Sie denken in Ihrem Film Pop und Politik, Kunst und Geschichte zusammen. Aber die Interventionen der kulturellen Welt scheinen immer weniger politische Relevanz zu besitzen. Die lautstarken Wahlempfehlungen Beyoncés und George Clooneys konnten für Kamala Harris offenbar wenig tun.
Horwath
Ich glaube schon, dass Taylor Swift oder Beyoncé mit ihren Medienaktivitäten heute größere Segmente der Bevölkerung durchdringen als jeder Filmstar. Es genügte halt nicht, um die demokratische Kandidatin durchzusetzen. Aber eigentlich ist die Struktur der sozialen Medien und ihres „Diskurses“ viel wichtiger, als wer dort spricht; denn diese Struktur kommt einer bestimmten Art von Charakteren entgegen. Und das sind seltener als früher „Kulturmenschen“. Das hat sich stark gewandelt durch das online herrschende Reiz-Reaktions-Schema, durch die Unmittelbarkeit und das ständige Gebrüll dort – all dies kommt einem anderen Typus Mensch entgegen, nicht Leuten, die im Feld des Ästhetischen oder des Geschichtenerzählens aktiv sind. Bruce Springsteen ist ein gutes Beispiel: In der Obama-Ära und davor war er noch eine relative laute, spürbare Stimme. Das ist nun nicht mehr so. Dazu kommt, dass Leute wie Elon Musk den Platz der alten Star-Figuren eingenommen haben, dass Wirtschaftsbosse und Tech-Unternehmer von weiten Teilen der Öffentlichkeit eine Welterklärer-Rolle zugeschrieben bekommen. Diese Rollen hatten früher Leute aus der kulturellen Welt.
Wen meinen Sie?
Horwath
Hollywoods Studiobosse beispielsweise. Warner Bros. hat sich in den 1930er-Jahren ganz dezidiert als das Studio verstanden, das den New Deal und Roosevelts Politik unterstützte. Das restliche Hollywood gab sich meist opportunistisch, unterstützte beide Seiten. Heute zieht der FBI-Chef sich freiwillig aus seinem Job zurück, statt darauf zu warten, dass Trump ihn rauszuwerfen versucht. Andere pilgern nach Mar-a-Lago oder spenden Trump Unsummen. Diese Art des Sich-Ranschmeißens an die gerade Mächtigen erinnert, ohne jetzt allzu apokalyptisch klingen zu wollen, daran, wie sich im Februar 1933 im Vorzimmer des Reichstags die Industriebosse Deutschlands versammelten, um von Hitler empfangen zu werden – und sich ihm als Sponsoren zu unterwerfen. An solche zeitgeschichtlichen Momente erinnern die sich Trump andienenden Konzernchefs heute. In der McCarthy-Zeit war es ähnlich. Mit dem großen Unterschied allerdings, dass Präsident Eisenhower McCarthy nicht offen unterstützte. Der antikommunistische Gesinnungsterror des Senators und des „Unamerican Activities Committee“ ging nicht vom Weißen Haus aus. Das ist heute anders.
Wie hat Trump sich denn seit seiner ersten Amtszeit verändert? Es scheint eine ganz andere Atmosphäre als damals zu herrschen, oder?
Horwath
Es gibt ein viel koordinierteres und geplanteres Konzept der Machtübernahme. Nehmen Sie Thinktanks wie „Project 2025“, sie zeigen das aktuelle Maß an Organisation, mit der die konservative Wende betrieben wird. Aber Trumps Verhältnis zu Leuten wie Steve Bannon, von denen man zunächst meinte, sie seien seine engsten Gurus, explodiert recht häufig. Das kann auch Elon Musk passieren.
Trump hat offenbar vor, nun wirklich durchzugreifen, dieses Land nach seinem Willen umzugestalten. Ist das zu erwarten?
Horwath
Schon. Das wird sehr vom politischen Geschick all derer abhängen, die mit ihm in Verhandlungen treten – die EU etwa. Trumps vorbereitende Maßnahme, den Supreme Court taktisch neu zu besetzen, ist ihm eine gute Basis. Wenn da nicht serienweise die Höchstrichter wegsterben, weiß er schon, dass alles, was vor dem Obersten Gerichtshof landet, höchstwahrscheinlich zu seinen Gunsten ausgehen wird.
