Ridley Scott: "Raus mit ihm - und Ende!"
INTERVIEW: STEFAN GRISSEMANN
profil: Sie tauschten den Star Ihres neuen Films nach Ende der Dreharbeiten kurz entschlossen aus, drehten alle seine Szenen neu. Wegen der Missbrauchsanschuldigungen gegen Kevin Spacey ersetzten Sie diesen unter enormem Zeitdruck durch Christopher Plummer. War "Alles Geld der Welt" eines der härtesten Kinoprojekte Ihrer Karriere? Scott: Nein, nein! Mir erschien das Unternehmen zunächst sehr unkompliziert. Ich stellte den Film wie geplant in 42 Tagen fertig und lieferte ihn im August ab, um mein nächstes Projekt anzugehen. Ende Oktober erreichten uns die Nachrichten über Kevin. Ich wusste sofort, dass das einen Komplettzusammenbruch bedeuten konnte - und zwar auf industrieller Ebene. Denn es gab ja nicht nur die verstörenden News über Spacey, sondern auch die Miramax-Debatte und unzählige andere Fälle. Mir war also klar, dass ich - um keinen Schaden davonzutragen - handeln musste, und zwar schnell. Ich rief meinen Partner an und gab ihm zu verstehen, dass ich den Film umbesetzen und alle betroffenen Szenen in neun Tagen neu drehen konnte, ohne den Filmstart zu verschieben. Er hatte die Eier, mir zu vertrauen. Drei Wochen später drehten wir.
profil: Am 29. November hatten Sie Ihren letzten zusätzlichen Drehtag, zwei Wochen später gab es weltweit bereits Pressevorführungen Ihres Films. Viel Schlaf können Ihre Cutter im Dezember nicht gekriegt haben. Scott: Doch, denn das Geheimnis liegt in der Präzision. Das ist, als würde man eine edle Armbanduhr auseinandernehmen und wieder zusammenfügen. Man dreht nur genau das neu, was man für den nachträglichen Einbau braucht - aber auch all jene Performances, die durch Plummers spezielles Spiel anders beeinflusst wurden. Das wussten wir jedoch manchmal erst, als wir ihn spielen sahen und realisierten, wie sehr er den Rest des Ensembles ansteckte. Dann wurde eben noch ein bisschen mehr Dreharbeit fällig.
profil: Christopher Plummer ist 88 Jahre alt - fast 30 Jahre älter als Kevin Spacey. Sorgte das nicht für weitere Probleme? Scott: Kaum, denn Kevin Spacey hatte mit einer Menge Make-up im Gesicht gespielt, weil er als J. Paul Getty ja selbst wie über 80 wirken musste. In den Originalaufnahmen ist Kevin eigentlich nicht zu erkennen, wenn man nicht weiß, dass er es ist. Das Make-up war großartig.
profil: Sie haben mit Kevin Spacey nach dem Eklat nicht mehr gesprochen? Bis heute nicht? Scott: Nein, denn er sprach nicht mit mir. Also sah und sehe ich keinen Grund, mich mit ihm in Verbindung zu setzen. Ich bin, ehrlich gesagt, ein bisschen enttäuscht von ihm.
Kevin Spacey hätte sich entschuldigen müssen, auch bei uns. Das tat er nicht. Also raus mit ihm - und Ende!
profil: Aber entschieden Sie nicht unmittelbar nach Bekanntwerden der ersten Vorwürfe gegen Spacey, dass Sie ihn aus Ihrem Film eliminieren würden? Scott: Innerhalb von zwei Stunden, ja.
profil: Vielleicht ist er ja deshalb auch enttäuscht von Ihnen. Scott: Mag sein, aber er hätte wissen können, dass da etwas auf ihn zukam. Er hätte sich entschuldigen müssen, auch bei uns. Das tat er nicht. Also raus mit ihm - und Ende!
