ÖKOLOGISCH KORREKT: Beseelte Tierhaltung, sanftes Töten: Szene aus dem Film "Holz Erde Fleisch“
Rezension: Die Dokumentation "Holz Erde Fleisch"

Schafes Bruder: Die Dokumentation "Holz Erde Fleisch"

Der Film "Holz Erde Fleisch“ dokumentiert die Existenznöte österreichischer Bauern.

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Ein menschenleeres Feld im Abendlicht, ein Kirchturm weit im Hintergrund, Insekten tanzen durch die letzten Strahlen der Sonne. "Ich möchte in diesem Film von meinem Vater und seiner Arbeit erzählen“, erklärt der Filmemacher aus dem Off: "Zeigen möchte ich ihn dabei nicht. Sehen wird man ihn trotzdem.“ So setzt Sigmund Steiner den Ton seines Debüts: autobiografisches Kino, aber indirekt, über die Bande gespielt.

"Holz Erde Fleisch“ ist Steiners erste abendfüllende, in den paar Wochen seit ihrer Uraufführung bereits zweifach ausgezeichnete Produktion: Die Jury der Diagonale erklärte sie im März zum besten heimischen Dokumentarfilm, jene des Münchner DOK.fests wenig später sogar zum besten deutschsprachigen Film. Am Freitag geht das Porträt dreier Bauernfamilien nun österreichweit an den Kinostart - und es gibt in dieser unaufgeregten Studie, kongenial fotografiert von Michael Schindegger, vieles zu lernen und zu bestaunen: den Kreislauf der Arbeit und der Jahreszeiten, Fragen von Schuld und Pflicht, Tradition und Gegenwart. Und es geht, natürlich, auch um Zukunftsangst und Generationenkonflikte.

"Habe meinen Vater nur einmal weinen gesehen"

Der Titel des Films erklärt sich aus seiner Besetzung: Der Chef einer Waldviertler Forstwirtschaft, ein Weinviertler Gemüsebauer und ein steirischer Schafzüchter sind Steiners Helden. Sie respektieren die Grundlagen ihres Tuns: das Holz, den Acker, die Tiere. An den Anfang seines Erzählung hat Steiner diese Geschichte gestellt: "Ich habe meinen Vater nur ein Mal weinen gesehen - als ihm bewusst wurde, dass er durch die Scheidung von meiner Mutter die Hälfte seines Besitzes verlieren könnte. Den Besitz, der seit über 300 Jahren von Bauerngeneration an Bauerngeneration weitervererbt worden war. Dass er durch die Scheidung auch seine Familie verlieren würde, war ihm anscheinend nicht so wichtig. Es hat ihn zumindest nicht zum Weinen gebracht.“

In "Holz Erde Fleisch“ wird also abgerechnet, sanft zwar, aber deutlich. Mit seinem Vater, der im obersteirischen St. Georgen ob Judenburg einen Mischbetrieb führte, hat Steiner schon vor Jahren gebrochen. Der Bauer ist inzwischen pensioniert, den Betrieb bewirtschaftet sein Neffe. Sigmund Steiner und seine Schwester sind nicht geblieben. "Der Besitz gilt viel, manches andere dafür oft sehr wenig. Man darf ja, gemäß einem alten Spruch, nicht weniger übergeben, als man von den Eltern erhalten hat - aber wie man dorthin kommt, ob mit Bandscheibenvorfall oder künstlicher Hüfte, danach fragt niemand. Diese Selbstausbeutung hat sich mir nie erschlossen.“

"Zwischentöne und Subtexte"

Die Filmarbeit empfand Steiner als "psychotherapeutisch“, sogar "heilend“. Er habe "zu diesen Bauern bald eine Art Ersatz-Vater-Sohn-Beziehung“ gehabt; "vieles hat mich an Selbsterlebtes erinnert - oder gerade an Dinge, die ich mit meinem Vater nie erleben konnte.“ Tatsächlich zog sich der Entstehungsprozess von "Holz Erde Fleisch“ über gut fünf Jahre. Es habe "doch ein bisschen gedauert, sich über das Persönliche drüberzutrauen“, so Steiner. Das nächste Projekt wird, wenn nichts dazwischenkommt, jedenfalls ein Spielfilm. Auch damit hat er durchaus schon Erfahrung: Seine beiden kurzen Spielfilme ("firn“, 2003; "harz“, 2006) sind dem Dokumentarischen nahe, sehr naturalistisch inszeniert. Auch im Schauspiel sucht Steiner "das Wahrhaftige“, denn er habe schon als Kind gelernt, in den Konfliktdialogen seiner Eltern "Zwischentöne zu identifizieren und Subtexte zu hören“.

An der Wiener Filmakademie studierte Steiner, heute 38, Regie bei Wolfgang Glück und Michael Haneke. Als freier Filmemacher, Kameramann und Cutter dreht er nebenbei Imagefilme, Musikvideos und kleine Experimente. Mit den Klischees zu brechen, die vielen Optionen der Wirklichkeit vorzuführen, auch darum geht es ihm. Der Viehzüchter etwa, den er zeigt, entspricht den landläufigen Bildern vom Bauernleben keineswegs: Er dankt dem Schaf, ehe er es schlachtet, leise und verweilt noch Minuten nach dessen Tod melancholisch mit dem Tier. "Holz Erde Fleisch“ ist aus Außenaufnahmen gebaut, "denn der Arbeitsplatz der Bauern liegt unter freiem Himmel - und sie öffnen sich dort viel eher, denn es ist ihr Land, auf dem sie stehen. Das geht am Küchen- oder Gasthaustisch nicht.“

Das Landleben ist Steiners Generalthema. "Holz Erde Fleisch“ sei aber auch ein Familienfilm, eine Untersuchung möglicher Verhältnisse zwischen Eltern und Kindern. Materielles und Manuelles, Analoges reizt ihn - Super-8-Filme, Polaroid-Fotografie, Vinyl. Musik inspiriert ihn sowieso. "Ein guter Song ist ja eigentlich der schönste Kurzfilm. Für mich sind im Kino die letzten zwei, drei Sekunden der schönste Moment - bevor es schwarz wird und der Abspann beginnt.“

Zwischen Filmarbeit und Holzarbeit bestehe möglicherweise kein so großer Unterschied, heißt es im Film noch. Man muss bisweilen auch Schönes wegschneiden, um anderes, Wichtigeres zum Erblühen zu bringen.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.