Gab es Typen wie Trump in der US-Geschichte schon?
Horwath
Der deutsche Sozialpsychologe Leo Löwenthal hat bereits Ende der 1940er-Jahre im US-Exil über die faschistischen Agitatoren, die Strongmen, geschrieben. Die gab es schon in den Dreißigern und erst recht nach dem Krieg.
Die Strongmen waren immer Ultrarechte?
Horwath
Eher Rechtspopulisten. Der Strongman wollte das Volk aus dem Dickicht, aus dem angeblichen „Deep State“ der rechtsstaatlichen Institutionen „befreien“. Löwenthal hat es als eine umgekehrte Psychoanalyse beschrieben, wie diese Leute – ohne die wirklichen Ursachen und Gründe zu benennen, ohne also aufklärerisch zu argumentieren – in der Lage waren und sind, die individuelle Unzufriedenheit auf spezifisch benannte Feindbilder wie Kommunisten, Migranten, Juden oder auch woke Studenten zu bündeln. Damit hat er jenen Typus, der heute in vielen Ländern Regierungsämter bekleidet, sehr früh beschrieben. Aber in der US-Geschichte hatten die Strongmen bislang nie das Präsidentenamt inne. Selbst Richard Nixon, der als Verbrecher aus dem Amt gejagt wurde, war nicht dieser Typ Strongman. Trump ist einer. Ich bin trotzdem dagegen, zu kausal aus der Geschichte zu schließen und zu behaupten, Trump werde auf bestimmte Weise handeln. Es kann sein, dass die Regelsysteme und institutionellen Verfahrensweisen in den USA noch stark genug sind oder gut genug verteidigt werden können, um das Schlimmste zu verhindern.
Im Kleinen erleben wir in Österreich gerade Ähnliches.
Horwath
Ja. Die Rhetorik, mit der Kickl, genau wie Trump, alle Unliebsamen aus Kultur und Medien zu werfen ankündigt, ist nicht unähnlich. So einfach ist es dann aber doch nicht. Im Fall Viktor Orbáns, der dies wirklich systematisch durchgezogen hat, war entweder die institutionelle Grundlage nicht stabil genug oder die Zivilgesellschaft nicht präsent genug. Man sieht ja auch, dass es in anderen Ländern nicht so einfach ging. Bolsonaro und Duterte sind wiederum ganz andere Varianten des Strongman.
Vergleiche sind schwer zu ziehen?
Horwath
Man darf diese Dinge nicht alle über einen Kamm scheren, obwohl sie ein global zu beobachtendes Phänomen sind. Und das hat wohl auch mit der Veränderung der Diskursformen und Medien zu tun. Heute machen superreiche Silikon-Hirne wie Peter Thiel, Elon Musk oder Mark Zuckerberg, die so nah an der Macht sind, keinen Hehl mehr aus ihren politischen Präferenzen. Sie haben zusätzlich noch die Verbreitungsinstrumente in der Hand und verfügen sogar über die Codes, die Algorithmen, die Art, diese Instrumente zu programmieren. Das ist eine beispiellose Ballung von Macht. Wohin das gehen wird, weiß niemand genau. Die Furcht ist also verständlich, aber man darf halt nicht in ihr verharren.
In seriösen US-Medien wird derzeit gern die Meinung vertreten, man dürfe Trump nicht mehr auf seine Vulgarität reduzieren, man müsse mit ihm nun Kompromisse schließen und sehen, dass er zuweilen auch gute Ideen habe, dass er eigentlich friedfertiger sei, als man glaube, kein Kriegstreiber zu sein scheine. Man müsse im Sinne einer pragmatischen Abwicklung der kommenden vier Jahre Gesprächsbereitschaft signalisieren. Ist Trump komplexer und abgründiger, als er dargestellt wird?
