Festwochen

Revolution now! Was Milo Rau, neuer Chef der Wiener Festwochen, plant

Linker Agitator, schneller Denker: An provokanten Ideen mangelt es dem Schweizer Regisseur Milo Rau nicht. Seine erste Saison als Intendant der Wiener Festwochen legt er spielerisch an – und den Finger in alle offenen Wunden.

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Mit seinem kreativen Leben hält Milo Rau Schritt. Das ist, wenn man sich vor Augen führt, was der Mann alles gleichzeitig zu bearbeiten scheint, nicht ganz einfach. Eine gewisse Atemlosigkeit, die seltsamerweise nicht zur Verflachung der kommunizierten Inhalte führt, wohnt daher auch jeder Konversation inne, die man mit Rau dieser Tage führt. Vor zwei Wochen erst hatte seine Inszenierung „Medeas Kinder“ in Belgien Premiere, am Stadttheater NTGent, das er seit 2018 künstlerisch leitet. Und während er letzte Hand an das Programm seiner ersten Festwochen-Ausgabe legt, bespielte er vergangene Woche auch noch die Eröffnung des St. Pöltner Festivals Tangente mit seiner zweiten Operninszenierung, einer von ihm gemeinsam mit dem in Graz lebenden Schriftsteller Fiston Mwanza Mujila konzipierten, von Hèctor Parra komponierten musiktheatralischen Totenmesse namens „Justice“.

Um einen katastrophalen Lkw-Unfall, der sich 2019 auf einem Marktplatz in der kongolesischen Region Katanga ereignet hatte, dreht sich „Justice“: Der Tanklaster hatte Schwefelsäure geladen, die man für den Kobaltabbau benötigt, das Gift lief aus und tötete erst die mehr als 20 unter dem Wrack Eingeschlossenen, um danach, durch den einsetzenden Regen, ins Umfeld einzusickern und die Landschaft zu kontaminieren. Kobalt wird als zentraler Rohstoff für Smartphones benutzt, „Justice“ handelt also auch von der Verantwortung westlicher Konzerne an solchen von der Welt kaum wahrgenommenen Tragödien.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.