profil: Wie organisierten Sie den Nachdreh denn? Es waren immerhin 22 Szenen so herzustellen, dass sie bruchlos in den Rest des Films passten. Scott: Ja, das war schon ein ganz schönes Pensum, aber ich bin nach so vielen Jahrzehnten Berufserfahrung wirklich effizient. Ich habe nicht nur mehr Filme gedreht als die meisten Kollegen, sondern eben auch Tausende von Fernsehwerbungen, zeitweise 100 Spots im Jahr. Heute gelten Leute ja schon als hochaktiv, wenn sie 12 Werbefilme im Jahr schaffen. Meine Werbeproduktionsfirma ist inzwischen ein halbes Jahrhundert alt. Unglaublich, oder?
profil: Sie sind vor allem für Ihre futuristischen Kinoprojekte bekannt, für Space-Klassiker wie "Alien" und "Blade Runner". Haben Sie diesen Ruf je als limitierend empfunden? Scott: Eigentlich nicht, da ich ja so viele Terrains beackert habe - von der Weltalloper zu einem Frauenfilm wie "Thelma and Louise", von "American Gangster" und Kriegsfilmen wie "Black Hawk Down" bis zu Historiendramen wie "The Duellists". Ich habe echt alles gemacht.
profil: Und doch verbinden die Menschen mit Ihrem Namen am ehesten Science-Fiction. Scott: Das liegt wohl an der ungeheuren Durchschlagskraft von "Alien" und "Blade Runner". Aber ich suche die Veränderung, immer schon. Als Künstler muss man das auch.
profil: "Alles Geld der Welt" sieht, wie üblich bei Ihnen, luxuriös, breit produziert aus. Wie erarbeiten Sie die visuellen Aspekte Ihrer Filme? Verwenden Sie Storyboards? Scott: Ich lege jede Szene meines Films zeichnerisch fest, ehe wir sie drehen. Eine Zeit lang beschäftigte ich Leute, die das für mich erledigten, aber ich kam irgendwann darauf, dass es länger dauert, denen im Detail zu erklären, wie ich meine Bilder gerne hätte, als sie selbst zu zeichnen.
Man hat angesichts meiner visuell starken Filme lange übersehen, dass es mir nicht nur um die Optik geht.
profil: Sie wissen ganz exakt, wie Ihr Film aussehen wird, ehe Sie an den Drehort kommen? Scott: Ja, er ist so genau geplant wie eine Straßenkarte. Ich bewahre mir schon eine gewisse Offenheit, aber nur, wenn ich einen Film absolut durchdacht habe, empfinde ich beim Drehen die nötige Freiheit.
profil: Viele Menschen, die bei Ihnen vor der Kamera gestanden sind, nennen Sie einen besonders sensiblen Schauspielerregisseur - obwohl Sie übermäßig viel Wert auf Visuelles legen. Sind Sie nicht eher ein Formalist? Scott: Es ist wie eine Ehe: Man bringt Schauspiel und Bilderstürmerei zusammen. Man hat angesichts meiner visuell starken Filme lange übersehen, dass es mir nicht nur um die Optik geht. Aber man gewöhnt sich an solche Klischees.
profil: Es gibt so etwas wie eine feministische Linie in Ihren Filmen, die von der hartgesottenen Ripley in "Alien", legendär dargestellt von Sigourney Weaver, bis zu der von Michelle Williams resolut gespielten Gail in "Alles Geld der Welt" reicht. Sie haben einmal erklärt, dies könnte auch an Ihrer starken Mutter liegen. Scott: Meine Mutter war 1,52 Meter groß, aber Ehrfurcht gebietend. Und sie zog drei harte Burschen groß: meinen älteren Bruder Frank, der Marineoffizier im Südchinesischen Meer wurde, meinen jüngeren Bruder Tony Scott, der auch als Filmemacher arbeitete, und mich.
profil: Und die Einzige, die widerstandsfähiger war als Sie drei, war die Mama? Scott: Kann man sagen. Sie dominierte uns ziemlich.
