Literatur

Die Jane Austen der Millennials

Sally Rooney, 33, ist der globale Popstar der Literatur und gießt das Lebensgefühl der Millennials in einzigartige Prosa – wie auch in ihrem neuen Wurf „Intermezzo“.

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Natürlich ist Sally Rooney bei diesen Launch-Partys nie anwesend. Weil in ihrer Wahrnehmung wahrscheinlich exorbitant uncool, solche Veranstaltungen. Sie war also wie immer die große Abwesende, als sich Ende September scharenweise 25-plus Frauen, manche in bauchfreien Tops und mit malkastenbunten Strähnen, viele in Vintage-Klamotten, mit dezenten Piercings und wohlüberlegten Tätowierungen, in Metropolen wie London, New York, Dublin oder Chicago in diversen Buchläden vor Mitternacht zusammenrotteten. Und davor langes Anstehen in der Kälte ohne Murren auf den Gehsteigen vor den Geschäftsportalen in Kauf genommen hatten.

Eine Minute nach 24 Uhr, als die Decke über den Buchstapeln von Sally Rooneys neuestem Wurf „Intermezzo“ gelüftet wurde und somit der offizielle Erscheinungstag angebrochen war, folgten entsprechende Enthusiasmus-Ausbrüche. Da soll noch einer behaupten, dass die GenZ nur noch auf TikTok zum Lesen animiert. Solche Szenen konnte man ein bis zwei Generationen davor in diesem Ausmaß beim Erscheinen jedes der insgesamt sieben „Harry Potter“-Bände weltweit beobachten.

Zwischen Zukunftsängsten, kaltem Curry, Einsamkeitsblues und Beziehungs-ADHS: 
Die Figuren der Sally Rooney treffen direkt ins Nervenzentrum der Millennials.

Dabei können Rooneys Figuren keine magischen Tricks, im Gegenteil: In all ihren vier Romanen (beginnend mit „Gesprächen mit Freunden“ 2017) und jetzt mit dem entfremdeten Brüderpaar Peter, semipromisker Anwalt, und Ivan, Schach-Nerd, aus „Intermezzo“, schweben ihre Charaktere in einem Zustand der Ratlosigkeit, ohne Wegweiser, lakonisch melancholisch durch den Strom ihres Lebens, das sich irgendwo zwischen labbrigen Pizzakartons, Sympathie für Ökoterroristen, kaltem Curry, Zukunftsängsten, Sinndefiziten, Einsamkeitsblues, „Situationships“ und Meditations-Apps sowie Beziehungs-ADHS abspielt. Und nicht zu vergessen: jede Menge Sex, der natürlich in der Regel zu keiner Romanze führt und in der postkoitalen Leere, die die Einsamkeit noch größer werden lässt, versickert. Sexuelle Begegnungen im Zeitalter des emotionalen Kapitalismus ohne jeglichen „Cringe“-Faktor, Pathos und abgeschmackte Phrasen erzählen zu können, ist eine Facette von Rooneys literarischem Alleinstellungsmerkmal.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort