Marvel-Heldin im Theaterdorf: Begegnung mit der Schauspielerin Caroline Peters
Schriftgröße
Es fällt ein wenig schwer, die erhebliche Verspätung, mit der Caroline Peters zum profil-Interview erscheint, als Unachtsamkeit oder Divenhaftigkeit abzutun, denn zum einen neigt sie in ihrem zwischenmenschlichen Verhalten sonst keineswegs zu Hochmut – und zum anderen ist ihr der Aufschub, den sie verursacht hat, derart offenkundig peinlich, dass man ihn leichthin als unabwendbare, aber nicht weiter bedeutende Volte des Schicksals verbucht.
Tatsächlich versetzt die Schauspielerin jene, die auf sie warten, recht ungern, wie sie glaubhaft versichert. Sie habe schlicht die Tage verwechselt, und dem Termin, den sie stattdessen vereinbart hatte, war sie nicht rechtzeitig entkommen; die Dispo ihres eigenen Lebens schreibe leider eine dem kreativen Chaos eng verbundene Zeitgenossin, die ihren Namen trage. Das Divenhafte sei doch längst aus der Mode, sagt Caroline Peters noch, und überhaupt: Eine Diva, die diesen Namen verdiene, wäre von servilem Personal umgeben, das ihre Termine jederzeit im Blick hätte, und dann wäre sie in ihren persönlichen Gemächern zur vereinbarten Zeit mit Gesichtsmaske auf das Sofa gesunken, um standesgemäß auf sich warten zu lassen.
Aber solches Gebaren liegt ihr eben fern, auch wenn es, nun ja, leider doch etwas gedauert hat. Knappe zwei Stunden später als angekündigt also sitzt sie endlich bereit, in einem jener freundlich-entspannten Frühstückscafés, wie man sie auch in den angesagten Distrikten in Zürich, Berlin oder Köln findet. Nur liegt dieses im 5. Wiener Gemeindebezirk, der Gegend, in der Peters seit Jahren schon den überwiegenden Teil ihrer Zeit verbringt – wenn sie nicht gerade in Berlin, Zürich oder Köln auf der Bühne steht, Filme oder Fernsehkrimis dreht. Oder sich in jenem rotgold schimmernden Saal verausgabt, der hinter den Mauern des grauen Hauses am Wiener Universitätsring, des dort thronenden Burgtheaters liegt.
Dorthin, an ihre alte Wirkungsstätte, kehre sie nun, wie unlängst verlautbart wurde, nach einem Abstecher ins Ensemble der Berliner Schaubühne, zurück. Über ihre in den Zeitungen vermeldete Wiener Wiederauferstehung muss sie lächeln: „Ich war ja die ganze Zeit hier.“ Sogar ihre jüngsten Dreharbeiten habe sie in Wien absolviert. Ihre letzte Produktion am Burgtheater, dessen Ensemble sie seit 2004 angehört hatte, liegt fast vier Jahre zurück: Elfriede Jelineks „Schwarzwasser“ war das, die Uraufführung fand im Februar 2020, einen Monat vor dem ersten Lockdown, statt.
Die Enge des Theaterlebens
Die 1971 in Mainz Geborene studierte Schauspiel in Saarbrücken und wurde im letzten Studienjahr an die Berliner Schaubühne engagiert. Da war Peters 23, und ein wenig haderte sie zunächst noch mit ihrer neuen Profession. „Ich fand das Theaterleben früher sehr strapaziös. Mir erschien das wie ein Dorf, in dem man jeden Tag dieselben Leute sieht. Da will man wieder weg! Mir war das oft zu eng. Inzwischen hat sich das umgedreht: Heute drehen praktisch alle auch Filme, und das Dorf ist fast leer.“ Andrea Breth als ihre erste Intendantin und Regisseurin sei immens prägend gewesen. „Sie lehrte mich, vom Text auszugehen, alles andere hatte dahinter zurückzutreten.“ Damals sei das noch en vogue gewesen, und Peters findet es „immer noch cool“. Ihr Weg führte direkt von Breth zu René Pollesch. „Mir erschien das ganz logisch, denn auch bei Pollesch ist, wie bei Simon Stone, das geschriebene Wort die Bibel.“ Dafür verbringe man Wochen bei den Proben miteinander: um darüber zu reden, was da genau steht in der Bibel und wie man das spielen könnte.
Traditionsrucksack
Ab der Saison 2024/25 wird Caroline Peters also am Burgtheater wieder zugange sein, ihren Vertrag hat sie bereits unterzeichnet. Im kommenden Frühling will sie noch eine Serie und einen großen Kinofilm drehen, aber ab Spätherbst dann ernsthaft dort einsteigen, sich voll und ganz dem Theater widmen. Den designierten Burg-direktor Stefan Bachmann kennt sie noch aus den Berliner Studententheaterkreisen der 1990er-Jahre, miteinander gearbeitet haben sie indes noch nie; darauf freue sie sich. „Das ist ein ganz neues Ensemble, das sich erst finden muss. Ich habe Lust, noch einmal neu anzufangen, und wenn ich herausfinde, dass ich immer noch keine Dorfbewohnerin geworden bin, muss ich das eben wieder ändern.“
Am Burgtheater trage man stets auch einen schweren Rucksack mit sich herum. Peters zitiert die Künstlerin Jenny Holzer: „Much was decided before you were born.“ Man habe eben „diese Tradition im Rücken, wie sonst nur bei der Pariser Comédie-Française, dazu muss man sich verhalten; ob man das gut findet, schlecht oder uninteressant, ist leider völlig egal. Wir müssen diese Tradition tragen – und zugleich müssen wir sie transformieren und erneuern. Aber das ist nicht so einfach.“
Im Kino ist Caroline Peters dieser Tage ebenfalls sehr präsent. Am 30. November startet das Weihnachtslust- und Kammerspiel „Wie kommen wir da wieder raus?“, die Fortsetzung der Austro-Comedy „Womit haben wir das verdient?“ von 2018, geschrieben und inszeniert in beiden Fällen von Eva Spreitzhofer. „Wie kommen wir das wieder raus?“ verquirlt launig soziopolitische Aktualitäten (Klimakleber, Gender-Trouble, Verschwörungstheorien, Generationenkonflikte) und vertraut klug einer humorgestählten Profitruppe, in der neben der Hauptdarstellerin auch Michael Ostrowski, Simon Schwarz, Hilde Dalik und Pia Hierzegger anarchisch aushelfen.
„Das war teilweise schon lustig“, erinnert sich Peters, „aber auch sehr stressig.“ Gedreht wurde im vergangenen Frühling, fünf Wochen habe man einen Raum „mit zwölf sehr expressiven Schauspielkräften“ teilen müssen. Die Fenster waren abgeklebt, da das zentrale Geschehen nachts spielt. Da komme man „an die Grenzen der Klaustrophobie“.
Filme wie dieser zeigen aber auch den einzigartigen Status, den Caroline Peters in der deutschsprachigen Theater- und Filmbranche genießt, ihr rares Wechselspiel aus Mainstream und Kunstanstrengung. Sie bringt es zuwege, in populären ZDF-Krimis („Mord mit Aussicht“) und in den filigranen Filmen der Künstlerin Constanze Ruhm aufzutreten, Elfriede Jelineks spröde Texte und breitenwirksam gestresste Weihnachtsmütter zu spielen. „Das war auch Glück und Zufall“, sagt sie bescheiden. „Aber in Österreich ist das möglich: Ein Niki Ofczarek kann Dostojewski spielen, Bierwerbungen drehen und im Kino den Räuber Hotzenplotz darstellen. Aber die Zeiten ändern sich auch schon wieder. Mit dem Boom der Streamer und der Serienarbeit sind Theater und Film heute kaum noch zu vereinen.“ Sie genieße es jedenfalls, sich „breiter aufzustellen“, das Bedürfnis, eine elitäre Künstlerin zu sein, quält sie nicht. Zuschauerverachtung ist kein sinnvolles Geschäftskonzept. „Der größte Künstler aller Zeiten war David Bowie: Als singuläre Persönlichkeit, die ihrem Publikum die irrsten Dinge abverlangte, war er diesem doch absolut zugewandt; er agierte letztlich vollkommen niederschwellig.“
Mehrheitsfähig, glaubhaft
Über ihre Mehrheitsfähigkeit wundert sie sich manchmal selbst. Aber das habe wohl mit Authentizität zu tun. „Denn es gibt auch in meinem Beruf so etwas wie Glaubwürdigkeit. Ich habe immer versucht, Dinge zu machen, hinter denen ich voll stehen kann. So werden die Ergebnisse einfach besser.“ Das Ideologische ihres Tuns bewahrt sie im Auge: „Mir ist nicht nur wichtig, wie etwas erzählt wird, sondern auch was: welche Frauenbilder in einer Inszenierung entstehen, um welche sozialen und politischen Konflikte es geht. Sind die Gedanken, die sich in den Klassikern finden, noch brauchbar? Und wofür?“ Die Frage, auf welcher Seite man in seiner Arbeit stehe, halte sie gerade für besonders wichtig. „Denn ich hatte mich in meinem Beruf 25 Jahre lang auf der scheinbaren Gewissheit ausruhen können, dass wir alle im Kulturbereich irgendwie diffus links seien. Das ist, spätestens seit der Pandemie, nicht mehr so. Und der Hamas-Terror hat diese Gemengelage noch beängstigend verschärft.“
Die gesellschaftliche Spaltung selbst in ihrem nahen Umfeld irritiert Peters sehr: „Wie krass sind wir auseinandergefallen? Im Moment liegen alle Überzeugungen nur an den äußersten Rändern, Konsens und Kompromiss gelten als Schimpfwörter.“ Eine Brutalisierung der Gedanken stellt sie fest. Die meisten Menschen argumentierten so extrem, „als müssten sie sich verbal für kriegerische Auseinandersetzungen rüsten“.
