Interims-Intendanz: Festspiel-Präsidentin Helga Rabl-Stadler und Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf
Salzburger Festspiele: Exzellenz ist abgesagt

Salzburger Festspiele: Exzellenz ist abgesagt

Salzburger Festspiele: Exzellenz ist abgesagt

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Kunst ohne Kommerzialismus, nein, das erwartet in Salzburg zur Festspielzeit niemand. Aber so arg wie heuer war es noch nie. Die neben Bayreuth als Mutter aller Musikfestivals geltende Veranstaltung wird 2015, wenn nicht alles täuscht, dem nach echten Novitäten gierenden Beobachter einzig die Premiere von Wolfgang Rihms „Die Eroberung von Mexico“ zu bieten haben.

Muss man sich – nach zwei spektakulär missglückten Versuchen – mit einer neuen „Nozze di Figaro“, dem finalen Stück einer einzig als Betriebsbefriedigung anmutenden Mozart/da Ponte-Trilogie konfrontieren? Der multifunktional eingespannte Schauspielchef und Interims-Intendant Sven-Eric Bechtolf scheint nämlich, nach seiner banalen „Così fan tutte“ und seinem öden „Don Giovanni“, kaum der richtige Mann, dem viel interpretierten Stück neue Bedeutungsnuancen zu entlocken. Dirigent Dan Ettinger ist ein wackerer Generalmusikdirektor in Mannheim; die wenig spektakuläre Besetzung kann man größtenteils auch an der Wiener Staatsoper hören, die Wiener Philharmoniker dito. Und das soll die beste alle möglichen Mozart-Welten sein, die Spitzenkartenpreise von 430 Euro rechtfertigt?

Schön, der „Fidelio“ ist hoffnungslos überbucht. Ist es aber künstlerisch notwendig, Beethovens Befreiungsoper gefühlt alle fünf Jahre hier anzusetzen?

Das Leitungsduo Bechtolf und Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler, der nachgesagt wird, sie möchte unter dem wenig sponsorenaffinen Festspielchef Markus Hinterhäuser ab 2017 doch noch weiter amtieren, hat zwar etwas mehr Geld bekommen, um die lange schon aus dem Etat beglichenen Tarifsteigerungen abzufedern, aber das wird bis 2017 wieder verbraucht sein. Woher also soll dann, wenn die Subvention nicht merklich erhöht wird, Geld da sein, um wieder ein Programm zu machen, das sich nicht so hilf- und ideenlos anbiedert wie das diesjährige?

Schön, der „Fidelio“ ist hoffnungslos überbucht. Ist es aber künstlerisch notwendig, Beethovens Befreiungsoper gefühlt alle fünf Jahre hier anzusetzen? Mit Franz Welser-Möst am Pult und Claus Guth als Regisseur, die beide seit Jahrzehnten in Salzburg arbeiten, ist auch nichts unbedingt Innovatives zu erwarten. Also muss es Tenorissimo Jonas Kaufmann stemmen, doch auch dessen Florestan ist selbstredend kein Debüt, diese Rolle hat er schon vielfach gesungen. Und doch ist er neben Anna Netrebko im „Troubadour“-Revival und Cecilia Bartoli, die noch einmal ihre Erfolgsauftritte als Glucks Iphigenie und Bellinis Norma wiederholt, der einzige Star im Opernprogramm der Festspiele 2015.

Nirgendwo Überraschung, Ungewohntes, Erstmaliges. Salzburg als Ort des reinen Klassikkonsums

Nicht einmal konzertant gibt es Raritäten, nur „Werther“ mit dem altbekannten Paar Elina Garanca und Piotr Beczala. Und Verdis „Ernani“ scheint ausschließlich für den Dirigenten Riccardo Muti angesetzt worden zu sein. Im Konzertbereich begegnet man den immer gleichen, bewährten Namen, die ihre Repertoire-Schlachtrösser aufzäumen; selbst der große Pierre-Boulez-Schwerpunkt anlässlich des 90. Geburtstags war anderswo schon ähnlich zu erleben, und man müsste wochenlang an der Salzach ausharren, um ihn wirklich abarbeiten zu können. Nirgendwo Überraschung, Ungewohntes, Erstmaliges. Salzburg als Ort des reinen Klassikkonsums. Derart unverhohlen wurde das noch nie vorgeführt.

Besonders dürftig: das Schauspielprogramm. Seit wegen des Sponsor-Rückzugs das immerhin als Avantgarde-Feigenblatt dienende Young Director’s Project weggefallen ist, wird dies erschreckend deutlich – obwohl der Ko-Festspielchef selbst Schauspieler ist. Ein „Clavigo“ von Stephan Kimmig, der direkt nach der Sommerpause zu einem Bruchteil der Salzburg-Preise am Deutschen Theater Berlin zu erleben sein wird, Shakespeares „Komödie der Irrungen“ als nett-ambitionsarmes Sommertheater à la Reichenau, wofür man aber mehr als doppelt so viel bezahlen muss.

So wurschtelt man also weiter, kann froh sein, dass das Publikum immer noch kommt

Als große Innovation wird „Mackie Messer“, eine „Salzburger Dreigroschenoper“ angepriesen, bei der die Kurt-Weill-Erben erstmals eine klangliche Überarbeitung des Originals zulassen. Doch wer die bereits im „Jedermann“ eingesetzten Bechtolf-Lieblinge The Tiger Lillies kennt, der weiß, dass deren schräge Töne nun auch nicht so viel anders tröten und quietschen werden. Also wird Brechts angegraut-nostalgische Kapitalismuskritik voraussichtlich niemand sonderlich shocking finden. Und auch hier: Marthaler-Protagonist Graham F. Valentine und die bewährte Wiener Musical-Madame Sona MacDonald auf der Besetzungsliste machen noch keinen sensationellen Salzburger Sommer.

So wurschtelt man also weiter, kann froh sein, dass das Publikum immer noch kommt, aber man sollte doch die Nase vielleicht nicht ganz so hoch tragen, wenn man dauernd über Salzburger Einzigartigkeit und Exzellenz redet. Diese ist in der Programmschriftform nämlich kaum zu entdecken. Man fragt sich immer mehr, wie angesichts der bald wieder auftretenden finanziellen Engpässe und der Austauschbarkeit der Künstler ab 2017 der als Heilsbringer erwartete Markus Hinterhäuser das Steuer herumreißen soll. Beneiden muss diesen Mann einstweilen niemand mehr.