Nur drei Jahre nach ihrem Uni-Abschied sollte diese aber, nun unter dem Künstlernamen Lady Gaga, mit einem unwiderstehlichen Mix aus schriller Künstlichkeit und unwiderstehlicher Stimm- und Gesangskunst zu einem der größten Popstars des Planeten aufgestiegen sein – und mit jeder weiteren Volte, bald auch schauspielerischer Natur (in Larger-than-Life-Rollen), dem Zeitgeist weiter unermüdlich ihren Stempel aufdrücken. Wenn die Künstlerin nun auf ihrer neuen LP „Harlequin“ mit einer Coverversion des immergrünen Musical-Hits „If My Friends Could See Me Now“ mit jenen missgünstigen früheren Bekannten abrechnet, die einst nicht an die Protagonistin glaubten, dann darf man das – nach 200 Millionen verkauften Tonträgern und einem Oscar – als späte, subtile Spitze lesen.
Ja, Zufälle gibt es, aber vielleicht nicht, wenn man Lady Gaga heißt. Dass sie „Harlequin“ just zum Kinostart des Sequel-Musical-Psychogramms „Joker: Folie à Deux“ vorlegt, ist also folgerichtig. Zumal das Werk ja auch nur deshalb entstehen konnte, weil die von ihr darin verkörperte Filmfigur – eine Variante der Comic-Antiheldin Harley Quinn – etwas zu beharrlich in ihrem Kopf grimassierte. Also galt es, sich dem im Film bereits großzügig eingesetzten Songmaterial noch einmal zu widmen – wiewohl in veränderter Aufmachung. Das Ergebnis wird im begleitenden Marketingsprech nun ungewohnt defensiv als Gagas LP sechseinhalb bezeichnet, als Zwischenetappe also zum kommenden Album Nummer sieben, das wohl im Frühjahr erscheinen soll: Proaktives Erwartungsmanagement nennt man das wohl.
Schließlich geht „Harlequin“ ja bewusst auf Sicherheitsabstand zum knalligen Dance-Pop ihrer massentauglichsten Momente (das sanftere Oscar-Gewinner-Stück „Shallow“ ausgeklammert) und verströmt eher das Flair, das auch ihre beiden Duett-Alben mit dem verstorbenen Crooner Tony Bennett und ihre Las-Vegas-Show „Jazz & Piano“ prägte. Im Mittelpunkt steht – neben zwei neuen Eigenkompositionen – wieder das sogenannte Great American Songbook: Man kriegt stimmgewaltige Interpretationen von Jazz-Standards und klassischen Showtunes aus dem Musical-Kanon zu hören. Mit großem Big-Band-Besteck wird eine Auswahl von Vintage-Pop-Gassenhauern wie „Close To You“, „That's Entertainment“ oder „Good Morning“ aufgefahren.
Geht man davon aus, dass das musikalische Versprechen der Lady sowohl von Wagnis und Weiterentwicklung als auch von Wiedererkennbarkeit lebt, muss man feststellen, dass Kolleginnen wie Charli XCX (die gerade Gagas ballernde Electro-Pop-Exzesse auf die Spitze treibt) und Chappell Roan (die Gagas visuelle Extravaganz und ästhetische Theatralik in aufregend neue Formen gießt) sich derzeit mit mehr Vibe und Verve am Pop-Playbook abarbeiten. Während Miss Germanotta sich vorübergehend eben bloß in einen gediegenen Sweet Spot zurückgezogen hat, um sich die handwerklich makellose, aber letztlich doch zu manieristische Retrogeste wie eine Rettungsweste überzuwerfen – wie auf dem Covermotiv. Ein bisschen mehr vom unberechenbaren Wahnsinn ihrer Harley-Figur dürfte also gern auf den nächsten regulären Release hinüberschwappen – für Songs, die dann wieder neue Standards setzen, statt nur die der anderen zu interpretieren.