"The Hateful Eight": Tarantinos neue Gewaltkomödie
Eine weiße, menschenleere Welt. Tief verschneite Landschaften unter dem weiten Himmel Nordamerikas; dunkel ziehen Wolken herauf, dichtes Schneetreiben setzt ein. Die Gelassenheit, die Ruhe dieser ersten Einstellungen sind eine falsche Spur. Mit dem Auftauchen der Menschen hält erst die Absurdität, dann das Grauen Einzug.
Die liebevolle Verdrehung klassischer Kinomaterialien ist Quentin Tarantinos Methode. Vieles, was man in "The Hateful Eight“ (Österreich-Kinostart: 28.1.) zu sehen und zu hören bekommt, scheint kennerisch geklaut: von der durch die Berge Wyomings schaukelnden Pferdekutsche, in der - genau wie in John Fords "Stagecoach“ (1939) - eine aus raubeinigen Fremden bunt gemischte Zufallsgemeinschaft ihrem Schicksal entgegen reist, bis zum klassischen Slowburn der Italo-Western. Auch die Wahl des legendär breiten Ultra-Panavision-Formats, für das Kameramann Robert Richardson ("The Aviator“, "Inglourious Basterds“, "Kill Bill“) auf luxuriös-anachronistischen 70mm-Film gearbeitet hat ,gehört in den Bereich des Vintage-Fetischismus, für den Tarantino berühmt ist.
Schon der Vorspann ist ein bis ins typografische Detail raffiniert gefertigtes Retro-Kuriosum. Wenig später werden zwei der Pferde, eines schwarz, das andere weiß, in Zeitlupe zu Ennio Morricones Old-School-Musik durch die verschneiten Berglandschaften galoppieren. Das Leitmotiv ist vorgegeben: Schwarz und Weiß sind die Primärfarben dieses Neo-B-Movies. "Black Man, White Hell“ heißt das letzte Kapitel des Films. Und Tarantino hat alle Zeit der Welt: Die mit exakt sechs PS im Bildhintergrund auftauchende Kutsche nähert sich einem knorrigen Holz-Jesus, der am Wegesrand ans Kreuz genagelt wurde.
Zwei Menschen sitzen in der Kutsche, unterwegs in die nächste Stadt: ein Kopfgeldjäger (Kurt Russell) mit seiner Gefangenen (Jennifer Jason Leigh) - einer Mörderin, die er an den Galgen liefern will. Zwei Männer steigen zu: Der eine, Samuel L. Jackson, seit "Pulp Fiction“ (1994) Tarantinos zentraler Akteur, sitzt, als die Kutsche vor ihm Halt macht, bereits auf einem Haufen Leichen, die er versilbern will; der andere gibt sich als designierter Sheriff von Red Rock aus: Walton Goggins spielt diesen Mann mit beträchtlicher psychopathologischer Energie. (Er würde sich übrigens, physisch ebenso wie durch sein manisches Schauspiel, als Hauptdarsteller in einem Biopic über die lebende US-undergroundfilmlegende Kenneth Anger bestens qualifizieren.)
Die Vehemenz, mit der Tarantino politische Korrektheit in den Wind schlägt, lenkt einen entscheidenden Fokus seiner Arbeit auf die politischen Subtexte. (...)
Die weitläufige Holzhütte, in der sie vor dem wütenden Blizzard Schutz suchen, ist eigentlich eine Art Fantasy-Greißler: "Minnie’s Haberdashery“, eine Kurzwarenhandlung im Nirgendwo. Eine Gruppe weiterer Männer wartet hier bereits, unter ihnen Michael Madsen und Tim Roth - der eine rustikal, der andere britisch überfeinert: Sie waren schon vor 24 Jahren, in "Reservoir Dogs“, Tarantinos Debüt, mit dabei.
Der Bürgerkrieg ist noch nicht lange her, und Veteranen, die auf verschiedenen Seiten gekämpft haben, kommen in der Hütte zusammen - dabei bricht der alte Rassenhass wieder auf. Die Vehemenz, mit der Tarantino politische Korrektheit in den Wind schlägt, lenkt einen entscheidenden Fokus seiner Arbeit auf die politischen Subtexte: Indem er auf geradezu verletzende Weise von rassistischem Denken und Handeln erzählt (nicht nur die "Nigger“-Dichte in den Wortgefechten dieses Films ist enorm), zwingt er sein Publikum dazu, Position zu beziehen.
