REGISSEURIN KOLEŽNIK: Minimalistischer Zugriff auf die plüschige Josefstadt.

Theater: Regisseurin Mateja Koležnik modernisiert die Josefstadt

Die slowenische Regisseurin Mateja Koležnik lässt ihren Figuren in faszinierend verdichteten Inszenierungen kaum Luft zum Atmen. Dem Theater in der Josefstadt verpasst sie nun einen Modernisierungsschub. Nächste Station: Burgtheater.

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Gemütlichkeit sieht anders aus. In einem engen Treppenhaus schieben sich die Menschen aneinander vorbei. Sie sind hier gefangen, ohne die geringste Möglichkeit zu fliehen. Ständig wird man belauert und belauscht. Die angespannte Atmosphäre der Bespitzelung passt perfekt zu Ibsens Lebenslügenstück "Die Wildente". Selten war das Theater an der Josefstadt so radikal modern wie an diesem Abend, einem der Höhepunkte der vergangenen Spielzeit. Fünf Akte in 80 Minuten, eine sportliche Höchstleistung.

Sie sei "wie ein Tsunami" über die Josefstadt gekommen, erzählt die slowenische Regisseurin Mateja Koležnik in der Theaterkantine. Gerade probt sie "Der einsame Weg" von Arthur Schnitzler (Premiere: 15. November), es ist halb zehn Uhr morgens, und sie muss dringend rauchen. Man spürt ihre unbändige Energie -im euphorischen Erzählen vergisst sie darauf, ihre Zigarette anzuzünden. "Ich bin ein neurotischer Charakter, entwerfe auf der Bühne ein obsessives System. "Ich muss wissen, warum sich die Figuren so verhalten, wie sie es tun. Eine Inszenierung sollte aus einem Guss sein: Kostüme, Musik, Raum -alles erzählt dieselbe Geschichte." Koležnik reduziert ihre Stoffe, bleibt aber komplex in der Personenführung, ist versessen auf Details, die viel über die Figuren erzählen. Wie ihr deutscher Kollege Michael Thalheimer setzt sie auf Minimalismus, ist dabei aber deutlich weniger pathetisch. Sie schnürt ihren Figuren einfach die Luft ab, schafft existenzielle Situationen, aus denen es kein Entkommen gibt. Ein sadistisches Experiment, das beim Zuschauen jedoch einen enormen Sog erzeugt.

In Kritiken über ihre Arbeit fallen Zuschreibungen wie "gefriergetrocknet", "eisige Konsequenz", "gnadenlose Unabdingbarkeit" und "faszinierende Präzision". Sie fordert das Theater heraus, das noch immer an alten Konventionen hängt: Man spricht nach vorne, suggeriert auch auf einer leeren Bühne, in einem Wohnzimmer zu sein. Koležnik schafft mit ihrem Bühnenbildner Raimund Orfeo Voigt sterile Räume des Übergangs: Sie stellt Menschen in Vitrinen. "Nora" (2016 in Klagenfurt) spielte in einem leeren Zimmer mit zwei Türen, "König Ödipus" (2016 am Residenztheater in München) in einer Art langem Vorraum hinter Glas, in "Ein Volksfeind" (2018, ebenfalls am Residenztheater) waren die Akteure in einem sich drehenden Glaskasten gefangen, nur in der Mitte gab es einen grauen Kasten, in den man verschwinden konnte. "Ich zeige Menschen in Ausnahmesituationen", sagt die Regisseurin: "Energie und Spannung werden so größer. Ich komme gern direkt auf den Punkt, lasse Einleitungen und Floskeln weg."

Filmregisseure als Inspiration

All das wirkt sehr filmisch, oft wie ein Psychothriller. Die Hintergrundmusik hat wesentlichen Anteil, die beklemmende Stimmung zu erzeugen. Die Worte der Spieler werden über Mikroports verstärkt, was die Intimität erhöht. "Ich liebe es, als Zuschauerin ein Voyeur zu sein. Das Gefühl zu haben, die Figuren auf der Bühne erzählen mir nicht alles, und ich muss mich anstrengen, ihren Geheimnissen auf die Spur zu kommen." Filmregisseure wie Michael Haneke, Ingmar Bergman oder Stanley Kubrick nennt sie als Inspiration. "Ich kreiere wie im Kino einzelne Bilder, baue Sequenzen, versuche die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu lenken, ihnen die Freiheit zu nehmen, ihren Blick schweifen zu lassen." Länger als zwei Stunden war noch keiner ihrer Abende. Auch darin bleibt sie dem Kino treu.

