Festspiele

Schaler Sekt, wahre Würde: Resümee des Salzburger Opernaufgebots 2024

Auf perfekten Wohlklang folgten ein ausgebrannter „Spieler“, ein verschenkter Offenbach und ein grandioser „Idiot“: die Opern-Bilanz der diesjährigen Salzburger Festspiele.

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Noch bis 31. August läuft die Salzburger Festspielsaison 2024, aber das diesjährige szenische Opernaufgebot ist durch: Es begann mit einem bloß konzertanten Auftakt mit Richard Strauss’ Opernschwanengesang „Capriccio“. Betörend schön, aber eben auch allzu perfekt tauchten die Wiener Philharmoniker unter Christian Thielemann dieses Werk in puren Wohlklang. Der jungen Elsa Dreisig an der Spitze einer feinen Besetzung fehlte noch ein wenig die Primadonnen-Allüre für die sopranleuchtende Gräfin Madeleine. Es folgten zwei Wiederaufnahmen: Romeo Castelluccis umstrittener, jetzt etwas gekürzter „Don Giovanni“ von 2021 unter Teodor Currentzis, sowie, als Übernahme von den Pfingstfestspielen, „La clemenza di Tito“. Hier brachte „Jedermann“-Aufwerter Robert Carsen in einem grauen Sitzungsraum politische wie private Ränkespiele aus dem alten Rom auf den neuesten Donald-Trump-Stand samt Kapitol-Stürmung. Daniel Behle glänzte in der Titelrolle. Die kluge, immer noch klangintensive Cecilia Bartoli umschiffte das Problem eines allzu späten Debüts in einer Jünglingshosenrolle, indem sie ihren Sesto als lesbische Frau darstellte, die ihrem Freund nach dem Leben trachtet, weil die böse Vitellia (mit Meloni-Perücke: Alexandra Marcellier) sie manipuliert.

Wirr hingegen erschien Mariame Cléments gescheiterter Versuch, die Künstleroper „Hoffmanns Erzählungen“ als Untergang eines Filmregisseurs zu erzählen: Auf der kaum genutzten Bühne des Großen Festspielhauses verläpperten sich vier Stunden in Nebensächlichkeiten, während der tolle Tenor-Protagonist Benjamin Bernheim zwischen den Trümmern des Regiekonzepts allein gelassen wurde. Neben der durchschnittlichen Restsänger-Crew wurde deutlich: Marc Minkowski und die Wiener Philharmoniker werden keine Klangfreunde mehr. Das schleppte sich dahin, war unpräzise, hing durch. Offenbach wie schaler Sekt.

Bleiben die beiden ehrgeizig als Dostojewski-Doppel annoncierten russischen Opern, mit denen sich Markus Hinterhäuser trotzig, aber auch im Sinne der Kunstfreiheit gegen den herrschenden Zeitgeist stellen wollte. Sergej Prokofjews „Der Spieler“ krankte daran, dass keinerlei Sympathien für irgendeinen der Beteiligten erweckt wurde. In der ungeeigneten Felsenreitschule ließ Peter Sellars die Sänger und Sängerinnen in Alltagskleidung dauermobiltelefonierend herumstehen. Violeta Urmana hat einen heiteren Auftritt als eine ihr Vermögen verzockende Großmutter. Der laute Sean Panikkar (Alexei) und die unterforderte Asmik Grigorian (Polina) konnten das so wenig retten wie der sehr souverän durch die komplexe Partitur schiffende Timur Zangiev.

Ein gewaltiger Erfolg schließlich: „Der Idiot“, die 2023 schon im Theater an der Wien gezeigte, aber viel zu wenig gespielte letzte Oper des polnisch-russischen Komponisten Mieczysław Weinberg. Nicht nur findet Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla die absout richtigen Herzenstöne für diese vier Opernstunden. Über zahllose verblüffende Regieideen gelingt dem Polen Krzyzstof Warlikowski auch szenisch das vielschichtige Psychogramm einer dekadenten, verrotteten Moskauer Gesellschaft, über der als Gottesnarr der liebenswerte Fürst Myschkin des tenorzarten Ukrainers Bogdan Volkov schwebt. So sieht wahre Festspielwürde aus.