Man kommt, bei aller Eitelkeit des Regisseurs, die sich gleich eingangs manifestiert ("The 8th film by Quentin Tarantino“), nicht umhin, die Artistik zu würdigen, mit der er Dialoge schreiben kann. Diese Virtuosität hatte er bereits in seinem zweiten Film, dem Welterfolg "Pulp Fiction“, voll entwickelt. Auch in "The Hateful Eight“ kommen postmoderne Western-Rededuelle und seltsame Erzählstrukturen zum Einsatz: Exakt in der Mitte des Films taucht eine Erzählerstimme auf, die das Geschehen jener Viertelstunde rekapituliert, die gerade übersprungen wurde; wenig später wird die kurze, aber unerwartete Vorgeschichte ("earlier that morning“) in einer großen Rückblende entrollt. "The Hateful Eight“ ist, wenn auch vieles daran nach Tarantino-Markenpflege riecht, originell konstruiert.
Der Regisseur gönnt sich, neben dem Zynismus seines Menschenbildes, auch die Ironie der Selbstreflexion: Immer wieder macht er den Aufbau seines Films zum Thema - und die narrative Trödelei zum Stilelement. Ehe seine Figuren damit beginnen, einander zu dezimieren, wird erst einmal nur die Zeit totgeschlagen; man stellt sich umständlich vor, testet einander, und beschwört den Wert der Geduld ("The name of the game is patience“, sagt einer hier), man mahnt zur Entschleunigung. Daran hat Tarantino größtes Vergnügen, denn er ist ein Meister der Verzögerung und der Verschleppung, der running gags und der fast monty-python-haft repetierten Albernheiten. Mit ausgeschlagenen Zähnen und blutbespritztem, grün und blau geprügeltem Gesicht klopft Jennifer Jason Leigh einmal ruhelos auf die Tischplatte vor sich, als ginge auch ihr die Stagnation der Erzählung dieses Films auf die Nerven. Leighs lustvoll-sadomasochistische Darstellung der heimtückischen Schmerzensfrau, der misshandelten Soziopathin, die nur darauf wartet, befreit zu werden, gehört zu den großen Ereignissen dieses Films.
Sogar der Musikeinsatz in diesem Film ist spöttisch: Finster dräuende Suspense-Klänge tauchen gerade dort auf, wo gar nichts passiert.
Die Langsamkeit der Arbeit Tarantinos steht in Zusammenhang mit der Gründlichkeit ihrer Ausführung: Nur zwei Filme werde er voraussichtlich noch inszenieren, hat Tarantino unlängst gesagt, den zehnten in etwa acht Jahren, dann werde er 60 sein und zehn Werke vorgelegt haben, für die er sich nicht genieren müsse. Ennio Morricone, der wohl berühmteste lebende Filmkomponist dieses Planeten, ist inzwischen 87 und hat mehr als 500 Laufbildproduktionen vertont. Sein Soundtrack zu "The Hateful Eight“ ist die erste Western-Musik des einstigen Sergio-Leone-Komplizen seit dreieinhalb Jahrzehnten. Sogar der Musikeinsatz in diesem Film ist spöttisch: Finster dräuende Suspense-Klänge tauchen gerade dort auf, wo gar nichts passiert.
Gegen Ende hin werden die kompliziert wechselnden Machtverhältnisse in "The Hateful Eight“ durch die Verhandlungsgespräche und die Prämien, die man für die vielen - tot oder lebendig - gesuchten Kriminellen einstreifen könnte, immer heikler. Wer kooperiert hier überhaupt mit wem? Aber dann geht plötzlich alles sehr schnell, und das Gemetzel beginnt: Erst muss man lange reden, die Dinge klären, sie der Heiterkeit zuliebe bis zur Redundanz ausdiskutieren. Aber auf das heitere Dauergequatsche seiner Protagonisten folgt nach etwa 100 Minuten die explizite Gewaltanwendung. Je lauter, rabiater und turbulenter, desto besser: Das ist die Tarantino-Logik. Sogar innere Verletzungen wie der Vergiftungstod zweier Charaktere werden ins Äußere verlegt - ohne Blutfontänen treten bei Tarantino nur diejenigen ab, die man am Strick baumeln lässt. Der Eklat der Gewaltpornografie ist ausbaufähig. Es geht immer noch ein paar Meter tiefer: Tarantino schlägt dem Hass den Boden aus.
Aber es ist gerade diese Maßlosigkeit, die "The Hateful Eight“ auch reizvoll macht: Die Story schlägt mörderische Haken, wagt sich immer weiter ins Wahnhafte, in die blutige Groteske vor. Zartbesaitete werden an der zweiten Hälfte dieses Films keine Freude haben, aber sensitive Gemüter verirren sich ja ohnehin eher selten in einen Tarantinofilm. Es mutet dagegen seltsam an, dass ausgerechnet dieser Regisseur seine Story auf einen einzigen Hauptschauplatz reduziert, aber so empfiehlt sich dieser Film auch als Vorlage für künftige Theatervarianten. Minimalismus und Größenwahn gehen bei Tarantino eigenwillige Liebesverhältnisse ein.