Richard Gere: "Trump ist ein gefährlicher Clown"
INTERVIEW: STEFAN GRISSEMANN
profil: Sie stellen in "The Dinner" einen aalglatten Politiker dar, der in eine massive familiäre Krise gerät. Trotzdem erscheint dieser Mann als die geradlinigste und vernünftigste Person im Film. Stand das so im Drehbuch? Richard Gere: Regisseur und Autor Oren Moverman gab mir ein Script, das nicht ganz entwickelt war, und die Figur, die ich zu spielen hatte, gehörte jedenfalls dazu. Sie funktionierte noch nicht. Ich sagte, ich fände es spannend, ihn so zu präsentieren, dass man zunächst annehmen muss, er sei der übliche miese Politiker. Seine Frau weint im Dienstwagen, er schweigt dazu: Hatte er eine Affäre? Ich wollte mit solchen Klischees spielen und sie dann aufbrechen. Ich hätte sonst nicht gewusst, was ich als Schauspieler mit diesem Typen überhaupt anstellen sollte. Also wollte ich ihn als jemanden zeigen, der am Ende eine gewisse Reife und Stabilität besitzt, der in der Lage ist, all die Argumente, die auf dem Tisch liegen, zu hören und einzuschätzen, um eine sinnvolle, aber eben gewaltige Entscheidung zu treffen.
profil: Sie waren an der Entwicklung des Drehbuchs beteiligt? Gere: Ja. Um es passender zu machen, musste ich einiges von mir selbst einbringen. In diesem Film treffen vier Charaktere aufeinander, deren Standpunkte hart gegeneinander schlagen. Ich brauchte daher eine klare Perspektive. In vielerlei Hinsicht ist "The Dinner" auch ein Film über das Schauspielen. Mir ging es um eine sich aus dem Gefühlschaos schälende Vernunft.
profil: Ohne Ihre Figur wäre "The Dinner" in seiner Weltsicht und seinen Menschenbildern ein lückenlos pessimistischer Film. Gere: Es geht darin um eine Art Schutzinstinkt. Deshalb erscheint der Film so stimmig: Er passt zur Ära Trump, zu diesem "America First", das ja eigentlich nichts anderes heißt als "Ich zuerst". Oder auch: "Menschen zuerst, die so aussehen wie ich": Make America White Again. Darin stecken all die rechtspopulistischen Bewegungen, die uns erfasst haben. Wir ziehen uns auf die Sicherung des Eigenen zurück. Der engste Familienkreis - aber letztlich vor allem: man selbst - muss geschützt werden, koste es, was es wolle. Dabei hatte sich dieser Planet doch auf ganz andere Weise entwickelt, nämlich in Richtung der Erkenntnis, dass jeder von uns für das Wohlergehen aller mitverantwortlich sein muss. Jeder Mensch sollte Zugang zu medizinischer Versorgung und Bildung haben, zu einem Zuhause, zu Nahrung und Wasser. Wenn wir dieses Minimalziel erreichen, lösen wir damit 99 Prozent aller Probleme.
Es gibt kein Selbst. Je verzweifelter ich Richard zu finden versuche, desto weniger entdecke ich ihn.
profil: Ihr Regisseur scheint da weniger Hoffnung zu besitzen. Er meinte unlängst, wir lebten in einer "posthumanistischen Zeit". Gere: Was er damit wohl meint? Von einem buddhistischen Standpunkt aus betrachtet, liegt das entscheidende Problem darin, dass wir alle an ein Selbst glauben. Man könnte nun entgegnen, selbstverständlich, ich existiere hier, Sie existieren dort - aber tatsächlich ist das eine Illusion, ein Trick. Es gibt kein Selbst. Je verzweifelter ich Richard zu finden versuche, desto weniger entdecke ich ihn. Ich kann weder den Ort noch das Konzept dazu finden.
profil: Sie wissen letztlich nicht, wer Sie selbst sind? Gere: Wissenschaftlich gesehen werden Sie, je intensiver Sie forschen, nur Moleküle, Zellen, Elektronen finden, und wenn Sie noch genauer hinschauen, kommen Sie zu den Quarks, in die Teilchenphysik: Da gibt es keinen Richard. Wo also ist er? Es gibt nur eine Idee von mir - und ich spreche hier natürlich metaphorisch -, aber sie erzeugt Gewalt. Denn die Idee, dass ich so existiere, wie es scheint, bringt mich zu den Konzepten "ich" und "mein", die ich zu verteidigen beginne. Die Wahrheit ist aber, dass alles relativ ist, eng miteinander verbunden. Das heißt, dass ich, wenn es nötig ist, Ihre Bedürfnisse erfüllen kann und Sie meine Probleme lösen können. Das ist die universelle gegenseitige Verantwortung, die wir füreinander zu übernehmen haben. Wir alle sind ein Organismus in ständiger Bewegung.
