Anstaltssehnsucht: "Das große Herz" von Sara Stridsberg
14 Jahre ist Jackie alt, als ihr depressiver, alkoholkranker Vater Jim in den 1980er-Jahren ins schwedische Beckomberga, damals eine der größten psychiatrischen Anstalten Europas, eingeliefert wird. Die Tochter besucht ihn regelmäßig, bemerkt, dass er eine Affäre mit einer Pflegerin hat, lernt die Patienten und das Personal kennen -etwa einen seltsamen Oberarzt, der die Kranken auf Partys in die Stockholmer High Society mitnimmt. Für den labilen Jim wird die Klinik eine neue Heimat, er möchte nicht mehr zurück in einen "normalen" Alltag. Aber auch seine Tochter zieht es magisch an diesen seltsamen Ort, wo sie ihrer ersten Liebe begegnet. Sara Stridsberg, 44, ist eine der bekanntesten Autorinnen Skandinaviens. In ihrem jüngsten Roman "Das große Herz" überrascht sie damit, eine extrem düstere Geschichte besonders leichtfüßig zu erzählen, ohne dabei die Abgründe, die das Leben ihrer strauchelnden Figuren dominieren, zu leugnen.
Ziemlich gute Nerven
Das Buch thematisiert, wie eine psychische Krankheit eine Familie über mehrere Generationen prägt, und ist zugleich das vielschichtige Porträt eines sensiblen Teenagers mit ziemlich guten Nerven. So schwermütig die Welt auch ist, die Stridsberg beschreibt, so poetisch und warmherzig zeichnet sie ihre Protagonisten. Zudem verhandelt der Roman eine versunkene, oft kritisierte Ära der Psychiatrie, in der Patienten in labyrinthische Anstalten weggesperrt wurden. Für Stridsberg ist die Klinik, in der ihr Vater lebte, eine komplexe Welt für sich, Gefängnis und Schutzraum zugleich: "Manchmal kommt mir der Gedanke, dass die Zeit von Beckomberga mit der Zeit des Wohlfahrtsstaates zusammenfällt. 1932-1995."
Sara Stridsberg: Das große Herz. Aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein. Hanser, 320 S., EUR 23,70