profil: Lange bevor Sie in "Alles Geld der Welt" die Story der Entführung des jungen John Paul Getty III nacherzählten, arbeiteten Sie schon mit dessen einzigem Sohn, dem Schauspieler Balthazar Getty, in Ihrem Hochseedrama "White Squall". Verspürten Sie schon damals, in den 1990er-Jahren, irgendeine Neigung zur Getty-Saga? Scott: Nein, ich dachte überhaupt nicht darüber nach. Zehn Jahre nach "White Squall" saß ich in einem Restaurant, wo ich zufällig Balthazar traf, der mich seinem Vater vorstellte - meinem späteren Protagonisten. John Paul Getty III war schwer angeschlagen, halb blind und querschnittgelähmt.
profil: Aber den Plan, einen Film aus seiner Kidnapping-Geschichte zu machen, fassten Sie erst viel später? Scott: Ja, damals wäre mir das nicht in den Sinn gekommen. Ich hoffe aber, dass Balt meinen Film mag.
profil: Haben Sie ihn nicht gefragt? Scott: Nein, mein Motto lautet: Lass die in Ruhe, denen es ohnehin gut geht.
profil: Sie scheinen auch mit 80 des Filmemachens nicht müde zu werden - im Gegenteil: Sie werden mit dem Inszenieren sogar immer schneller, halten inzwischen neben tausenderlei Produktionstätigkeiten bei durchschnittlich einer Regiearbeit pro Jahr. Scott: Klar, man wird schneller, weil man ja auch sicherer wird, genauer weiß, was man will. Aber als Regisseur habe ich nicht einmal 30 Filme gedreht, als Produzent dagegen fast 130 Werke begleitet.
profil: Woher kommen die enormen Energieschübe, die Sie in fortgeschrittenem Alter erleben? Scott: Frühe Investition zahlt sich eben aus - und ich meine das nicht finanziell, sondern bezogen auf meine konsequenten Bemühungen der frühen Jahre. Und die boomende Fernsehindustrie hat diese Landschaft in großem Stil bereichert und beschleunigt.
profil: Ihnen scheint es in Hollywood gut zu gehen, aber hat sich das Arbeitsklima im US-Filmgewerbe nicht auch verschärft? Oder ist es tatsächlich einfacher geworden, dort kreativ zu sein? Scott: Nein, all meine Anstrengungen und Erfolge haben nur dazu geführt, dass es für mich ist wie immer. Mir scheint es weder einfacher noch schwieriger geworden zu sein, ein Filmprojekt auf die Beine zu stellen. Das heißt natürlich, dass sich die Lage objektiv durchaus verschlechtert hat. Denn ich bin - als jemand, der grundsätzlich innerhalb des budgetären und zeitlichen Rahmens jedes Unternehmens bleibt, das ich leite - für all diese Studiobeamten ja in Wahrheit die gute Nachricht. Wenn ich in ihre Büros trete, müssten sie also eigentlich alle erleichtert aufatmen. Stattdessen muss ich genauso heftig um meine Ideen kämpfen wie noch vor Jahrzehnten.
Ridley Scott, 80, Seinen britischen Akzent hat er sich bewahrt, auch wenn er beruflich seit Jahrzehnten viel Lebenszeit in Los Angeles verbringt. Im Sixties-Fernsehen bildete er sich aus, wurde mit 30 zum Aufsteiger der Werbebranche und erst mit über 40 zum Regiestar: Scotts Low-Budget-SciFi-Schocker "Alien"(1979) erregte weltweit Aufsehen, drei Jahre später bestätigte er mit "Blade Runner" seinen guten Ruf. Um die Jahrtausendwende wurde aus dem prominenten Regisseur, dessen vielgestaltiges Werk zwischen "Thelma and Louise" (1991), "Gladiator" (2000) und "Prometheus" (2012) changiert, zudem einer der bis heute gefragtesten und umtriebigsten Produzenten Hollywoods.