profil: Sie nützen Ihre Popularität seit Jahrzehnten auch dafür, politisches Bewusstsein zu schaffen, für Menschenrechte und Minderheiten zu kämpfen. Gere: Ich betrachte diese Aktivitäten nicht unbedingt als politisch, sondern als menschlich. Politik ist als Begriff zu klein dafür. Wir bleiben stecken, wenn wir uns auf Politisches einlassen, aber wir setzen uns über diese Untiefen hinweg, wenn wir humanistisch handeln, wenn wir uns mit Glück und Gefühl befassen.
profil: Haben Sie nicht manchmal das Gefühl, dass dies gerade in der Industrie, in der Sie arbeiten, viel zu wenige Menschen tun? Gere: Ich weiß nicht. In meiner Heimat gibt es einen positiven Nebeneffekt des Trumpismus und all der rechten Schutzbewegungen, die sich aus der Angst der Leute speisen: eine neue Solidarität nämlich, spontane Demonstrationen gegen Trumps Politik. Es ist unglaublich: Am Tag nach der Inauguration des Präsidenten gingen Millionen Menschen auf die Straße, um - fast wie in Woodstock - öffentlich zu bekunden, dass wir Trump-Gegner nun alle in einem Boot sitzen. Die Demonstranten umarmten einander, sie waren nicht wütend. Ich stelle eine positive Energie fest, ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl.
profil: Sie haben nach Trumps Wahl betont, dass nicht so sehr der Präsident das Problem sei, sondern die Vielzahl jener Menschen, die ihn gewählt haben. Gere: Demagogen wie Trump, der ja bekanntlich nicht von der Mehrheit der Amerikaner gewählt wurde, sind in der Lage, sehr clever und mit großer Intuition die Schwachstellen ihrer Wähler zu finden und auszubeuten. Viele fürchten um ihre Jobs, ihre Identitäten, ihre Welt. Und es gibt immer jemanden, den man für all das verantwortlich machen kann. Im aktuellen Fall sind es die Flüchtlinge, die Muslime, die Welt des Islam. "Sie sind der Grund, warum ihr Angst habt! Ihr seid unsicher und zweifelt an eurem Platz im Universum!" Also versucht man, sein Selbst zu stärken: Ich existiere, weil ich weiß, wer meine Feinde sind.
Trump suchte die Gesellschaft der Clintons und der Kennedys, er wollte Rockstars nahe sein. Inzwischen hat er alle Möglichkeiten dieser Beziehungen zerstört.
profil: Politisch gerät Trump immer tiefer in Schwierigkeiten. Gere: Seine Persönlichkeit ist nicht darauf angelegt, gegenseitige Kontrolle und Gewaltenteilung zuzulassen. Das ist aber die Grundlage des politischen Systems der USA, und wir werden zu einer Zentralisierung der Macht nicht mehr zurückkehren. Mit dieser Realität wird er umgehen müssen.
profil: In einem Interview verglichen Sie Trump sogar mit Mussolini. Gere: Präsident Trump war vergangenes Jahr noch völlig undenkbar. Er schien nur ein Clown, ein Poseur zu sein, was wohl viele Zeitgenossen einst auch von Mussolini oder Hitler dachten. Man hielt diese Politiker für lächerlich. Leider waren es, wie Trump heute, gefährliche Clowns.
profil: War es nicht immer schon falsch, über Donald Trump zu lachen? Gere: Er wollte stets akzeptiert werden von den Menschen, die er nun vernichten will. Er suchte die Gesellschaft der Clintons und der Kennedys, er wollte Rockstars nahe sein. Inzwischen hat er alle Möglichkeiten dieser Beziehungen zerstört. Er konnte niemanden dazu bewegen, bei seiner Angelobung zu spielen, jeder ließ die Hände davon. Neben seinem extremen, fast schon morbiden Narzissmus muss es da einen enormen Selbstzerstörungstrieb geben. Alles, was Trump wirklich will, macht er kaputt. Er legt gar keinen Wert darauf, mit seinen eigenen Wählern, mit seiner Basis Zeit zu verbringen. Er würde sich viel lieber in der Nähe von Showbiz-Prominenz und hochintelligenten Politikern aufhalten. Er ist als Typ ein Verkäufer geblieben, ein Gebrauchtwagenhändler. Inzwischen verkauft er eben sehr teure Gebrauchtwagen. Er preist seine Ware an, macht sie schmackhaft, das ist sein Wesen. Deshalb klingt es auch so absurd, wenn er eine Grundsatzrede hält - weil er keine Ahnung davon hat, weil sie nicht von ihm kommt. Er bespielt nur sein Publikum, braucht die Energie einer Menschenmenge, um ihr Fleisch zuzuwerfen.
profil: Sind nicht auch Trumps Wähler destruktiv? Gere: Sie sind einfach unsicher. Sie haben Angst.
