „Ich kann das nicht. Aber wenn du meinst.“ Das Gute ist: Florentina hat keine Angst. Sie lernt gerne Neues. Und sie war immer gut. In jedem Take.
Das Casting der drei jungen Frauen in Jordanien war schwierig?
Ayub
Ja, schon. Wenn eine europäische Filmfirma aus dem dekadenten Westen anreist, gibt es Misstrauen. Von etlichen Darstellerinnen wurden wir nach dem Casting geghostet – ich glaube, weil deren Eltern ihre Mitwirkung dann nicht erlaubt haben. Sie hatten offenbar Angst, dass sie sexuelle Inhalte spielen müssen, weil zuvor ausländische Firmen nach Jordanien gekommen sind und mit den Frauen von dort Kuss-Szenen gedreht haben. Das hat dort zu massiven Problemen geführt. Ich passte das Buch an, ließ potenziell problematische Szenen, alle sexuellen Anspielungen etwa, weg, weil das kulturell einfach nicht geht. Aber Andria Tayeh zum Beispiel, die ein Netflix-Star ist, war die feministische Message am wichtigsten. Als ich ihr Vertrauen hatte, vertrauten uns auch die anderen Frauen. Im arabischen Raum gehören Libanon und Jordanien zu den liberalsten Ländern. Im Irak kann ich nicht drehen, dort ist es zu unsicher. Aber meine Eltern sprechen neben Kurdisch auch Arabisch, also brachten die Volkshochschule und sie es mir ein bisschen bei.
Ihr Film verwandelt sich fast unmerklich in eine Art Thriller.
Ayub
Er sollte dokumentarisch beginnen und sich erst allmählich verwandeln, schließlich mitreißen. Und trotzdem auf die weiße Action-Heldin verzichten.
Sehen Sie sich, nach Auszeichnungen in Berlin, Triest und Locarno, als österreichische Filmemacherin oder eher als internationale Arthouse-Regisseurin?
Ayub
Als Mischung. Heutzutage kann man nicht mehr in Nationengrenzen denken. Ich verweigere auch Begriffe wie race oder Ethnie. Nationalismus ist überall dubios.
Inhaltlich sind Ihre Filme selten „österreichisch“, schon „Sonne“ war nicht wirklich ein Wiener Film.
Ayub
Durch Social Media und die Globalisierung gibt es keine abgegrenzten Kulturen mehr. Alles hat sich vermischt. Ich bin wohl auch ein Produkt der sozialen Medien.
Schreiben Sie schon an Ihrem nächsten Film, an „Sterne“?
Ayub
Ja. Das ist mein Arbeitsrhythmus: Sobald ein Film fertig ist, langweilt er mich. Ich muss sofort den nächsten beginnen.
Ist Schreiben nicht das Mühsamste?
Ayub
Nicht wirklich. Ich will nicht angeben, aber wenn ich etwas kann, dann sind es Schreiben und Inszenieren. Ich habe aber inzwischen auch wirklich Übung. Auch wenn die Medien mich immer noch einen „Shootingstar“ nennen: Ich mache das schon länger. Außerdem hab ich dauernd die Angst, dass ich vergessen werde, wenn ich nicht in schneller Folge Filme vorlege. Das kommt, glaube ich, noch aus meiner Kindheit.
Wie darf man sich „Sterne“ vorstellen?
Ayub
Es wird ein im Irak spielender Kriegsfilm. Es geht um eine US-Journalistin, die – als der IS Mossul eingenommen hat – mit einer arabischen Familie zu fliehen versucht, dann aber auf amerikanische Privatmilizen stößt, die gegen den IS kämpfen: Evangelikale gegen Islamisten. Das wird teuer, deshalb wird’s wahrscheinlich noch dauern. 2026 würde ich gerne drehen. Und ich will natürlich Stars!