Aber auch abgesehen von den jüngsten politischen Verwerfungen liegt Caroline Peters das entfremdete Arbeiten vor allem am Theater nicht. „Ich stehe zwei bis acht Jahre lang mit einer Inszenierung immer wieder vor dem Publikum: Ich, mit meinem Körper und meinen Empfindungen, muss sie vertreten. Und wenn ich eine solche Arbeit wirklich falsch finde, ist mir das schier unerträglich, das halte ich fast nicht durch. Insofern muss ich dafür sorgen, dass meine Theaterarbeit mir auch entspricht. Aber wie es die Regisseurin Karin Beier unlängst so schön auf den Punkt brachte: ‚Früher waren wir am Theater junge Philologen, heute müssen wir Politik machen.‘“
Es lebe die Postkarte!
Seit fünf Jahren betreibt sie mit ihrem Partner, dem Schauspieler und Fotografen Frank Dehner, in der Wiener Margaretenstraße ein liebevoll gestaltetes Postkartengeschäft namens art postal. "Wir haben uns das zusammen ausgedacht, eingerichtet und kuratiert", sagt sie. Zum Jubiläum hat man den Hintern als Sujet ausgerufen, ein rosa Kunst-Popo rotiert im Schaufenster. Am täglichen Geschäft kann sich Peters kaum beteiligen, Bilanzen und Steuerunterlagen muss man trotzdem verwalten. "Ich bin Theaterhandwerkerin. Mit moderner Buchhaltung und Exceltabellen kenne ich mich null aus. Auf der Bühne arbeite ich wie im 19. Jahrhundert, benutze keinerlei Technologien, nur mich selbst. Für art postal musste ich also vieles erst lernen."
Gänzlich angstfrei ist die Schauspielerin, auch wenn sie so wirkt, übrigens nicht. Das Lampenfieber könne sie auch bei einer normalen Repertoirevorstellung ereilen. Glücklicherweise kennt sie-an Aberglauben grenzende-Gegenmaßnahmen: "Ich muss nachmittags vor dem Auftreten immer dasselbe machen, das gibt mir Sicherheit: immer zur gleichen Zeit losfahren, immer das Fahrrad nehmen und stets genau denselben Weg. Nach der ersten Phase der Pandemie hat sich das Lampenfieber, das ich ab und zu in mir spüre, in regelrechte Angst verwandelt; zum ersten Mal in meinem Berufsleben war ich acht Monate lang nicht vor Publikum gestanden." Wenn man aber merke, dass das Spiel funktioniere, geschehe bisweilen Wildes; dann könne man plötzlich Sachen, die man noch nie in seinem Leben konnte. Das passiere nicht oft, und es sei kaum erklärlich. Mit Martin Wuttke habe sie das in "Hotel Strindberg" am Burgtheater fast jeden Abend erlebt. "Wenn man abhebt, muss man sich um nichts mehr bemühen, alles fällt einem zu, als wäre man die Handpuppe einer größeren Kraft. Das macht irren Spaß, als wäre man eine Marvel-Heldin: Man stellt plötzlich fest, dass man Superkräfte hat, von einem Haus zum anderen springen kann."
"Jedermann"-Zores
Als Buhlschaft außer Dienst, die ihre Rolle im ersten Pandemiesommer praktisch unter Quarantäne zu spielen hatte, blickt Caroline Peters auf den gegenwärtigen "Jedermann"-Eklat bei den Salzburger Festspielen mit einem gewissen Missvergnügen. Und sie wählt klare Worte: "Ich finde die Vorgänge dort letztklassig. Man flüchtet sich in Nonsenserklärungen und Allerweltaussagen: Die neue Schauspielchefin könne nichts dafür, weil sie noch nicht richtig angefangen habe, die Präsidentin weilte in den USA, und der Intendant mag dazu nichts sagen. Entweder gab es politische Eingriffe, oder es herrscht dort völlige Unbedarftheit. Beides wäre desaströs."
Im Kino: die liebe Festtagsfamilienhölle
Weihnachten im Kreise der politisierten Familie ist das sicherste Rezept für ein Totalfiasko. Autorin und Regisseurin Eva Spreitzhofer schießt in "Wie kommen wir da wieder raus?" eine naheliegende Pointe nach der anderen zu Identitätspolitik und Covid-Schwurbelei ab, aber das Casting ihres Films ist so wasserdicht, dass nicht viel schiefgehen kann: Man sieht gerne dabei zu, wie Caroline Peters und Simon Schwarz (Bild links) sich neben u. a. Hilde Dalik und Michael Ostrowski einen Jux machen.
Stefan Grissemann
leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.