Schmutz und Zucker: Der eigenwillige neue Kino-Schocker „Longlegs“
Das Filmformat ist unüblich eng. Auch der Bildausschnitt wirkt wie verrutscht: Nur die untere Hälfte des Gesichts jenes weiß geschminkten Fremden, der sich in winterlicher Landschaft einem Kind nähert, ist zu sehen; erst als er sich zu dem Mädchen hinunterbeugt, rückt er für Sekundenbruchteile ins Bild, doch die Szene reißt jäh ab. Man merkt von der ersten Einstellung an, dass dieser Film nicht bloß den Genre-Normen folgen möchte. „Longlegs“ ist ein Horrorstück, das dem Kino der 1970er-Jahre ästhetisch verbunden ist, dessen Innovationsgeist es aktualisieren will. Die Hipster-Attitüde ist unübersehbar: Ein Zitat aus dem T. Rex-Song „Get It On“ eröffnet den Film – von den „Zähnen der Hydra“ ist da die Rede und von den Attributen dirty und sweet.
Gift und Schmutz beherrschen folgerichtig die Erzählung: Eine verstörte junge FBI-Agentin mit hellseherischen Fähigkeiten (Maika Monroe) wird auf einen Serienmörder angesetzt, der Familien zur blutigen Selbstauslöschung bringt, sich in den Rätselbriefen, die er an den Tatorten hinterlässt, Longlegs nennt und im Oregon der 1990er-Jahre mit selbst gebauten Kinderpuppen sein satanistisches Unwesen treibt.
Der legendäre FBI-Thriller „The Silence of the Lambs“ (1991) gehört zu Perkins’ überdeutlichen Inspirationen. Und die Lust am entfesselten Irrsinn ist nicht zuletzt auch Nicolas Cage, der die abwegige Psyche der Titelfigur performativ illustriert (und diesen Film koproduziert hat), anzusehen.
Ganz gewöhnlich ist die Biografie des New Yorker Regisseurs und Autors Osgood „Oz“ Perkins, 50, nicht: Als Sohn des „Psycho“-Darstellers Anthony Perkins sowie der Fotografin und Schauspielerin Berry Berenson, die am 11. September 2001 in einem der Flugzeuge saß, die ins World Trade Center krachten, trat er schon als Kind neben seinem Vater in „Psycho II“ (1983) auf. Sein Regiedebüt 2015 („Die Tochter des Teufels“) zeugte von der Begabung für düstere Atmosphärenzeichnung. Auch „Longlegs“ bietet makabre Stimmungen und eine äußerst kontrollierte Inszenierung, die den handelsüblichen Exzess des Genres in Schach hält: Die von Elvis Perkins, dem Bruder des Filmemachers, präzise kalibrierte Musik ist von erstaunlicher Subtilität, und in den entfärbten, abgedunkelten Szenerien entfaltet sich ein Horrorsurrealismus, der das Böse signalhaft-ominös zu verdichten weiß (an der Kamera: der Mexikaner Andrés Arochi). Und auch seinen Schurken hat Perkins gut im Griff: Cage wütet lediglich in ausgesuchten Szenen, lässt (für seine Verhältnisse) die Sau im Stall, deutet den Reichtum seiner Manierismen nur an.