Gar nichts mehr zum Lachen
Ein gediegenes Restaurant, in dem wenig gegessen, aber viel geredet wird. Wer hier einen Tisch bucht, der legt sich sprichwörtlich auf die Couch: In zehn inhaltlich, aber auch formal sehr unterschiedlichen Szenen, die Schnitzlers berühmtes Drama „Reigen“ neu schreiben, werden drängende Gegenwartsfragen verhandelt: Work-Life-Balance trotz Kindern; Beziehungsstrukturen in der Pandemie; Täter-Opfer-Umkehr in #MeToo-Gerichtsverhandlungen; internationaler Waffenhandel; Homophobie, nicht nur in Russland. Zweifelsohne werden große Fässer aufgemacht bei dieser Uraufführung im Rahmen der Salzburger Festspiele. Schnitzler 2022 bedeutet: jede Menge Gegenwartsprobleme, wenig Sex.
Zu den zehn Autorinnen und Autoren, die den Salzburger Schnitzler auftragsmäßig neu schrieben, gehören unter anderem die heimische Wortdonnermaschine Lydia Haider, der deutsche Literatur-Feingeist Leif Randt, die non-binäre, im Journalismusfeld tätige Hengameh Yaghoobifarah und die britisch-deutsche Publizistin und Aktivistin Sharon Dodua Otoo. Die Qualität der einzelnen Texte? Unterschiedlich, zudem abhängig davon, wie sehr sie sich auf das Original beziehen. Oft ist es ohnehin kein Schaden, sich möglichst weit von Schnitzer zu entfernen. Stark ist die Regie von Yana Ross, 49, sobald das Spiel ins Dokumentarische kippt und realistische, leise Töne anstimmt. Da ist in Mikhail Durnenkovs Videoszene ein Sohn zu erleben, der mit seinen Eltern in Russland kommuniziert: Er möchte das Land wegen Putins Überfall auf die Ukraine verlassen, die Eltern wiederum glauben an die Propaganda, die in den Zeitungen steht; die Alten sind homophob, betonen, Zivilisten wären im Bruderland keine getötet worden – und erinnern sich an den Prager Frühling als ein Akt friedlicher Intervention. Alles gut!, lächelt der Vater in die Kamera. Ein pointierter Generationenkonflikt via Skype.
Ross ist eine der spannendsten Regisseurinnen, wenn es darum geht, alte Stoffe in die Jetztzeit zu hieven. Für ihren „Reigen“ nutzt sie ein surreales Restaurant-Setting, in dem zuweilen traumvergessen getanzt wird. Die Kostüme (Marysol del Castillo) erzählen von Wohlstand (gelbe und rote Pullis, locker-preppy über die Schultern geworfen); Figuren switchen, Text wird auf mehrere verteilt. Souverän spielt die Regisseurin mit unterschiedlichen Medien, um ihren literarischen Skizzen möglichst viel Raum zu geben. Dennoch zieht sich der Abend, wirkt gerade in jenen Szenen, die überdrehter angelegt sind, bemüht – mitunter schlicht neben der Spur. Ein lesbisches Paar, das sich symbolisch Fleisch aus dem Körper schneidet? Echt jetzt? Komisch wird es – im Unterschied zum Schnitzler-Original – auch eher selten. Aber vielleicht leben wir ja in „seltsamen pragmatischen Zeiten“, wie es im Text von Leif Randt so treffend heißt.