Koležnik gelingt eine Gratwanderung: Die genaue Spracharbeit und das Feilen an der psychologischen Tiefe ist im Grunde altmodisch, dabei ist sie hochmodern in ihrem ästhetischen Zugriff und im Kürzen der Stücke auf das Wesentliche. Rhetorik als Manipulationsinstrument interessiert sie. In Slowenien, Kroatien und Serbien habe sie oft das Label "deutsche Regisseurin" übergestülpt bekommen, weil sie präzise inszeniert, mit klaren Vorstellungen an die Proben geht. An deutschen Theatern hingegen werde sie oft als "Balkan-Regisseurin" bezeichnet -weil sie darauf besteht, dass die Schauspieler emotional glaubhaft spielen müssen.

Mateja Koležnik studierte Theaterregie an der Akademie für Theater, Film und Fernsehen in Ljubljana, wirkte danach an allen großen Bühnen im ehemaligen Jugoslawien. Ihre erste Regiearbeit in Westeuropa fand in Chemnitz statt, wo sie 2012 "Yvonne, Prinzessin von Burgund" inszenierte. Sie war damals irritiert, dass es keine langen Leseproben gab, erinnert sie sich. In Slowenien habe dies nämlich Tradition. Gibt es Unterschiede zwischen den Schauspielstilen im Osten und im Westen? "Wir setzen mehr auf Gefühle als auf Gedanken", analysiert sie.

Modernisierungsschub für Josefstadt

Josefstadt-Chef Herbert Föttinger war einer der ersten Intendanten aus dem deutschsprachigen Raum, der sich 2013 im slowenischen Nationaltheater in Maribor ihre gefeierte Inszenierung von "John Gabriel Borkman" angesehen hatte. Mit der Entscheidung, sie einzuladen, hat er einen guten Riecher bewiesen. Koležnik verpasst der Josefstadt gerade einen Modernisierungsschub, ohne das Stammpublikum zu vertreiben. Selbst hatte sie übrigens nie geplant, ihre Heimat zu verlassen. Es war einfach Glück: Ihr Bühnenbildner hatte in Chemnitz gearbeitet und dem Intendanten Fotos von gemeinsamen Inszenierungen gezeigt.

Auch Martin Kušej, der ab Herbst 2019 das Burgtheater leiten wird, schätzt ihre Arbeit. Die beiden kennen einander schon lange, Kušej inszenierte in jungen Jahren viel in Ljubljana. Ihn verbinde mit Koležnik eine "tiefe künstlerische, aber auch persönliche Seelenverwandtschaft", sagt Kušej auf profil-Anfrage: "Seit vielen Jahren verfolgen, bewundern und kritisieren wir gegenseitig unsere Regiearbeiten. Mateja ist eine zutiefst sensible, ehrliche und zu sich selbst gnadenlose Künstlerin, die eine ähnlich scharfe und klirrend klare Klinge ansetzt wie ich." Trotzdem spreche aus ihren Inszenierungen "ein ganz eigenständiger, femininer, slawisch-melancholischer Duktus, der offensichtlich etwas im deutschsprachigen Publikum anspricht." Am Residenztheater, das Kušej derzeit leitet, inszenierte sie ab 2014 regelmäßig. Die Zusammenarbeit mit ihr wolle er auch in Zukunft nicht missen, betont er noch - und spricht damit indirekt eine Einladung ans Burgtheater aus.

Vorerst aber muss Mateja Koležnik an der Josefstadt unter Beweis stellen, wie sie mit einem österreichischen Klassiker umgeht. "Es ist ein großer Vertrauensbeweis, einer Ausländerin ein Stück anzuvertrauen, das hier eine lange Tradition hat", sagt sie in der Kantine. "Ich habe stets Angst, nicht gut genug zu sein." Schnitzlers 1904 uraufgeführtes Stück will sie auf eine Bühne setzen, die permanent rotieren wird und nur aus Türen und Fenstern besteht.

"Der einsame Weg" dreht sich auch ums Älterwerden. "Insofern ist mir das Stück sehr nahe", gesteht die 56-Jährige - es sei aber auch ziemlich schwer, "auf der Bühne mit Vergänglichkeit und der Frage nach dem Sinn des Seins konfrontiert zu werden". Jetzt zündet sich Koležnik endlich doch ihre Zigarette an, ehe sie zurück auf die Probe muss, um an ihrer neurotischen Bühnenwelt weiterzubasteln.

Karin   Cerny

Karin Cerny