Salzburger Festspiele als Kuschelzone
Woran werden wir uns erinnern, wenn wir in Zukunft von den Salzburger Festspielen 2016 sprechen werden? An viel zu wenig, denn es war ein ganz und gar mittelmäßiger Jahrgang, obwohl - und das ist dann doch bemerkenswert - die Planung der Anfangsnovitäten beinahe wirkte, als sei sie erstaunlich visionär auf die dramatisch verschärfte Weltlage abgestimmt gewesen. Das war natürlich nicht der Fall: Jede Festspielausgabe wird Jahre vorher konzipiert, um möglichst alle Stars zu bekommen, die man gern hätte - und die Salzburg früher auch hatte.
Heuer hatte man immerhin einen starken Beginn, zumindest auf dem Papier: die Opernuraufführung eines der meistgefragten zeitgenössischen Komponisten über eine immobile Gesellschaft, die sehenden Auges auf ihren Untergang zutaumelt; ein ebenfalls neues Oratorium, das die Zäune an unseren Grenzen und in unseren Herzen deutlich anspricht; dazu eine einst in Salzburg aus der Taufe gehobene Strauss-Oper, deren problematische Entstehung in Kriegszeiten unter der güldenen Oberfläche hindurch zu scheinen vermag; und einen Theaterklassiker der Moderne über das Leben am Ende der Zeit.
Arm an Höhepunkten
Doch nichts davon wollte so recht zünden, allen gesellschaftspolitischen Sprengstoff hatte man vorher sorgfältig aus diesen Werken herausgekratzt. Immerhin erwies sich Thomas Adès' "The Exterminating Angel", nach dem gleichnamigen Buñuel-Film, als solides, wenngleich wenig verstörendes Well-made-Play mit stimmungsvoller Musik und exzellenter Besetzung. Das mit dem Begriff "Halleluja" übertitelte "Oratorium balbulum" von Peter Eötvös und dem kürzlich verstorbenen Péter Esterházy konnte sich durchaus behaupten. Nur gleißende Gestrigkeit führte dagegen der neokonservative Alvis Hermanis in seiner als Regie ausgegebenen Schaufensterdekoration von Strauss' "Die Liebe der Danae" vor. Das auch nur in der letzten halben Stunde musikalisch interessante Griechendrama konnten selbst Franz Welser-Möst am Pult und eine irisierende Krassimira Stoyanova in der Titelrolle nicht retten.
Altmeister Dieter Dorn wiederum schien der gealterten Botschaft von Samuel Becketts absurdem "Endspiel" selbst nicht mehr zu trauen. Er inszenierte es als verbalen Goldrahmen für die wohlgeführten Rampenraser Michael Maertens und Nicholas Ofczarek. Außerdem im Programm: Shakespeares "Sturm" als laues Lüftchen und Thomas Bernhards "Der Ignorant und der Wahnsinnige" als Selbstdarstellungsspielwiese für Interimsintendanten Sven-Eric Bechtolf. Das war es auch schon im Theaterbereich. Und um eine populäre, in Salzburg freilich noch nie gespielte Oper wie Gounods "Faust" zu rechtfertigen, hätte es freilich mehr gebraucht als nur einen glanzvollen Tenor in Gestalt von Piotr Beczala; Neuenfels-Ausstatter Reinhard von der Thannen und mit Alejo Pérez ein völlig unbekannter Dirigent für die bloß routinierten Wiener Philharmoniker -das ist einfach zu wenig Glamour.
Kunst ohne Widerhaken
So wurde Salzburg auch in diesem Sommer, dem zweiten und letzten, den Helga Rabl-Stadler und Sven-Eric Bechtolf zu verantworten hatte, zu einer höchst durchschnittlichen Angelegenheit. Man kuschelte wohlig, führte Garderobe vor und delektierte sich an Kunst ohne Widerhaken - soweit man bereit war, die stolzen Kartenpreise zu bezahlen.
Zu Beginn der Festspiele waren daher online für alle Opern noch Karten zu bekommen -außer für den "West Side Story"-Neuaufguss von Pfingsten mit der hier fehlbesetzten Cecilia Bartoli und für die diesjährige Anna-Netrebko-Show: Sie trat in der vielgespielten Puccini-Oper "Manon Lescaut" auf, die sie kurz vorher noch szenisch an der Wiener Staatsoper zum halben Eintrittspreis gesungen hatte -ein konzertantes Showcase für ihre neue CD samt Präsentation des Gatten Yusif Eyvazov als neuer Dauertenor an ihrer Seite. Dem kommenden Intendanten Markus Hinterhäuser ist es gelungen, die russische Diva zu einem szenischen Rollendebüt in Salzburg zu überreden. Ansonsten hat Hinterhäuser mit Riccardo Muti, Mariss Jansons und Peter Sellars viel Bewährtes im Köcher für 2017. Das muss in Salzburg wohl so sein. Rabl-Stadler, die sich noch einmal als Präsidentin bewerben will, wird ihm zur Seite stehen, sein Patensohn Lukas Crepaz verstärkt das Team als kaufmännischer Direktor. Salzburg ist eben doch eine sehr kleine Kunststadt.