Retro-Achterbahn und Populär-Archäologie: Die Kino-Rückkehr des Indiana Jones
Es ist eine Weile her, dass Hollywoods liebster Abenteuer-Archäologe, der peitschenschwingende Anti-Nazi-Jäger Indiana Jones von den Umständen in den Kampf gegen die bösen Kräfte dieser Welt gezwungen wurde. „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ (weltweiter Kinostart: Ende Juni), der fünfte Film der berühmten Serie, soll nun zugleich auch deren unwiderruflich letzte Eintragung sein. Die Abteilungen Regie und Drehbuch wurden neu besetzt: Steven Spielberg und George Lucas fungieren hier nur noch als Produzenten.
Anders als im Fall des abwaschbaren Geheimagenten James Bond ist es (noch) kaum vorstellbar, dass ein anderer als der Schauspieler Harrison Ford die Franchise-Figur des Indiana Jones übernehmen könnte. Der inzwischen 80-jährige, allerdings bestechend gut erhaltene Ford kehrt also introvertiert und übellaunig wie eh auf die Kinoleinwand zurück, 42 Jahre nach dem ersten „Indiana-Jones“-Abenteuer („Jäger des verlorenen Schatzes“) und immerhin 15 Jahre nach dem bislang letzten („Das Königreich des Kristallschädels“). Bei den laufenden Filmfestspielen in Cannes freute man sich darüber, die Weltpremiere eines ohne jeden Zweifel global wirksamen Nostalgie-Blockbusters präsentieren zu können – und Ford gleich auch noch eine Ehrenpalme in Gold überreichen zu dürfen. Die Kino-Opium-Lieferung vertraut auf Mads Mikkelsen, der da einen Ober-Nazi aus der Portokasse spielt, und der naheliegende Sarkasmus der britischen Komödiantin Phoebe Waller-Bridge, die als unerschrockener Sidekick des Titelhelden auftritt, sorgt zwischendurch, wenn nicht gerade auf Zugdächern geprügelt oder motorisiert durch Menschenmengen gerast wird, für mildes Amüsement.
In „Dial of Destiny“ wird eine Zeitreise orchestriert, die um das titelgebende Fundstück kreist, dem alle Beteiligten hinterher hecheln: ein fiktives, dem griechischen Mathematiker Archimedes zugeschriebenes, vor 2200 Jahren erfundenes Messgerät, das Risse in der Zeit feststellen kann, durch die man beispielsweise Richtung Antike reisen lässt. Die turbulente Probe aufs Exempel muss selbstredend gemacht werden.
Ohne Exposition wird man in die deutsche Bomben- und Trümmerwelt anno 1944 geworfen. Weil dies aber eine Rückblende ist und der Hauptteil des Films im Jahr 1969 spielt, tritt Ford im Prolog digital gesichtsgestrafft in Szene. Alle impossible missions werden hier also mit antiquiertem Gerät durchgeführt, was den Retro-Charme ein wenig erhöht, aber sonst wenig zur Sache tut. Und niemand wird in einem Indiana-Jones-Movie ernsthaft nach Plausibilität suchen, aber die sich über alle Absurditäten und Gravitationsgesetze hinwegsetzende „Logik“ des Drehbuchs, die wie am Schnürchen sich fügende Mechanik der Aktionssequenzen zu Land, unter Wasser und in der Luft, führt dann doch alsbald zu einem gewissen Gefühl der Gleichgültigkeit. Die von Regie-Routinier James Mangold („Wolverine“, „Le Mans 66“) vergleichsweise kompetent inszenierte populärarchäologische Fantasy-Action vertreibt plangemäß die Zeit, die für dieses Stück aufzuwenden allerdings nicht zwingend nötig erscheint.
Noch mehr Zeit muss man für den jüngsten Film des chinesischen Doku-Stilisten Wang Bing aufwenden, nämlich stolze dreieinhalb Stunden, die aber im Gegenzug entschieden welthaltiger ausfallen. Wangs im Wettbewerb platzierter Exkurs in die hässliche neue Welt der Ausbeutungs- und Billiglohn-Arbeitsverhältnisse trägt den Titel „Youth“. Über fünf Jahre lang, zwischen 2014 und 2019, fanden die Dreharbeiten in verschiedenen Textilschneidereien der chinesischen Stadt Zhili nahe Shanghai statt. Ohne jeden Kommentar verfolgt Wang die fruchtlosen Lohnverhandlungen, Konflikte und Rangeleien in der Belegschaft, zeigt die deprimierenden Lebensbedingungen der jungen Arbeitsmigranten, die für ihre Akkordarbeit an den Nähmaschinen viel zu wenig Geld und keinerlei Zukunftsperspektiven erhalten.
Um Arbeit, Gesellschaft und Familie dreht sich auch „Monster“, das ebenfalls um die Palme d’Or ritternde neue Werk des japanischen Kino-Sozialforschers Hirokazu Kore-eda. Die bittere Geschichte zweier Schulkinder, die in einen Abgrund aus Mobbing, Schul- und Elternversagen geraten, wird aus drei verschiedenen Perspektiven erzählt: Ein etwas zu präzise abgezirkeltes, allzu kunstvoll gedrechseltes Drehbuch schränkt „Monster“, bei aller Eleganz und Ambition, in seiner Wirkung merklich ein. Bislang hält sich die Schlagkraft des diesjährigen Cannes-Wettbewerbs somit noch in Grenzen. In den kommenden Tagen wird Imposanteres erwartet. Wir bleiben dran.