Horwath
Nicht Trump, aber die amerikanische Bevölkerung und ihre Traditionen sind um vieles komplexer als ein bloß in Red States und Blue States geteiltes Land. Die Gefühlslagen und Verhältnisse, die verschiedene Teile der Bevölkerung mit populären Politikerfiguren eingehen, sind nicht so stabil und nicht so einfach. Trump kommt mir nicht wie eine besonders gebrochene, komplexe Figur vor – abgesehen davon, dass jeder Verrückte in irgendeiner Weise interessant ist. Aber den Aufruf zum Pragmatismus halte ich für richtig. Totalopposition würde ich den Demokraten, schon eines drohenden Bürgerkriegs wegen, nicht raten.
Eine Totalopposition könnte, da Repräsentantenhaus und Senat nun in der Hand der Republikaner sind, ja gar nicht mehr stattfinden.
Horwath
Sie könnte stattfinden, aber sie hätte keine Wirkung. Politik ist auch ein Geschäft – und ein Beruf, der bestimmte Fähigkeiten verlangt: Pragmatismus beispielsweise. Wo dieser genau in Opportunismus oder Selbstverrat umschlägt, wird von Fall zu Fall zu entscheiden sein. Wenn Trump gute Ideen haben sollte, dann bitte her damit! Wo sind die denn? Er will China schwächen und die eigene Wirtschaft stärken, na gut, damit wird er in den USA auf Zustimmung stoßen. Aber er ist auch Anti-Globalist. Trump gehört zu den Strongmen, die es nach Löwenthal vermeiden, die tatsächlichen Gründe für das Unbehagen im Land zu benennen.
Welche Gründe wären das?
Horwath
Die sind wohl im globalisierten Neoliberalismus der letzten 40 Jahre zu suchen, der breiten Bevölkerungsteilen in Europa wie auch in den USA Schaden zugefügt und Arbeitsplätze vernichtet hat. Trump benennt das aber nicht, weil er mit den großen Profiteuren des Neoliberalismus eng verbunden ist – und diese Bindung ist viel stärker als der tatsächliche Wille, die Situation derer, die etwas verloren haben, zu verbessern. Das wird nicht passieren.
Daran wird auch eine Vernunftreaktion der Demokraten nichts ändern können?
Horwath
Doch, wenn diese „Vernunft“ nicht bloß darum kreist, wie man als Wahlverlierer am besten von den nächsten vier Trump-Jahren profitieren kann, sondern darum, das Wohlstands- und Freiheitsmodell, das in den USA nach 1945 so lange galt, wieder aufzurichten, die Wände des Rechtsstaats und der Institutionen so weit zu stützen, dass auch die durchgeknalltesten Präsidenten, Justiz- und Gesundheitsminister diese nicht einreißen können. Das hat natürlich etwas Defensives.
Man kann es auch Schadensbegrenzung nennen. Je weniger man Trump provoziere, heißt es, desto konzilianter sei er auch. Das klingt durchaus opportunistisch.
Horwath
Ja. Ich öffne die Tür des Raubtierkäfigs und achte sehr genau auf die Psychologie der Bestie.
Man muss freundlich zu ihm sein, um Zugeständnisse von ihm zu kriegen?
Horwath
Das würde ich weder Pragmatismus noch Opportunismus nennen, sondern Strategie. Das Problem der Moralisierung von Politik haben wir in den letzten 20 Jahren besonders stark erlebt: Der Begriff der Strategie hat einen Hautgout erhalten, die beruflichen Fähigkeiten jener, die in das Geschäft der Politik eintreten, werden nicht mehr als Qualitäten gesehen. Es ist schlecht für die Gesellschaft, wenn die Moral alles überwölbt im politischen Geschäft. Mit dieser Meinung steht man in bestimmten Milieus aber bereits im Verdacht, ein Reaktionär zu sein oder ein unmoralischer Mensch. Aber Trump zu verachten, nur weil er sich benimmt wie ein Trottel, führt zu nichts; das ist nur ein ästhetisches Urteil, ein Naserümpfen. Man muss sich anschauen, was er de facto tut – und es ist schlimm genug, was er tat und wahrscheinlich noch tun wird; aber dort muss man ansetzen, mit Taktik und Pragmatismus. Es geht um Verantwortungsethik, nicht um Gesinnungsethik.