profil: Aus der Verzweiflung kann eine Art von Zerstörungslust wachsen. Gere: Wenn man seine Rechnungen nicht mehr begleichen kann und krank wird, entsteht Verzweiflung. Und im ländlichen Amerika wächst der Drogenkonsum. Ich glaube aber, der Zorn ist in den USA derzeit nur eine sekundäre Emotion. Die spürbare, auch spirituelle Malaise geht auf das Gefühl zurück, nicht gehört zu werden.
profil: Sie halten Distanz zu Hollywood, leben in New York, seit Sie volljährig sind. Wie oft sind Sie denn überhaupt noch in Los Angeles? Gere: Ich habe seit 25 Jahren dort keinen Film mehr gemacht. Das ist übrigens sehr typisch, nicht nur für mich.
profil: Weil die US-Filmindustrie mit ihren Superhelden und Vulgärkomödien immer infantiler wird? Gere: Ich hatte das Glück, immer meine Art von Filmen herstellen zu können, die in der Regel humanistische Fragen behandelten und von Regiekönnern gedreht wurden - und trotzdem Geld machten. Es war eine goldene Ära. Heute kann man diese Art von Kino nur noch im Independent-Bereich herstellen, für minimale Budgets von höchstens sechs Millionen Dollar, in Drehzeiten von kaum mehr als 20 Tagen - früher hätte man dafür 45 oder gar 50 Tage aufgewendet.
profil: Werden Sie nostalgisch, wenn Sie sich an Filme wie Terrence Malicks "Days of Heaven" (1978) oder Paul Schraders "American Gigolo" (1980) zurückerinnern? Gere: Nein, denn für mich hat sich nichts geändert. Ich arbeite immer noch an derselben Art von Film. Nur die Produktionsweisen sind heute andere. Wir brauchen keine großen Studios mehr, alles ist unabhängig finanziert. Klar, die späten 1970er-Jahre waren für das Kino eine großartige experimentelle Zeit. Aber ich zähle auch jene Werke, die ich in den vergangenen Jahren drehte, etwa "Norman" oder "Time Out of Mind", zu den besten, die ich je gemacht habe. Es geht also weiter. Sogar die großen Oscar-Gewinner sind inzwischen samt und sonders Independentfilme. Kein Grund zur Nostalgie.
Richard Gere, 67 Der in Philadelphia geborene Künstler begann seine Karriere 1971 am Theater; wenige Jahre später trat er erstmals im Kino auf, eine Hauptrolle in Terrence Malicks "Days of Heaven" machte ihn 1978 berühmt. Es folgten Star-Performances in Filmen wie "American Gigolo" (1980),"Ein Offizier und Gentleman" (1982), in dem Godard-Remake "Außer Atem" (1983) und 1990 an der Seite von Julia Roberts in "Pretty Woman". Danach wurde es ruhiger um Richard Gere, er arbeitete mit Robert Altman ("Dr. T. and the Women", 2000), Todd Haynes ("I'm Not There", 2007) und Joseph Cedar ("Norman", 2016). Neben seiner Filmarbeit setzt sich der Buddhist für humanitäre Zwecke ein, kämpft für Menschenrechte in Tibet und hat im US-Wahlkampf Hillary Clinton unterstützt. Das profil-Interview fand im Rahmen der Berlinale im Hotel Regent in Berlin-Mitte statt, kurz nach der Uraufführung des Films "The Dinner".
Wut- und Budenzauber
Richard Gere hält sich in dem Familiendrama "The Dinner" souverän, die Inszenierung selbst kann dabei allerdings nicht mithalten.
Der niederländische Schriftsteller Herman Koch zeigte sich nach der Premiere des Films "The Dinner" entsetzt. Der Ton seines Romans ("Angerichtet", 2009), der die Vorlage für das Drehbuch bildet, sei völlig verändert, in eine moralinsaure Erzählung verwandelt worden. Seine Ablehnung ist verständlich: Oren Movermans Filmversion des Dramas einer Familie, die in einem Luxusrestaurant über die Vertuschung eines kapitalen Verbrechen zweier Söhne berät, ist derart überemotional und subanalytisch geraten, dass es schwer fällt, über all der narrativen Anstrengung, angesichts des Wut- und Budenzaubers, den der Film veranstaltet, nicht gelangweilt zu sein. Richard Gere spielt in "The Dinner" (Kinostart: 9. Juni), dieser in versuchter Erzählintensität sich früh verzettelnden Tragödie, einen moralisch integren Politiker, der drauf und dran ist, gegen den Willen seiner Angehörigen eine folgenschwere Entscheidung zu treffen.
"The Dinner" bietet ein poliertes Kammerspiel, das in Rückblenden von dem zentralen Verbrechen und den multiplen Zerwürfnissen der handelnden Personen berichtet: ein Psychodrama mit unsympathischen Figuren und deutlich überambitionierter Inszenierung.