Trump agiert ja auch strategisch.
Horwath
Natürlich haben die Rechten auch Strategien – und meistens sogar die besseren. Die Rechten weltweit, das muss man wohl konstatieren, haben in mancher Hinsicht ein realistischeres Menschenbild. Es ist ein furchtbares Menschenbild, wohlgemerkt, aber es ist „realistisch“ insofern, als sie Teile der Bevölkerung schon länger nach ihrem eigenen unsolidarischen Vorbild erzogen haben. Aus der Perspektive erfolgreicher Strategie gedacht, waren sie smarter.
Die Rechtspopulisten haben einfach die viel simpleren Botschaften: Fremde machen Angst, Eliten sind böse, das Unsere den Unseren.
Horwath
Das Beharren auf „wahren“ Emotionen, das Verdunkeln statt Aufklären, ist weniger mühselig, als mit Ratio und Argumenten zu kommen.
War die Linke also immer falsch beraten?
Horwath
Nein, linkes Denken ist ja immens vielfältig. Die Linke hat aber, wie sich gerade wieder zeigt, das Talent zur inneren Spaltung.
Auch davon berichtet Ihr Film: Der Demokrat Henry Fonda konnte die linken Ideen seiner Kinder nicht mehr ertragen.
Horwath
Er war ein Roosevelt-Linker, der sich schwer tat mit Kaliforniens neolinken Bewegungen, wie sie ab Mitte der 1960er-Jahre seine Kinder Peter und Jane in verschiedener Weise repräsentierten. Man könnte sagen, alle drei Fondas waren Linke, aber ihre Rhetoriken, ihr Bezug zur gesellschaftlichen Realität waren so verschieden, dass sie in diesen Jahren miteinander in Konflikt lagen. Inhaltlich waren sie sich im Groben einig: Henry wurde wie Peter und Jane zum Vietnam-Kriegsgegner, hatte auch gegen die feministische Bewegung und den Klimaschutz nichts einzuwenden; aber Jane brachte beispielsweise die radikale Bürgerrechtlerin Angela Davis nach Hause; man kann sich ausmalen, was Davis im Fonda-Haushalt so erzählt hat.
Die Black Panther Party bei Henry Fonda daheim?
Horwath
Genau, die Militanz hat er gehasst, diesen Revoluzzer-Ton. Ähnliche Phänomene gibt es heute auch zwischen älteren und jungen Linken. Die Linke hat eben die Neigung, sich in solche Flügelkämpfe oder innere Konflikte zu verstricken, weil sie häufig nicht strategisch genug denkt.
Ein Egomane war Henry Fonda nicht, oder?
Horwath
Das Zurücknehmen des Ich ist etwas, was mich an Fonda immer fasziniert hat, aber es gehört tendenziell der Ära vor Reagan an, der Zeit vor dem Neoliberalismus. Heute ist sogar in nicht privilegierten Milieus die Individualisierung so stark geworden, dass die Strongmen es zuwege bringen, Menschen, die sich solidarisieren könnten, als Ego-Individuen anzusprechen und hinter sich zu versammeln.
Hat sich die Linke erledigt?
Horwath
Nein, ihre Ansätze und sozialen Zielvorstellungen nicht. Es sind nur die Methoden, diesen zum Durchbruch zu verhelfen, fast verschwunden oder marginalisiert worden. Wir hören ja ständig von der aufklaffenden Schere zwischen Arm und Reich, selbst ein Wirtschaftsguru wie Warren Buffett betont die Gefahren, die der Gesellschaft deshalb drohen. Diese Argumente sind präsent, aber sie dringen in ihrer konkreten, faktischen Form nicht zu einer Mehrheit durch. Stattdessen kann Christian Stocker, der neue ÖVP-Chef, wenn er erklärt, warum mit der SPÖ keine Koalition herzustellen war, behaupten, dies sei eben an „Ideologie“ gescheitert – und er schafft es offenbar, dass viele Menschen diesen Begriff sofort mit den Sozialdemokraten verbinden. So als wäre der Wirtschafts- und Leistungsfetischismus der ÖVP keine Ideologie. In Österreich scheint mit Wörtern wie Ideologie und ideologisch immer links gemeint zu sein – allem Wissen zum Trotz.
Heute verhalten sich viele junge Linke antisemitisch oder kämpfen für identitätspolitische Unfreiheit. Ist das Chaos unserer Zeit nicht auch auf den Umstand zurückzuführen, dass niemand mehr sagen kann, was links genau wäre?
Horwath
Ja, weil sich diese Links-Rechts-Modelle bis zu einem gewissen Grad aufgelöst haben. Man könnte auch über die Rechten sagen, dass sie nicht mehr nur unternehmerfreundliche oder faschistische oder nationalistische, sondern auch – zumindest scheinbar – arbeitnehmerorientierte Ziele haben. Es gibt etliche Bereiche, die man bis vor kurzer Zeit noch zum Kernbestand linker Politik gezählt hatte, die sich nun aber in dem Bouquet wiederfinden, das die Strongmen und Rechtspopulisten aufbieten. Dies sorgte zum Teil auch für die Erfolge der FPÖ. Und krisenhafte Konstellationen haben, wie schon in den 1920er-Jahren, bekanntlich eine starke Tendenz zu solchen politischen Entwicklungen. Die Aufeinanderfolge von Bankencrash und Wirtschaftskrise ab 2008, der Migrationswelle ab 2015, der Pandemie ab 2020, der Kriegsgeschehnisse ab 2022 und all der Teuerungswellen, die damit zusammenhängen, hat dazu geführt, dass zum Beispiel Klimaschutz und Energie-Umstieg – linke Themen – keine dominanten Motive mehr sind. Dennoch glaube ich keineswegs daran, dass die weltweite Entwicklung zu parafaschistischen Regierungsformen unausweichlich ist.
Es sieht alles danach aus, als werde sich die soziale und kulturelle Situation massiv verschärfen.
Horwath
Niemand kann sagen, wie die Dinge laufen werden. Dazu ist in der Geschichte das Nichterwartete zu oft eingetreten. Die Möglichkeiten, die in diesem historischen Moment parallel existieren, sind vielfältig. Geschehnisse wie die Publikation des Ibiza-Videos, das einen Bruch in der Zeitgeschichte Österreichs bewirkt hat, hätte niemand vorhersehen können. So funktioniert Geschichte.
Nur rückwirkend betrachtet erscheint alles wie ein Muster.
Horwath
Rückblickend verfallen manchmal sogar Historikerinnen und Historiker in eine Philosophie der Zwangsläufigkeit: Weil X geschah, trat Y ein. Das ist aber nicht so. Nichts musste geschehen. Geschichte ist keine Naturwissenschaft. Das Schöne am menschlichen Tun ist, dass Vielfalt und Unberechenbarkeit immer mit im Spiel sind. Auch wenn die Situation noch so totalitär oder ausweglos erscheinen mag.
Sie meinen, Geschichte könne man auch immer mit Optimismus betrachten?
Horwath
Ja, weil Geschichte diese Unberechenbarkeit hat. Die Fähigkeit, politische Projekte so aufzusetzen, dass sie auch das Dream Life, die Imaginationen und Sehnsüchte des Volks wirklich treffen, besitzen nicht nur rechte Kräfte, das konnten und könnten Linke ebenso. Es mangelt nur an linken Talenten, um die optimistischeren und nicht die destruktiven Zonen in den Menschen zu adressieren. Obama konnte das. Er erreichte die Träume der Menschen und sprach dabei progressive Intuitionen an. Die Person selbst muss erscheinen, um mit Hannah Arendt zu sprechen. Andernfalls wird man auch die Sehnsüchte, die Libido der Menschen, zu denen man spricht, nicht erreichen. Das hat Obama wirklich verstanden – wenn auch seine acht Jahre nicht nur ein Erfolg waren.
Gehört zur Krise der politischen Unberechenbarkeit nicht auch, dass es schlimmer kommen kann als gedacht?
Horwath
Das lineare Geschichtsbild, das wir aus der Epoche des Rationalismus und der Aufklärung geerbt haben, gibt es nicht mehr, wie sich auch der lineare Fortschrittsglaube erledigt hat, der ein kompensatorisches, ersatz-religiöses Motiv gewesen ist. Nun ist das religiöse Paradigma als solches zurückgekehrt – schon 1979 mit der Iranischen Revolution und in vielen anderen Formen seither. Alles, was wir dieser Tage über Trump oder Kickl debattieren, dreht sich um Kommendes, Befürchtetes. Die Realität könnte auch weniger apokalyptisch ausfallen. Die erste Trump-Ära hat man sich viel entsetzlicher vorgestellt, als sie dann – chaotisch zwar und unstrukturiert – abgelaufen ist, zumindest was den Rechtsstaat betrifft.
Die neoliberale Ära, die vor etwa 40 Jahren begann, setzt wiederum ziemlich genau mit Fondas Tod 1982 an. Ihr Film erzählt von der Zeit zwischen dem 17. Jahrhundert und den frühen 1980er-Jahren, nimmt die Gegenwart dennoch in den Blick.
Horwath
Ich würde nicht so weit gehen, zu sagen, dass ich in meinem Film von der Welt heute rede. Aber es ist ein Werk, das zur Gegenwart spricht. Es handelt von einer 330 Jahre währenden Epoche in den USA, aber der Hallraum der gegenwärtigen Bilder und Orte, in denen nur einmal ein Trump-Imitator am Times Square auftaucht, der uns ungeplant vor die Kamera lief, ist gegeben. All das, was uns diese Geschichte anzubieten hat, alle Anknüpfungs- und Abstoßungspunkte formieren sich zu einer, nicht der Geschichte dieses Landes.
„Henry Fonda for President“ ist überreich an historischen und filmischen Materialien, Verbindungen und Querverweisen. Welches Ziel hatten Sie im Visier?
Horwath
Der Film wirbelt alles Mögliche auf, hoffentlich poetisch, spannend und attraktiv; damit könnten jene, die das nun sehen, weiterarbeiten. Ich werfe Fäden aus, die in sich verknüpft sind, nachvollziehbare Knäuel. Aber es bleiben diverse lose Enden, der aufgewirbelte Staub schwebt in der Luft. Ich stelle Henry Fonda, der eben kein Integraler war, als Mehrfachen dar; am liebsten aber wäre er ein Nobody gewesen, ein Anonymus in dieser Celebrity-Gesellschaft – er spielte auch in dem Italo-Western „Mein Name ist Nobody“ (1973) mit.
Er war im Kino, um ein paar seiner Filmtitel zu nennen, „The Best Man“, „The Wrong Man“, einer der „12 Angry Men“ – nur ein Nobody war er nie.
Horwath
Er trug etwas Sich-Selbst-Auflösendes in sich, ein zerstäubtes Ich. Er ließ sich nach seinem Tod auch verbrennen und seine Asche verstreuen, ohne Grabstelle.
Er wollte verschwinden.
Horwath
Ja, aber das erlaube ich ihm nicht. Seine letzten Sätze in meinem Film lauten: „Ich mag mich selbst nicht. Ich habe das Gefühl, keine guten Antworten parat zu haben.“ Der Film widerspricht ihm. Sein Wunsch, sich aufzulösen, wird ihm natürlich nicht erfüllt, schon seines Œuvres wegen. Mir war wichtig, mit dem Film zu demonstrieren, dass ein Schauspieler auch als Auteur, also schöpferisch tätig sein, Welteinsichten und Gesellschaftswissen produzieren konnte, die über seine Filmografie weit hinausreichten. Das konnte einer, der sich gar nicht als Jemand empfinden wollte, der sich als Medium, als Marionette anderen Kreativen zur Verfügung stellte. Fonda war durchaus von seinem Talent überzeugt. Als Ich aber wollte er hinter seinen Figuren verschwinden. Er sei jemand, der nichts zu sagen habe, darauf pochte er. Darin widerspreche ich ihm vehement.